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Luftrettung in KölnNotfalleinsatz zwischen Himmel und Erde – Unterwegs im „Christoph Rheinland“

Lesezeit 9 Minuten
Unterwegs von Koblenz nach Köln: Notarzt Christian Paul sitzt in der Kabine des Hubschraubers neben einer Patientin mit einer Blutvergiftung.

Unterwegs von Koblenz nach Köln: Notarzt Christian Paul sitzt in der Kabine des Hubschraubers neben einer Patientin mit einer Blutvergiftung.

Der Intensivtransporthubschrauber verlegt schwerstverletzte oder sterbenskranke Patienten. Hinter den Kulissen der Luftrettung in Köln.

Die Patientin, die die Kölner Rettungshubschrauber-Crew in einem Koblenzer Krankenhaus abholen soll, leidet an einer Blutvergiftung. Akutes Nierenversagen ist zu befürchten, die 60-Jährige hat eine komplizierte Krankheitsgeschichte hinter sich. Aber: Sie ist durchaus guter Dinge – vor allem, als sie erfährt, dass sie gleich mit dem Hubschrauber fliegen wird.

„Das wollte ich immer schon mal machen, hat sich aber nie ergeben“, sagt sie mit schwacher Stimme und einer Sauerstoffbrille auf dem Gesicht, als Notarzt Christian Paul und Notfallsanitäter Thorsten Kruse in ihr Zimmer treten, um sie mitzunehmen. „Sehr gut“, sagt Paul. „Was sagen wir denn dem Piloten? Soll er sich benehmen? Oder ein paar Loopings drehen?“ Die 60-Jährige lacht.

Köln: Mit dem Hubschrauber in 25 Minuten von Bett zu Bett

Pilot Andreas Hegenbarth wartet unten am Helikopter. Paul und Kruse schieben die Frau auf einer Trage in den Hubschrauber. Paul setzt ihr Kopfhörer gegen den Lärm auf. Im Cockpit gehen Kruse und Pilot Hegenbarth die Checkliste für den Start durch, die Rotoren beginnen sich zu drehen, und unter Getöse hebt der „Christoph 75 Rheinland“ ab. Seit dem frühen Morgen schon begleitet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die dreiköpfige Crew auf ihrer heutigen Schicht.

Die 60-jährige Frau braucht an diesem Nachmittag Ende Dezember dringend eine Blutwäsche. In Koblenz geht das nicht, sie muss in die Kölner Uniklinik gebracht werden. Weil die Zeit drängt und ein Rettungswagen ungefähr 90 Minuten von Krankenhaus zu Krankenhaus unterwegs wäre, wird sie mit dem Hubschrauber transportiert. Knapp 25 Minuten von Bett zu Bett, immer am Rhein entlang, dem Sonnenuntergang entgegen.

Eingespielte Crew: Pilot Andreas Hegenbarth, Notfallsanitäter Thorsten Kruse und Notarzt Christian Paul vor dem Intensivtransporthubschrauber „Christoph 75 Rheinland 75“ am Flughafen Köln/Bonn.

Eingespielte Crew: Pilot Andreas Hegenbarth, Notfallsanitäter Thorsten Kruse und Notarzt Christian Paul vor dem Intensivtransporthubschrauber „Christoph 75 Rheinland 75“ am Flughafen Köln/Bonn.

Nach ein paar Minuten taucht rechts der Drachenfels auf, fast zum Greifen nah. Links kommt bald darauf der Kölner Dom in Sichtweite. Im Liegen hält die Patientin mit der Blutvergiftung den fantastischen Ausblick mit der Handykamera fest. Der Zustand der Frau ist stabil, das könnte sich aber jederzeit ändern. „Alles ok hinten bei euch?“, fragt Sanitäter Kruse über den Bordfunk. „Alles gut bei uns“, antwortet Notarzt Paul. Um 16.50 Uhr landet der „Christoph Rheinland“ sicher auf dem Dach der Uniklinik.

Auch wenn diesmal alles besonders glatt lief, nicht immer ist die Stimmung an Bord so entspannt wie auf diesem Flug. Der 2400 PS-starke Airbus-Hubschrauber ist eine fliegende Intensivstation, er transportiert meist schwerstverletzte oder sterbenskranke Menschen, für die mitunter jede Minute zählt. Ausgerüstet ist der Helikopter ähnlich wie eine Intensivstation im Krankenhaus. Wenn es sein muss, könnte einem Patienten in der Luft ein Bein amputiert werden.

