Die Zülpicher Straße hat ein Problem. Und das ist nicht nur der Straßenkarneval. Drei Menschen, die das Veedel schon lange kennen, blicken mit Sorge auf die Entwicklung.
Hotspot Zülpicher Straße„Mit den Happy-Hour-Angeboten kam die Gewalt“
Saufmeile. Ballermannisierung. Aggressives Publikum. Zuschreibungen wie diese waren in den vergangenen Wochen häufig über die Zülpicher Straße zu hören und zu lesen, auch in dieser Zeitung. Dabei war es im Kwartier Latäng auch mal anders. Die „guten alten Zeiten“ werden oft beschworen. Und mit Sicherheit war früher nicht alles besser. Aber eine Rückschau hilft manchmal, um zu verstehen, wie ein Ort wie die Zülpicher Straße zu dem werden konnte, was er ist.
Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die das Veedel schon lange kennen: Christian Schmalz vom Off-Broadway-Kino, Alexander Moll von der Filmdose und Bezirksbürgermeister Andreas Hupke.
Drogen und Prostitution am Rathenauplatz
Christian Schmalz ist seit 1991 auf der Zülpicher Straße, betreibt dort das Programmkino „Off Broadway“. Es liegt gleich hinter der Kreuzung Zülpicher Straße/Heinsbergstraße, an der am 11.11. kein Durchkommen mehr war. So voll war es. Schmalz hat in mehr als 30 Jahren viele Elfte im Elften erlebt, aber auch unzählige normale Wochenenden, an denen über die Jahre immer mehr Menschen ins Kwartier Latäng strömten. Das Feierverhalten sei heute ein grundlegend anderes, sagt er. „Klar haben wir früher auch das ein oder andere Kölsch getrunken, sicherlich auch mal eins zu viel. Aber wir sind von Kneipe zu Kneipe gegangen“, so Schmalz.
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Viele junge Leute seien schon immer da gewesen, sagt der Kinobetreiber. Allgemein sei die Gegend aber nicht immer so gefragt gewesen. „Der Rathenauplatz war kein guter Ort, es gab Drogen und Prostitution. Auch auf der Kyffhäuser Straße war es nicht schön.“
Bezirksbürgermeister Hupke: „Das Problem fängt mit den Hauseigentümern an“
Bezirksbürgermeister Andreas Hupke lebt seit 1974 im Rathenauviertel, damals war er noch Aktivist. „In den großen Bürgerhäusern waren damals Billigwohnungen, die noch mit Kohleöfen geheizt wurden. Viele türkische Familien mit ihren Kindern haben dort gewohnt, weil die Wohnungen groß waren. Wohngemeinschaften waren explizit willkommen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, sagt er. Die ansässigen Geschäfte seien noch ganz anders gewesen, es habe Metzger, Bäcker, eine alte Drogerie gegeben. „Das Problem fängt mit den Hauseigentümern an. Sie haben einen großen Einfluss darauf, wie sich das Viertel entwickelt. Es wird einfach an denjenigen vermietet, der am meisten zahlt.“
Und heute wird eben deutlich mehr gezahlt als in den 80ern. „Früher gab es hier noch das Piccolo-Theater, noch eine Buchhandlung. Es sind viele Kulturorte weggefallen. Ich will jetzt keinen direkten Zusammenhang herstellen, inwieweit sich das auf das Publikum auswirkt. Aber beides hat sich verändert. Das ist ein Fakt. Es gibt noch das Papelito, den Taschenbuch-Laden, das 24Colors, zwei, drei schöne Gastronomien, wie das Oma Kleinmann. Das war’s“, sagt Christian Schmalz.
Leute verhalten sich auf der Zülpicher zunehmend aggressiv
Einer dieser letzten Kulturorte ist auch die Filmdose, an der Ecke zur Kyffhäuser- und Moselstraße. Alexander Moll trat dort in die Fußstapfen des legendären Walter „Wally“ Bockmayer, den Andreas Hupke neben Hubert Heller (Rottweiler/Hellers Brauhaus), Paula Kleinmann (Oma Kleinmann) und Manfred Lennartz (Mannis Rästorang) zu den Gründerfiguren des Kwartier Latäng zählt.
