Nachdem Spürhunde angeschlagen haben, suchten Ermittler nach verdächtigen Gegenständen im Bereich der Keupstraße. Mittlerweile ist auch Bundespräsident Steinmeier eingetroffen.
Bombenspürhunde hatten angeschlagenBirlikte-Gedenkfest startet mit einem Schreckmoment
Weil Bombenspürhunde der Polizei an der Hauptbühne des Gedenkfestes Birlikte in Köln-Mülheim angeschlagen hatten, hat die Polizei Entschärfer der Bundespolizei angefordert. Gegen 14:30 Uhr gab die Polizei Entwarnung: Die Ermittler konnten keine gefährlichen Gegenstände finden. Das Birlikte-Gedenkfest kann nach stundenlanger Verzögerung starten. Das bestätigte ein Sprecher der Polizei dem „Kölner Stadt-Anzeiger.“ Wie der Sprecher angibt, hatten die Hunde im Bereich eines Hydranten angeschlagen. Auch Kräfte des Bundeskriminalamtes (BKA) sowie Kräfte der Berufsfeuerwehr waren vor Ort.
Auf der Bühne sollten gegen 13.30 Uhr unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Oberbürgermeisterin Henriette Reker Reden halten. Die Ankunft der Politiker verzögerte sich. Erst gegen 14:30 Uhr trafen Steinmeier, Reker und Wüst auf der Keupstraße ein. Sie versammelten sich vor dem Anschlagsort, auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Turhan Kaya, türkischer Generalkonsul und Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden sind vor Ort.
Birlikte-Gedenkfest: Auch Karl Lauterbach vor Ort
Um 11.40 Uhr hatten bereits alle Geschäfte auf der Keupstraße Tische vor ihren Läden aufgebaut. Deutsche und türkische Fahnen wehen vor der Keupstraße 23, dort, wo vor 20 Jahren eine Nagelbombe der rechtsextremen NSU explodierte und mehr als 20 Menschen zum Teil schwer verletzte als plötzlich Unruhe aufkam: Polizisten und Sicherheitskräfte führten hektische Gespräche. Dann sickerte durch, dass zwei Spürhunde der Polizei angeschlagen haben. Die Polizei räumte den Eingangsbereich der Keupstraße, wo sich die Hauptbühne des Gedenkfestes befindet.
Auch mehrere Lokale am Eingang der Keupstraße wurden geräumt. In einem der Läden hielten sich zum Zeitpunkt der Räumung noch der Vorstand der IG Keupstraße um Meral Sahin und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf. Wie lange die Prüfung durch die Kräfte der Bundespolizei andauern werden, ist aktuell unklar. Offiziell heißt es, dass es zu Verzögerungen kommt und die Veranstaltung zeitlich nach hinten verschoben wird.
Dabei könnte es keinen besseren Tag für das Birlikte-Fest geben als den Tag der Europawahl: Birlikte heißt gemeinsam, ein türkisches Wort, das für den Zusammenhalt von Menschen unterschiedlicher Kulturen steht. Derweil in Europa ein Krieg mit täglich neuen Schreckensmeldungen und Eskalationspotenzial tobt, gewinnen rechtsextreme und populistische Parteien in ganz Europa an Zustimmung. Parteien, die die Gesellschaft spalten wollen und Hass säen. Was ist da – 20 Jahre nach dem brutalen NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße, in deren Folge die türkischstämmige Community von Ermittlungsbehörden über Jahre zu Unrecht verdächtigt wurde – wichtiger als Zusammenhalt?
Umfangreiches Programm bei Birlikte
Gemeinschaft sollte am Sonntag in Mülheim schon vor den Auftritten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Hendrik Wüst, der sich schon in einem Gastbeitrag im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon vorab bei den Opfern des NSU-Anschlags entschuldigt hatte, überall zu spüren sein. In Führungen sollen Menschen über die Keupstraße wandern und etwas etwas über die Hintergründe des Gastarbeiterabkommens mit der Türkei und des Attentats auf der Straße lernen.
Das Programm ist so vielfältig wie seine Akteure: Lesungen, Ausstellungen, Aufführungen und Konzerte gibt es nicht nur auf zwei Bühnen, sondern auch im Schauspiel an der Schanzenstraße, auf der Straße, in Cafés, Restaurants und in Hinterhöfen. Um 11 Uhr wird der Film „Der Kuaför aus der Keupstraße“ gezeigt, vor dem Haus des Friseurs explodierte die von der rechtsextremen NSU dort deponierte Nagelbombe, die mehr als 20 Menschen zum Teil schwer verletzte.
Eine Präsentation und ein Podiumsgespräch sollen sich mit dem geplanten Mahnmal an der Keupstraße beschäftigen. Über Wege zum Gedenken an rechtsextreme Gewalt und deren Aufarbeitung sollen derweil Aktivist Gianni Jovanovic, Ayşe Güleç von der Bundeszentrale für politische Bildung und Sozialwissenschaftler Fabian Virchow im Depot 1 des Schauspiels diskutieren. Später soll dann ein Podium über die Rolle der Medien in Bezug auf rechtsextremen Terror diskutieren, bevor über Kölner Strategien gegen Rechtsextremismus debattiert werden soll.
Cihat Genç ist da, Angehöriger der bei einem rechtsextremistischen Brandanschlag von Solingen ermordeten Familie Genç um Bildungsarbeit aus der Sicht von Betroffenen zu sprechen, und Ibrahim Arslan, Überlebender des Brandanschlags von Mölln.
Am Abend soll dann Schriftsteller Navid Kermani, der scheidende Schauspiel-Intendant Stefan Bachmachen und Regisseur Nuran David Calis („Die Lücke“) über „die Kraft der Veränderung in Köln-Mülheim durch die große Kunst der Nachbarschaft“ diskutieren. Auf der großen Bühne sind am Nachmittag und Abend Auftritte der Bands, die sich schon seit langem gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren geplant, von Bring bis Microphone Mafia, Kasalla, Eko Fresh, Paveier bis Bläck Fööss und Carolin Kebekus.