Was sagen wir denn dem Piloten? Soll er sich benehmen? Oder ein paar Loopings drehen?
Christian Paul, Notarzt

Wie der orangefarbene Rettungshubschrauber „Christoph 3“ fliegt auch der gelbe „Christoph Rheinland“ Notärzte direkt zu Unfall- und Einsatzorten. Vor allem aber ist er zuständig für „High-End-Intensivverlegungen“ von einem Krankenhaus in ein anderes. Er bringt zum Beispiel Frühgeborene in Inkubatoren (Brutkästen) von Kinderklinik zu Kinderklinik oder transportiert Patienten mit angeschlossener Herz-Lungen-Maschine.

„Wenn ein Patient in einem Krankenhaus nicht weiter behandelt werden kann, weil das Haus am Limit seiner Behandlungsmöglichkeiten ist, bringen wir ihn dorthin, wo er auf einem höheren Level versorgt werden kann“, erklärt Notarzt Christian Paul.

Schneller und schonender geht es kaum. In einem Rettungswagen nimmt der Patient jede Bodenwelle mit, jedes Schlagloch, jede Kurve, jedes Brems- und Beschleunigungsmanöver. Für Säuglinge kann das besonders gefährlich sein, bei Erschütterungen neigen sie schnell zu Hirnblutungen.

Beim morgendlichen Briefing vor dem ersten Start checkt die dreiköpfige Besatzung unter anderem den aktuellen Wetterbericht.

Beim morgendlichen Briefing vor dem ersten Start checkt die dreiköpfige Besatzung unter anderem den aktuellen Wetterbericht.

Haupteinsatzgebiet für den „Christoph Rheinland“ ist ein Radius von ungefähr 70 Kilometern um Köln. Aber es gehen auch immer wieder Transporte in spezielle Reha-Zentren oder Kliniken zum Beispiel an die Ostsee, nach München oder Berlin. 900 Liter Kerosin fasst der dreieinhalb Tonnen schwere Intensivtransporthubschrauber, das reicht in der Regel für zweieinhalb, maximal drei Flugstunden. Bis Berlin sind es auf direktem Wege ungefähr zweieinviertel Stunden — wenn die äußeren Umstände mitspielen.

An diesem Morgen, zu Beginn der Schicht um 6.30 Uhr, ist das Wetter noch trübe. Es ist kalt und dunkel. Der Flughafen Köln/Bonn, die Bodenstation des „Christoph Rheinland“ und des „Christoph 3“, ist in dichte Wolken gehüllt. Es nieselt. Mit einem Traktor hat die Crew den „Christoph Rheinland“ wie jeden Morgen aus dem Hangar 1 auf das zugige Vorfeld gezogen. Dort steht er jetzt auf einem Podest, gewartet und voll getankt, bereit für den ersten Einsatz des Tages.

Regen stört uns nicht. Das Problem sind Wolken und Nebel, eine gute Sicht ist wichtig
Thorsten Kruse, Notfallsanitäter

Als einziger Rettungs- oder Intensivhubschrauber Deutschlands trägt er auf Betreiben seiner Kölner Besatzungen übrigens ein Wunschkennzeichen mit Lokalkolorit. Während alle anderen Helikopter nach dem „D“ für Deutschland und dem „H“ für Hubschrauber drei willkürliche Buchstaben verwenden, heißt der „Christoph Rheinland“ ganz offiziell D-HDOM. An den Triebwerksklappen wurden zudem zwei dezente Aufkleber mit der Silhouette der Kölner Skyline angebracht — und der Schriftzug „Kölsch Mädche“.

Um kurz nach sieben treffen sich Pilot, Notarzt und Notfallsanitäter zum Morgenbriefing. Die Software „Rescue Track“ wirft Wetter- und Einsatzdaten auf einen Monitor an der Wand. Draußen dämmert es , die aktuelle Wolkenuntergrenze in Köln beträgt um die 150 Meter, die Sicht fünf bis acht Kilometer. Nicht perfekt zum fliegen, aber auch nicht unmöglich.

