Köln – Mehr als 650 Frauen haben nach der verheerenden Silvesternacht 2015 Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung gestellt. Hinzu kamen Raubüberfälle, Taschendiebstähle, Beleidigungen und Körperverletzungen – insgesamt gingen 1300 Anzeigen bei der Polizei ein. Jetzt, etwas mehr als drei Jahre später, sind die Vorgänge auch juristisch aufgearbeitet. Die Bilanz sei „ernüchternd“, sagt Gerichtssprecher Wolfgang Schorn. „Das ist keine erfreuliche Situation.“
Denn gerade mal zwei Männer konnten am Ende der sexuellen Nötigung überführt und verurteilt werden: Ein 26-jähriger Algerier und ein 21 Jahre alter Iraker erhielten jeweils ein Jahr Haft auf Bewährung. Der Iraker soll einer Frau gegen ihren Willen das Gesicht abgeleckt, der Algerier gedroht haben: „Give me the girls – oder Tod“.
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Außerdem habe es eine Verurteilung wegen „Grapschens“ gegeben, sagte Schorn. Ein Libyer erhielt dafür eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. In zwei weiteren Fällen habe der Verdacht der sexuellen Nötigung vor Gericht nicht standgehalten, sagte Schorn dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zuerst hatte der „Spiegel“ über die Zahlen des Amtsgerichts berichtet.
Juristen und Polizisten hatten allerdings schon kurz nach Silvester Befürchtungen geäußert, dass sich eine Vielzahl der Vorwürfe wohl nicht oder nicht gerichtsfest beweisen lassen würde. „Es war insofern absehbar, dass das kein gutes Ende nimmt“, sagt auch Schorn. Gründe seien unter anderem die schwierige „Gemengelage“ und die Dunkelheit in der Tatnacht gewesen. Das erschwerte die Aufklärung.
Zu wenig Einsatzkräfte vor Ort
Viele Zeugen konnten die Täter nicht hinreichend beschreiben. Die Polizei war in jener Nacht mit viel zu wenig Einsatzkräften vor Ort, um Taten in großem Umfang verhindern oder Verdächtige festnehmen zu können. Im Nachhinein werteten die Ermittler zwar monatelang Zeugenaussagen sowie Videomaterial aus Überwachungskameras oder von Handyfilmen aus. Die Bilder waren jedoch häufig von miserabler Qualität und führten nur selten zur Identifizierung von Verdächtigen.
Selbst sogenannte „Super Recogniser“ aus Großbritannien hatten den Kölner Ermittlern geholfen – Experten, die sich besonders gut Gesichter merken können. Insgesamt hatte die Staatsanwaltschaft gegen 290 Personen ermittelt, aber nur 52 wurden angeklagt. Daraus ergaben sich 43 Verfahren vor Gericht, in manchen Fällen standen mehrere Angeklagte gleichzeitig vor dem Richter.
In einer Aufstellung, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, listet das Amtsgericht auch die Herkunft der Angeklagten auf. Demnach handelte es sich um 17 Algerier, 16 Marokkaner, sieben Iraker, vier Deutsche und je einen Mann aus Tunesien, Libyen, Afghanistan, Ägypten, Somalia, Ungarn, Iran und Syrien. Die Angeklagten seien im Alter zwischen 16 und 50 Jahren gewesen, die meisten jedoch Anfang bis Mitte 20.
Nur drei Verfahren wegen sexueller Nötigung
In den meisten Fällen, die letztlich vor Gericht landeten, lauteten die Tatvorwürfe Diebstahl, Hehlerei, Raub oder räuberischer Diebstahl. Nur sechs Männern in drei Verfahren wurde sexuelle Nötigung vorgeworfen. Daneben gelangten Vorwürfe wie Beleidigung, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Drogenbesitz zur Anklage. Und so wurden denn auch die meisten Täter wegen Diebstahls oder Hehlerei verurteilt.
Die ausgesprochenen Strafen reichten von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Die mildeste Strafe waren 30 Tagessätze zu je zehn Euro auf Bewährung. Die härteste Strafe waren ein Jahr und zehn Monate Gefängnis ohne Bewährung wegen räuberischen Diebstahls. Sechs Verfahren sind noch offen.
Heftige Kritik an Kommunikation
Wenn auch die juristische Aufarbeitung ernüchternd ausfalle, so Schorn, so hätten doch die Behörden wenigstens aus den Vorfällen gelernt. Vor allem Polizei und Stadt hätten sich in der Folge bei Großereignissen ganz neu aufgestellt. „Etwas Vergleichbares wie in der Silvesternacht ist seitdem nicht ansatzweise wieder passiert“, sagte Schorn.
Auch die politische Aufarbeitung ist längst abgeschlossen. Ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag war ein Jahr später zu dem Ergebnis gekommen, schwere Fehler bei der Einsatzplanung und -ausführung hätten die Taten begünstigt. Dem Abschlussbericht zufolge sei in der Silvesternacht „ein möglichst rasches und vor allem frühzeitiges Eingreifen der Polizei und sonstiger Schutz- und Ordnungskräfte erforderlich gewesen“. Heftige Kritik übten die Politiker des Untersuchungsausschusses auch an der Kommunikation zwischen Polizei, Bundespolizei und städtischem Ordnungsamt in der Silvesternacht.