Ingeborg Arians war mehr als 30 Jahre Protokollchefin der Stadt Köln.
Im Porträt berichtet sie über die Arbeit, die großen politischen Stars in Köln und ihre Eigenheiten.
So hat sie unter anderem Angela Merkel, Jacques Chirac, Prinzessin Diana und Prinz Charles getroffen. Ihre Geschichte.
Köln – Ingeborg Arians hat es nie gegeben. Rein optisch jedenfalls. Nur ein aufmerksamer Beobachter könnte sie entdecken, am Bildrand des Geschehens, in der zweiten Reihe hinter der Oberbürgermeisterin oder dem Bundespräsidenten. Auch schon mal prominenter: „Als ich die Ehre hatte, dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac das Goldene Buch der Stadt erklären zu dürfen.“ Auffällig war sie überhaupt nur dann, wenn sie dem schönsten Sonnenschein zum Trotz den großen Rathausregenschirm hinter dem Staatsgast bereithält. Für alle Fälle.
Gute Arbeit unsichtbar
„Der langjährige Protokollchef des Bundespräsidenten, Martin Löer, hat mir mal gesagt: »Wir sind Akteure vor einer schwarzen Wand, in schwarzer Kleidung mit schwarzem Gesicht. Wenn wir nicht gesehen werden, haben wir unsere Arbeit gut gemacht.«“
Das hat sie, denn in mehr als 33 Jahren und bei über 8000 Empfängen für Staats- und Ehrengäste, für Preisträger, Ehrenbürger, Würdenträger und Ausgezeichnete ist kein Kölner Stadtoberhaupt je in einem Fettnäpfchen versunken, weil er oder sie die falsche Anrede verwendet hätte, die Gäste in der falschen Reihenfolge begrüßte oder unangemessen gekleidet gewesen wäre.
Ehre, wem Ehre gebührt und das in festlichem Rahmen. Das ist die Aufgabe des Protokolls und des dafür zuständigen Teams. Merke: Der Gast geht an der rechten Seite – die Seite der Ehrenperson. Aufgepasst: Nicht jeder wird mit Handschlag begrüßt. Japaner geben nicht unbedingt die Hand. Man verbeugt sich. Empfehlung: In einem deutschen Rathaus wird deutsch gesprochen. Das städtische Protokoll erlaubt freilich höfliche Ausnahmen. „Ich würde einem Oberbürgermeister aber immer empfehlen: Sprechen Sie ihre eigene Sprache.“
Im Dienst des Gastes
Grundsätzlich gilt: Fassung bewahren, auch wenn der Gast seltsame Wünsche äußert. „Ich war wunderlich berührt, als der Sicherheitschef des rumänischen Präsidenten Traian Băsescu, der den Konrad-Adenauer-Preis erhalten sollte, mich fragte, in welchem lebensmittelchemischen Institut zuvor die Ingredienzien des Abendessens untersucht worden seien.“
Wie wird man Protokollchef im Kölner Rathaus? Ingeborg Arians bewarb sich auf eine Stellenanzeige, die nicht sehr aussagekräftig war. Gesucht: Verwaltungsangestellte für die Büros der Stadtvertretung mit ausgeprägtem Organisationstalent und der Bereitschaft, zu ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten. Arians ist Diplomübersetzerin für Französisch, Spanisch und Englisch.
Damals leitete sie das Besucher- und Veranstaltungsbüro der Veba Oel AG. Die Frau aus dem Münsterland hatte keine vertieften Kenntnisse der Kölner Stadtgeschichte oder des Rathauses. „Ich habe Herrn Burger erklärt, dass ich als Westfälin keine Fachfrau für den Kölner Karneval bin. Aber Burger winkte ab. »Wenn Sie gerne in Köln leben, dann lieben Sie irgendwann auch den Karneval und die kölschen Eigenarten.«“
Tradition, Karneval, Zeremonie
Und so kam es – vielleicht auch, weil es ja keinen Vorgang im Stadtleben gibt, der durch mehr Zeremoniell und Protokoll geregelt wäre als der Kölner Karneval. Deshalb gehört das Kostüm zur Dienstkleidung – zumindest an Rosenmontag. Dieser beginnt immer mit dem Appell der Roten Funken vor dem Rathaus, und dabei ist es Tradition, dass der OB die Rote-Funken-Uniform trägt.
„Als Frau Reker ihr Amt antrat, war es spannend zu sehen, wie die Karnevalsgesellschaften damit umgehen würden – eine Frau an der Spitze. Werden sie die Satzung ändern? Es ist ja Tradition, dass der OB Ehrenmitglied der Gesellschaft wird. Das sind Männerbünde. Einige haben die Satzung geändert.“
Zu Norbert Burgers Zeiten war das Amt des Oberbürgermeisters ein repräsentatives. „Damals verlangte das Amt allen Respekt ab. Es war völlig unmöglich, dass man auf den OB schulterklopfend zugeht. Heute ist das Amt anders definiert. Heute ist die Tuchfühlung leichter als damals.“Anders als Burger war Harry Blum kein Mann des großen Wortes. „Der sagte mir, zeremonielle Details besprechen Sie am besten mit meiner Frau. Wir haben Empfänge dramaturgisch angereichert, weil wir wussten, dass Harry Blum nicht gerne Reden hielt.“
Minutiöser Leitfaden für das Königshaus
Für den Besuch von OB Fritz Schramma in der Partnerstadt Liverpool musste ein minutiöser Protokoll-Leitfaden des Königshauses studiert werden. Der OB sollte Königin Elisabeth vorgestellt werden. „Er wusste, dass sie mit M’am anzureden ist, dass er nicht zuerst die Hand ausstreckt, sondern auf die Geste der Königin wartet; und wenn sie es nicht tut, dass er sie dann mit einem angedeuteten Diener begrüßt.“
Die größte Kölner Veranstaltung: der Weltjugendtag 2005. Die schwierigste: Der Weltwirtschafts- und EU-Gipfel im Sommer 1999. Stadt, Land, Bund luden zum Stehempfang in die Piazzetta: acht Staatsführer, 300 Gäste. In Erinnerung bleibt ihr Jacques Chirac. „Er war der einzige Staatsmann, der neben seinem Namen auch eine Widmung ins Buch schrieb: Von ganzem Herzen vielen Dank für Ihr Willkommen.“
Da ist Arians längst routiniert. Schon sechs Wochen nach ihrem Amtsantritt besteht sie die Feuertaufe: Besuch des spanischen Königs Juan Carlos und der Königin Sofia. Arians entwirft die Blaupause für viele weitere Staatsbesuche – Ablaufplan, Einladungsliste der Ehrengäste, Stellplan: wer wo steht und vorgestellt wird – Oberstadtdirektor Kurt Rossa mit Frau, Alt-OB Van Nes Ziegler; die Fraktionsvorsitzenden Heugel und Blömer, die Ehrengäste.
