Köln – „Keine Zweifel“ habe er gehabt, sagt Stadtwerke-Aufsichtsratschef Harald Kraus: Die Oberbürgermeisterin habe „die Personalie“ schon Wochen vor der geplatzten Wahl von SPD-Fraktionschef Martin Börschel zum Stadtwerke-Chef gekannt. Das sei sein Eindruck aus den vorbereitenden Gesprächen mit den Spitzen von CDU und Grünen im so genannten „Viererausschuss“ des Aufsichtsrats gewesen. „Hätten wir als Arbeitnehmervertreter den Eindruck gehabt, dass Frau Reker nicht Bescheid weiß, hätten wir dieses Verfahren so nicht mitgetragen. Aber es gab in den Sitzungen des Vierer-Ausschusses nicht den geringsten Zweifel, dass Frau Reker Bescheid weiß.“
Die Äußerungen von Kraus nähren die Spekulationen, die OB könne mehr gewusst haben, als sie seit Bekanntwerden der Affäre um den intransparenten Posten-Klüngel sagte. Und auch in einer anderen Frage bringt Kraus die OB in Erklärungsnot. Reker hatte gesagt, dass sie nach dem Versand der nicht eindeutig formulierten Einladung zur entscheidenden Aufsichtsratssitzung mehrfach erfolglos die Zusendung von Unterlagen zur Sitzung eingefordert habe. Kraus sagt auf Nachfrage: „Nach meiner Kenntnis hat kein Aufsichtsratsmitglied im Vorfeld der Sitzung Unterlagen angefordert, auch nicht die Oberbürgermeisterin – weder bei mir persönlich, noch im Büro Zentrale Vorstands- und Verwaltungsangelegenheiten, noch bei der Geschäftsführung selbst.“
Was sagt die OB zu den Aussagen des Aufsichtsratschefs?
Rekers Sprecher Alexander Vogel sieht keinen Grund für neue Erklärungen: Aus Sicht der Oberbürgermeisterin sei alles gesagt, was zu dem Thema zu sagen sei. Die OB sei über den Plan, Börschel einen gut bezahlten Spitzenposten bei den Stadtwerken zu geben, nicht vorab informiert worden.
Wer hat Recht?
Die Gemengelage ist kompliziert. Dass nicht alle die ganze Wahrheit sagen, scheint klar. Weil niemand bislang klar Ross und Reiter nennt, bleibt es bei vagen Formulierungen, die Interpretationsspielraum lassen. Wenn die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender, aber auch andere Beteiligte wie offensichtlich auch die SPD davon ausgehen, dass die Vertreter des schwarz-grünen Ratsbündnisses die OB informieren, heißt das noch nicht, dass sie das wirklich getan haben. Sollte das nicht so gewesen sein und sie gegenüber anderen Beteiligten das Gegenteil behauptet haben, hätten sie diese getäuscht. CDU-Chef Petelkau und der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank sagten am Freitag auf Nachfrage, dass sie die Oberbürgermeisterin nicht informiert hätten.
Warum ist es so schwer, die Wahrheit herauszufinden?
Kraus führt an, er könne nicht sagen, woher sein zweifelsfreier Eindruck rührt. Gespräche und Verhandlungen aus dem Aufsichtsrat unterliegen der Schweigepflicht. Wer Details ausplaudert, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Dass das SPD-Mitglied Kraus dem Parteifreund Börschel aus parteipolitischen Gründen beispringt, ist eher unwahrscheinlich. Kraus hat keine Funktion in der Kölner SPD und hat sich als Arbeitnehmervertreter immer wieder auch mit seiner Partei angelegt.
Die anderen Beteiligten hüten sich bislang davor, andere öffentlich der Lüge zu bezichtigen. So sind weiterhin verschiedene Varianten möglich: Vom politischen Ränkespiel über die Vertuschung eigener Verfehlungen bis hin zum Unvermögen mehrerer Beteiligten. Das, was verschiedene Politiker in den vergangenen Tagen in vertraulichen Hintergrundgesprächen gesagt haben, lässt keinen Zweifel daran, dass auch mit Unwahrheiten und gezielt gestreuten falschen Fährten versucht wird, die eigene Haut zu retten. Unklar ist jedoch, welcher der Akteure Recht hat und welcher nicht.
Welche gesicherten Informationen gibt es?
Bei den Stadtwerken war die Stelle eines nebenamtlichen Geschäftsführers zu besetzen. Der Job, von dem es bei dem städtischen Konzern insgesamt drei gibt, war unbesetzt, nachdem dem Vorstandschef der Hafengesellschaft HGK, der Sozialdemokrat Horst Leonhardt, im Januar 2018 in den Ruhestand gegangen war. Die Aufsichtsratsmitglieder erhielten eine vom 29. März datierte Einladung zu einer Sitzung am 17. April. Der erster Punkt auf der Tagesordnung: „Geschäftsführungsangelegenheiten; Besetzung der Geschäftsführung.“ Die Stelle eines hauptamtlichen Geschäftsführers, die mit dem Sozialdemokraten Martin Börschel besetzt werden sollte, gibt es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Jedoch wurde in Kreisen des Aufsichtsrates bereits seit längerem darüber diskutiert.
Am 9. April trafen sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker und SPD-Fraktionschef Martin Börschel zu einem Gespräch im Rathaus. Sie werden von je einem Mitarbeiter begleitet: Solche Termine mit Fraktionsspitzen, in denen es auch um einen Meinungsaustausch über die wichtigen anstehenden Themen geht, führt Reker immer wieder mal.
Am Samstag, 14. April, informieren die Grünen-Fraktionsspitzen Kirsten Jahn und Jörg Frank andere führende Vertreter der Grünen über die beabsichtigte Wahl Börschels zum Stadtwerke-Geschäftsführer. Aus dem Kreis des Vorstandes nahmen aber nur die stellvertretende Grünen-Chefin Katja Trompeter und die Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge Teil. Die anderen konnten den kurzfristig anberaumten Termin nicht wahrnehmen. Trompeter und Dröge lehnten den Plan ab.
Am 17. April, dem Tag der Aufsichtsratssitzung, legte Oberbürgermeisterin Henriette Reker schriftlich Widerspruch gegen mögliche Entscheidungen ein, da sie wegen einer Dienstreise nicht persönlich an der Abstimmung teilnehmen konnte, und vorher keine Unterlagen bekommen hatte. Der Aufsichtsrat musste die Wahl verschieben. Der Arbeitsvertrag mit Börschel war bereits ausgehandelt. Sein Gehalt kann einschließlich einer variablen Erfolgszulage im günstigsten Fall eine Summer von rund 500 000 Euro im Jahr erreichen. Am Abend des selben Tages wurde die CDU-Fraktion über den verabredeten Postendeal informiert.
Am 30. April legen der CDU-Vorsitzende Bernd Petelkau und Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank aufgrund der öffentlichen Kritik ihre Mandate im Stadtwerke-Aufsichtsrat nieder. Der Aufsichtsrat kam in einer weiteren Sitzung dem Antrag Rekers nach, zuerst einmal die Notwendigkeit der neuen Stelle prüfen zu lassen.