Anders als der Rettungshubschrauber „Christoph 3“, dessen Crew in einem benachbarten Gebäude am Flughafen untergebracht ist, ist der „Christoph Rheinland“ mit einem Nachtsichtgerät ausgestattet. Die spezielle Brille wird auf dem Helm des Piloten installiert, der damit bei freier Sicht grundsätzlich im Dunkeln fliegen kann.

Gemeinsames Frühstück in der Bodenstation am Flughafen Köln/Bonn.

Gemeinsames Frühstück in der Bodenstation am Flughafen Köln/Bonn.

Auch Regen ist in Regel kein Problem. „Regen stört uns nicht“, sagt Sanitäter Kruse. „Das Problem sind Nebel und Wolken, eine gute Sicht ist wichtig.“ Im Zweifel bleibt der Hubschrauber eben am Boden. Aktuell aber ist der „Christoph Rheinland“ „bedingt einsatzbereit“. Und die Wolken sollen noch aufreißen, sagt die Wetterprognose, außerdem wird es gleich hell.

Im Aufenthaltsraum der Station haben Kruse, Paul und Hegenbarth das Frühstück vorbereitet. Es gibt Brötchen, Brot, Wurst, Käse und frisch gekochte Eier. Kaffee und Tee. Ihre Schicht dauert bis 22.30 Uhr. „Maximal dürfen wir das im Sommer vier Tage am Stück machen, im Winter sieben, weil da die Ruhezeiten zwischen den Schichten länger sind“, sagt Pilot Hegenbarth.

Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und auch noch mit dem Nützlichen verbunden – das ist das i-Tüpfelchen für mich
Andreas Hegenbarth, Pilot

Wenn er vom Fliegen erzählt, wird sofort klar: Mit seinem Job hat sich der 58-Jährige einen Kindheitstraum erfüllt. Die Nachbarsfamilie hatte ein Hubschrauberunternehmen, erzählt Hegenbarth, dort hat er eine Lehre als Hubschraubermechaniker absolviert, 1989 die Privatpilotenlizenz erworben, 1994 ging es zur Berufspilotenschule. Seit 2002 ist Hegenbarth Pilot im Rettungsdienst beim ADAC. „Das war für mich das i-Tüpfelchen“, sagt er. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und das auch noch mit dem Nützlichen verbunden, mit der Rettung.“ Mit 10.700 Flugstunden ist der Stationsleiter der erfahrenste der vier ADAC-Piloten des „Christoph Rheinland.“

Um 12.28 Uhr ertönt der Alarmgong in der Station. Es geht nach Mechernich. Im dortigen Krankenhaus liegt eine Patientin mit einer Hirnblutung. Die 86-Jährige ist am Morgen mit dem Kopf auf das Waschbecken gestürzt, ein Rettungswagen hat sie ins Krankenhaus gebracht, aber dort gibt es keine neurochirurgische Abteilung. Die Frau muss nach Bonn in die Uniklinik verlegt werden. Ein Fall für das „Kölsch Mädche“.

Der „Christoph 75 Rheinland“ hebt ab nach Mechernich: Eine Patientin soll von dort in die Uniklinik nach Bonn verlegt werden.

Der „Christoph 75 Rheinland“ hebt ab nach Mechernich: Eine Patientin soll von dort in die Uniklinik nach Bonn verlegt werden.

Während Notarzt Christian Paul mit dem behandelnden Arzt in Mechernich telefoniert, um sich medizinische Details geben zu lassen, planen Pilot Andreas Hegenbarth und Notfallsanitäter Thorsten Kruse den Flug. Wie ist das Wetter? Wie hoch das Abfluggewicht? Reicht der Sprit? Wo kann man landen?