Die großen Namen der Politik
Es folgen: 1987 Prinzessin Diana und Prinz Charles. 1988 die isländische Staatspräsidentin Vigdís Finnbogadóttir, die in Köln dem Schriftsteller Jon Svensson die Ehre geben will. Der Autor der Nonni-Bücher lebte im Kölner Jesuitenkloster und war 1944 auf Melaten beerdigt worden. „Das Problem war ihr enger Terminkalender. Vom Rathaus sollte sie nach Melaten und von dort rasch zum Hubschrauberlandeplatz am Müngersdorfer Stadion. Aber wie? Ich schlug keck vor: Wir nehmen die Straßenbahn. Die Antwort: Ein Staatsoberhaupt in der Straßenbahn? Das hat’s noch nie gegeben. Aber sie fand es dann wunderbar.“
Als Protokollchefin war Arians nicht nur für das sichtbare Stadtzeremoniell zuständig – die Veranstaltungen. Es gibt auch das nicht-sichtbare Zeremoniell: Ehrungen, Gratulationen, Glückwünsche sowie Kondolenzen. „Hier steht der Bürger im Mittelpunkt. Bei Bundesverdienstkreuz-Verleihungen ist die Oberbürgermeisterin der verlängerte Arm des Bundespräsidenten. Das ist ein großartiger Moment für den Ausgezeichneten und der soll in seinem Herzen bleiben. Dazu braucht es den festlichen Rahmen.“
Und als Privatperson, wie hält sie es da mit dem Protokoll? Ingeborg Arians sagt: „Ich bin gelebtes Protokoll. Für mich ist es nicht Korsett, sondern Anregung und Mittel zum Zweck. Als ich 55 wurde, habe ich fünf Mal fünf Gäste eingeladen, es gab Essen und Wein aus fünf Kontinenten; alle Gäste, deren Vor- oder Nachname aus fünf Buchstaben bestand, haben ein kleines Geschenk bekommen.“
Gab es heikle Momente?
Den Fauxpas, das Missgeschick, ein No-go? Nein, sagt sie, aber es gäbe immer Überraschendes, auf das man reagieren können müsse. So habe sie kurz vor dem Besuch eines Staatspräsidenten morgens festgestellt, dass sich auf dem Weg des Gastes plötzlich ein Loch im Boden aufgetan hatte. Ein Wasserrohrbruch. „Da ist es gut zu wissen, dass man ein Rädchen in einem großen Getriebe ist und sich gegenseitig ergänzt und hilft. Ein Anruf und das Loch war verfüllt.“
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Stippvisite im Rathaus vorbeischaute, musste rasch die Situation durchgespielt werden: Sie hat 20 Minuten, sie geht zu Fuß. Was ist mit den Brautpaaren im Rathaus, was mit der Freitagsdemo, wo sind da gerade die Reinigungskräfte, wo sind die Schulklassen, die amerikanischen Touristen? Doch Merkel ließ ausrichten: Keine Umstände. Alles möglichst offen lassen.
Mitunter verlangte der OB ein rasches Votum. Was sollen wir tun? Die Preisträgerin wird zum Ratssilberessen am Arm eines Herrn in den Hansasaal begleitet, der nicht zum Essen im kleinen Kreis geladen ist. Soll man ihn hinauskomplimentieren? „Was machen wir?“ fragte der Oberbürgermeister. Ich schlug dann eine Lösung vor, mit der niemand das Gesicht verliert.“Und es gibt die Dreisten. Zum Geburtstagempfang für Willy Millowitsch hatte sich ein Autohändler aus Bornheim ins Rathaus geschmuggelt und stand unter den Gratulanten. „Zuerst dachten wir, der gehört zu den Gästen. Dann wurde klar, der stand nicht auf der Liste. Ich musste ihn, bevor es zum Eklat kommen würde, aus dem Saal bugsieren.“
Und da gibt es die netten, zum Schmunzeln anregenden Situationen. „Als die Regenbogenfraktion in den Rat einzog, demonstrierten die ja eine gewisse Unkonventionalität. Als einer zum ersten Mal zu einem Ratssilberessen eingeladen war, kam er und fragte, was er denn da anziehen solle. Er habe keinen Smoking. Ich sagte: Etwas, das Sie als festlich empfinden. Er kam dann im dunklen Anzug. Trug dazu aber Birkenstockschuhe.“
Was bleibt? Tiefe Dankbarkeit, sagt Ingeborg Arians, für das Glück, diese Aufgabe gehabt zu haben. „Man arrangiert alles, steht im Vorhang mit Blick auf die Bühne. Ein großes Privileg.“