Joybrato Mukherjee spricht über Erfolg als Kollektivleistung, seine Beziehung zum Karneval, Köln und den verlorenen Status als Exzellenz-Uni.
Interview mit neuem Rektor der Uni Köln„Studierende sind keine Kunden der Universität“
Herr Mukherjee, Sie sind seit Anfang Oktober im Amt. Wie waren Ihre ersten Wochen als Rektor?
Sehr voll, wie das am Anfang eben ist. Ich war seit der Wahl am 10. Mai im Sommer aber schon mehrfach hier, Herr Freimuth (scheidender Rektor, Anm. d. Red) hat mit seinem Team eine wunderbare Übergabe organisiert, damit in verschiedenen Prozessen kein Bruch da ist. Es ist nun die Phase, in der man viele Kennenlerngespräche führt, Antrittsbesuche absolviert, in die Uni eintaucht und ein Gespür dafür entwickelt, wie diese Institution tickt.
Was hat Sie ausgerechnet an der Universität zu Köln gereizt?
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Die Universität zu Köln ist eine der größten klassischen Volluniversitäten. Wir haben hier sehr starke Bereiche bis hin zu Exzellenzclustern, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr erfolgreich zusammenarbeiten. Wir haben aber auch viele sogenannte kleine Fächer, die für das Profil auch wichtig sind und die die universitas (lateinisch für die Gesamtheit, Anm. d. Red.) ausmachen. Aufgrund der Größe und letztlich auch der Geschichte, die bis 1388 zurückgeht, haben wir eine Taktgeberfunktion, die nicht viele Universitäten haben. Mit und in Köln Akzente zu setzen, die auch über Köln hinaus Gewicht haben, ist ein Reiz. Für mich persönlich ist es natürlich reizvoll, in die Heimatregion zurückzukehren.
Neuer Uni-Rektor in Köln Mukherjee im Rheinland aufgewachsen
Sie kommen gebürtig aus Düren und haben in Aachen studiert, wurden in Bonn promoviert und haben sich dort auch habilitiert. War das schon immer ein Vorhaben, früher oder später ins Rheinland zurückzugehen?
In meinem Leben sind die wichtigsten Karriereschritte nicht geplant gewesen. Ich wollte eigentlich Lehrer werden und bin Professor geworden, dann wollte ich Professor bleiben und bin Präsident der Universität Gießen geworden. Wie das so ist, wenn man habilitiert ist, bewirbt man sich für alle möglichen Professuren und dann hat es mich nach Gießen verschlagen. Das war ein Sechser im Lotto, weil mir diese Stadt so viel ermöglicht hat in jungen Jahren. Welche Universität beruft schon jemanden mit 29 auf einen Lehrstuhl in einem Fach, in dem Gießen zu den besten Adressen gehört?
Wie erleben Sie die Stadt Köln?
Köln ist eine tolle, weltoffene, tolerante Stadt, die Hauptstadt der Diversität. Ich bin froh, hier in Köln zu sein.
Die fünfte Jahreszeit in Köln steht vor der Tür. Wie stehen Sie zum Karneval?
Grundsätzlich halte ich den Karneval für etwas, was das Rheinland sehr auszeichnet. Ich habe das in der Jugend im Rheinland natürlich mitgemacht, das gehört zu meiner Sozialisation. In Hessen gibt es zwar auch eine karnevalistische Tradition, aber das ist etwas anderes als in Köln. Ich werde mich da nun wieder eingrooven.
2019 hat Köln den Status als Exzellenzuni verloren. Derzeit läuft der erneute Exzellenzprozess: Die Uni Köln muss erst ihre Exzellenzcluster für den nächsten Förderzeitraum ab 2025 bewilligen lassen. Nur wer mindestens zwei Cluster hat, kann sich dann auf den Titel Exzellenzuni bewerben. Was ist jetzt zu tun, um die Chancen zu verbessern?
Da muss man sprachlich sehr genau unterscheiden. Die Uni Köln ist, war und wird immer eine exzellente Uni sein. Dann gibt es die Frage nach dem Status in der zweiten Förderlinie der sogenannten Exzellenzstrategie. Wenn man den Status sieben Jahre lang hatte und ihn dann verliert, ist das für alle eine zutiefst ärgerliche Entwicklung. Wir strengen uns an, ihn zurückzuerlangen. In der nächsten Runde sind die Spielregeln aber fundamental anders als bisher.