Bei einem Hubschraubereinsatz auf dem freien Feld oder mitten in der Stadt ist das häufig kompliziert. Groß genug sollte er sein, der perfekte Landeplatz, eben und trocken. Fester Untergrund, damit der Patient oder die Patientin auf der Trage bis an die Kabine herangerollt werden können. „Ein Maisfeld ist da eher ungünstig“, sagt Notarzt Paul. „Blöd sind auch Vorgärten mit Trampolinen, die heben gerne mal ab.“

Fußballplätze sind nicht schlecht geeignet, aber auch hier lauern Fallen: Trockene Asche geht fliegen, Drainageleitungen unter Kunstrasenlätzen knicken unter dem Gewicht von dreieinhalb Tonnen Hubschrauber ein. „Besonders schwierig wird es, wenn du in die Straßen zwischen die Häuser reingehst“, sagt Pilot Hegenbarth. „Da sind im Sommer überall die Markisen draußen, Mülltonnen stehen rum, die wegfliegen können. Das richtet nicht nur Schäden an, sondern ist auch gefährlich. Und wenn so ein Schirm in den Rotor gerät, stehen wir.“

Köln: Zu große oder zu breite Patienten passen nicht in den Hubschrauber

In diesem Fall aber ist das alles kein Problem, die Krankenhäuser in Mechernich und Bonn verfügen über eigene Hubschrauberlandeplätze. In Köln eilt die Crew zum Hubschrauber. 90 Sekunden dauert es vom Einsitzen bis zum Abflug, die Systeme müssen hochgefahren, Startberechtigungen über Funk eingeholt werden. Dann hebt der „Christoph Rheinland“ ab.

Um 12.48 Uhr, 20 Minuten nach Alarmierung, stehen Notarzt Paul und Sanitäter Kruse neben dem Krankenbett der 86-jährigen Patientin in Mechernich. Die Frau ist ansprechbar, ihr Gesicht ist stark geschwollen und blutunterlaufen. Paul versucht, ihr die Angst zu nehmen. „Sind Sie aufgeregt?“, fragt er mit ruhiger Stimme. „Brauchen Sie nicht. Ich setze Ihnen gleich Kopfhörer auf, damit es nicht so laut ist. Der Flug dauert zehn Minütchen, geht schnell. Bleiben Sie einfach still liegen und versuchen Sie, die Aussicht zu genießen. Ich bin die ganze Zeit bei Ihnen.“

In Koblenz schiebt Notfallsanitäter Thorsten Kruse eine Patientin in den Hubschrauber - sie wird in die Uniklinik nach Köln geflogen.

In Koblenz schiebt Notfallsanitäter Thorsten Kruse eine Patientin mit Blutvergiftung in den Hubschrauber – sie wird in die Uniklinik nach Köln geflogen.

Paul und Kruse schieben die normalgewichtige Frau auf einer Trage durch das Krankenhaus bis in die Kabine des Helikopters, Paul nimmt auf dem Sitz neben ihr Platz. Die Patiententrage im Hubschrauber fasst bis zu 210 Kilo. Das größere Problem aber ist die Enge, zu große oder zu breite Patienten passen nicht in das Fluggerät.

Auf dem Dach der Bonner Uniklinik nimmt das Aufsichtspersonal der Feuerwehr die Flugretter in Empfang. Paul und Kruse bringen ihre Patientin bis auf die Station — und machen sich nach dem Übergabegespräch mit dem Krankenhauspersonal wieder auf den Weg aufs Dach. Dort wartet Pilot Hegenbarth an der Maschine. Wie es der 86-Jährigen weiter ergeht, ob sie überlebt, das erfahren die Retter in aller Regel nicht. Eine Rückmeldung erhalten sie selten. Oft bedauern sie das — und freuen sich umso mehr über unerhofftes Feedback. Zum Beispiel das eines kleinen Jungen, der in Kerpen in einen Gartenteich gefallen war. Der „Christoph Rheinland“ hat ihn in die Klink geflogen. „Er hat sich später gewünscht, dass wir ihm einen Teddy vorbei bringen“, erzählt Thorsten Kruse. Ein Foto des Jungen steht seitdem im Aufenthaltsraum der Luftretter.

Zurück in Köln-Bonn lässt Hegenbarth den Hubschrauber betanken. Dafür gibt es am Flughafen extra Personal. Am Computer dokumentiert Hegenbarth den Flug. Notarzt Christian Paul zieht sich einen Kaffee am Vollautomaten in der Küche. „Das hier ist schon ein sehr spezieller Arbeitsplatz“, sagt der 53-jährige Notarzt. „Aber auch ein sehr faszinierender.“ Er sei sehr stolz darauf, mitfliegen zu dürfen. Fester Bestandteil dieser Crew zu sein, sagt Paul, empfinde er als große Ehre. Auch noch nach all den Jahren.