Moll ist seit 1996 an der Zülpicher Straße. „Früher haben wir an Karneval in der Filmdose auf der Theke getanzt. Es gab jeden Tag ein anderes Motto, zu dem wir kostümiert waren. Die Haare waren so hochtoupiert, dass wir Lampions reinhängen konnten“, erzählt Moll. Heute seien die Leute rücksichtsloser geworden. Wenn er jemanden auf zurückgelassenen Müll anspreche, würden die Leute aggressiv.
Feiergeschehen im Kwartier Latäng verlagert sich nach draußen
Das berichtet auch Christian Schmalz. „Wir haben auch für normale Wochenenden schon konkret überlegt, ob wir freitags und samstags noch Spätvorstellungen nach 22 Uhr zeigen. Wir liegen zwar im Hinterhof und damit nicht direkt an der Straße. Aber die Leute kommen trotzdem bis ins Kino gelaufen, sind aggressiv. Natürlich macht man sich da auch Gedanken darüber, den Standort zu verlassen.“
Eine deutliche Veränderung, über die Schmalz, Hupke und Moll sprechen, ist die starke Verlagerung von der Kneipe auf die Straße. „Es gibt ein ganz neues Vokabular, Straßenkarneval, allein das Wort gab es früher nicht. Oder das Wegbier, mit dem man vor dem Kiosk rumsteht“, sagt Moll. Christian Schmalz sieht den Auslöser dafür in der Fußball-WM 2006. „Damals würde die Zülpi zur Feiermeile ausgerufen. Das war zunächst eine gute Sache, die Gastronomen haben sich gefreut. Aber man hat versäumt, das wieder abzubrechen.“
Cocktailbars und Lockdown zogen Publikum von den Ringen
Andreas Hupke hat Veränderungen im Kwartier schon vor der Fußball-WM festgestellt. „Aber sicherlich war das nochmal ein Moment, an dem wir Angst bekamen, dass es hier jetzt wie am Hamburger Kiez wird.“
Einen weiteren „Quantensprung in die negative Dimension“ nennt Andreas Hupke die zahlreichen Cocktailbars, die sich auf der Zülpicher Straße ansiedelten und mit Happy-Hour-Angeboten das Publikum von den Ringen zogen. „Damit kam die Gewalt. Die Studierenden haben sich zurückgezogen. Und das Ergebnis sehen wir heute“, sagt Hupke. Mit der Pandemie sei das „Ringe-Publikum“ dann noch verstärkt zur Zülpicher Straße gekommen: „Dort hatten die Clubs zu – aber auf der Zülpicher haben alle draußen gestanden“, sagt Christian Schmalz.
„Ich dachte, ich lasse mir den Karneval nicht nehmen. Ich habe mich getäuscht“
Mit Sorge blickt man im Veedel auf die Karnevalsfeiertage im kommenden Jahr. Alexander Moll ließ die Filmdose schon am 11.11. geschlossen. „Wenn ich jetzt im Lotto gewinnen würde, würde ich die Stadt verklagen“, sagt er. „Ich kann meinem Gewerbe so nicht nachgehen. Und dann steht die Oberbürgermeisterin vor der Kamera und sagt: So feiern die jungen Leute halt. Ich weiß, dass die jungen Leute auch einfach Spaß haben wollen, andere Leute treffen. Aber so ein Turbo-Besäufnis muss doch nicht sein.“
Dass er an den Punkt kommt, an dem er Karnevalfeiern in seinem Laden aufgibt, schmerzt Moll. „Ich dachte immer, ich lasse mir den Karneval nicht nehmen, ich lasse mir das nicht kaputt machen. Aber ich habe mich getäuscht.“