Und zwar?
Bisher war es immer so, dass die Plätze von null auf neu vergeben wurden. Es gab keine Universitäten, die schon einen Platz sicher hatten. Die Universitäten, die 2019 ausgewählt wurden, sind aber nun auf eine Dauerförderung eingestellt, es sei denn sie werden negativ evaluiert. Eine Universität Bonn oder eine RWTH Aachen müssen gar keinen neuen Antrag stellen. Für Neuanträge gibt es überhaupt nur bis zu vier Plätze in der gesamten Bundesrepublik. Deswegen muss man realistisch sagen, dass es ein deutlich härterer Wettbewerb ist als bisher.
Im Ranking nur auf Platz 160
Über den Nutzen von internationalen Universitäts-Rankings lässt sich bestens streiten. Auf dem von Time Higher Education, kurz „THE“, ist die Uni Köln mittlerweile auf dem Platz 160 angekommen. Als die beste deutsche Universität gilt die TU München, allerdings auch erst auf dem 30. Platz. Warum liegen deutsche Universitäten so weit zurück?
Wenn ich mal für einen Moment den Hut des DAAD-Präsidenten aufsetze: Es gibt Länder, wo die Studierenden und ihre Eltern sehr genau auf diese Rankings schauen. Wenn man nicht unter den Top x ist, fällt man schon heraus. In Deutschland haben wir eine Sondersituation: Spitzenforschung findet nicht nur an den Unis statt. Wir haben die außeruniversitären Einrichtungen wie etwa die Max-Planck-Institute. Ein ehemaliger Max-Planck-Präsident hat einmal gesagt, wenn die Max-Planck-Gesellschaft eine Uni wäre, dann wäre sie weltweit ganz vorne gerankt. Das Wissenschaftssystem in Deutschland bezieht seine Stärke aber nicht daraus, dass es zwei oder drei Topinstitutionen hat und der Rest ist Schrott, sondern aus der hohen Qualität in der Breite.
Mentale Gesundheit beschäftigt Studierende
In der Studierendenschaft spielt das Thema mentale Gesundheit, besonders auch seit Corona, eine große Rolle. Der Stress ist durch die Teuerung des Lebens besonders hoch. Wie stehen Sie zu der studentischen Forderung, für Prüfungen unbegrenzte statt nur drei Versuche zu haben?
Wir haben in der Corona-Pandemie die Möglichkeit geschaffen, dass die üblicherweise maximale Zahl an Versuchen erweitert wurde. Das war eine angemessene und notwendige Reaktion auf diese besondere Belastungssituation. Ob man das zum Muster macht auch für die Zeit nach der Pandemie, muss man auch mit den Fakultäten diskutieren, die für die Studienordnungen verantwortlich sind. Da kommt es also nicht nur auf die Meinung des Rektors an. Es muss alles handhabbar sein, es darf nicht zur Überlastung bei Lehrenden führen. Insofern sollte man ohne Schaum vor dem Mund darüber sprechen, wie man eine gemeinsame Linie findet. Es gibt, glaube ich, hier keine Prüfenden, die sagen, in einer Belastungssituation soll es für Studierende keine zusätzliche Möglichkeit geben. Härtefallanträge sind ja auch heute schon möglich.
Welche Auswirkungen hat es auf die Studierendenschaft, wenn die Stadt so attraktiv ist, dass man sich kaum ein WG-Zimmer leisten kann. Wie kann man das ausgleichen?
Neben der Frage nach der Kinderbetreuung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind auch studentischer Wohnraum, Lebenshaltungskosten und angemessene Bafög-Sätze Fragen, die uns brennend interessieren, weil sie die Rahmenbedingungen unseres Arbeitens bestimmen. Aber wir können über sie gar nicht überall selbst entscheiden. Es tut manchmal auch weh, dass wir von anderen abhängig sind. Gerade die Uni Köln muss eine Universität sein, die allen offensteht, sie muss eine Universität sein, an der nicht auf kaltem Weg eine soziale Segregation stattfindet. Das darf nicht sein, dagegen müssen wir uns positionieren.
Also wünschen Sie sich, dass von der Politik ein deutliches Zeichen kommt, dass studentischer Wohnraum in ausreichendem Maße sichergestellt wird.
Da gibt es verschiedene Stellschrauben, und das Deutsche Studierendenwerk hat diese bereits mehrfach thematisiert. Wir brauchen natürlich andere Bafög-Sätze; von Jahr zu Jahr nicht sinkende Anteile von Studierenden, die Bafög bekommen, sondern steigende; und wir brauchen natürlich grundsätzlich eine höhere Quote an Studierenden, die mit Wohnraum vom Studierendenwerk versorgt werden können. Das alles kann nicht die Universität leisten.
In Ihrer Rede zum Semesterstart appellieren Sie an die Studierenden, sich als Mitglieder und nicht als Kunden der Universität zu begreifen.
Ich habe darauf hingewiesen, dass Studierende in Deutschland nach dem Gesetz Mitglieder der Universität sind, nicht nur die Lehrenden und Beschäftigten. Deswegen sind sie auch in allen Gremien vertreten, deswegen wählen sie auch ihre Vertreterinnen und Vertreter. Mitgliedschaft bedeutet auch, dass man nicht wie als Kunde darauf wartet, dass einem eine Serviceleistung angedient wird, sondern dass man die Verantwortung hat, selbständig diese Universität zu gestalten. Der studentische Erfolg ist auch Teil des Erfolgs dieser Uni.
30 Prozent der Studierenden an der Uni köln studieren auf Lehramt
Die Bildungssituation in Deutschland ist nicht rosig, es gibt starke Defizite in der Lesekompetenz von Grundschülern, Lehrkräfte fehlen. Wie wirkt sich das möglicherweise auf die Universitäten aus?
Knapp 30 Prozent unserer Studierenden sind Lehramtsstudierende. Das sind die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer, die in den Klassenräumen stehen, in denen die Ergebnisse erzielt werden, von denen Sie gerade berichten. Allein deswegen müssen wir alle Energie darauf verwenden, dass die Lehrkräftebildung weiterentwickelt und noch besser wird. Die Lehrerpersönlichkeit ist und bleibt ein entscheidender Faktor. Wir müssen die Studierenden erfolgreich ins Studium integrieren. Wir haben in Köln eine ganze Reihe von Programmen, damit auch die, die vielleicht nicht alle Kompetenzen mitbringen, diese über Brückenkurse am Anfang ihres Studiums erwerben können. Wir haben die Verantwortung, nicht nur die, die als perfekte Erstsemester kommen, zum Abschluss zu führen, sondern auch die, die vielleicht die eine oder andere Lücke haben.
Mittelfristig will die Uni Köln noch stärker mit der Universität Bonn zusammenarbeiten. Ein gemeinsames Großprojekt, nämlich der Innovationspark Köln/Bonn ist geplant. Wie weit sind die Planungen und was soll dort genau stattfinden?
Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Wir wollen gerne mit unseren Freunden in Bonn in einem solchen Innovationspark, auf einer Fläche, die zwischen Köln und Bonn liegt, Forschungs- und Transferaufgaben gemeinsam wahrnehmen. Wir könnten uns vorstellen, dass dort Forschungsbauten entstehen und eine Fläche für die Interaktion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Diese Perspektive ist für uns bedeutsam, denn hier in Lindenthal gibt es kaum Entwicklungsflächen.
Zur Person: Der Anglist Joybrato Mukherjee, Jahrgang 1973, wurde als Sohn indischer Einwanderer in Düren geboren. Er war 14 Jahre lang Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Seit 2020 ist er zudem ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Mukherjee ist vollausgebildeter Lehrer für die Sekundarstufen I und II. Sein Studium der Anglistik, Biologie und Erziehungswissenschaft schloss er 1997 an der RWTH Aachen ab. Im Jahr 2000 wurde er an der Universität Bonn promoviert; hier erfolgte 2003 auch die Habilitation. Im selben Jahr wurde er auf die Professur für Englische Sprachwissenschaft an der JLU Gießen berufen.
Die aktuell geförderten vier Exzellenzcluster: Um auf internationaler Ebene herauszustechen, verfolgen Bund und Länder die Exzellenzstrategie an Universitäten. Die Uni Köln hat im Zeitraum 2019 bis 2025 vier Exzellenzcluster eingeworben: „CECAD“ forscht zu altersassoziierten Erkrankungen, „ML4Q“ zu Materie und Licht für Quanteninformation, „CEPLAS“ untersucht, wie sich Pflanzen an veränderte Umweltbedingungen anpassen, und bei „ECONtribute“ geht es um die Erforschung von Märkten im Spannungsfeld zwischen Politik und Gesellschaft.