Köln – „Wenn ein Handelsunternehmen etwas braucht, dann ist es Platz“, sagt Ingo Osterheld. Der 56-Jährige ist einer von zwei Geschäftsführern der Firma Freytag & Petersen und führt durch das Hochregallager des Unternehmens an der Longericher Straße. Gabelstapler surren zwischen 18 Meter hohen Regalen entlang und ziehen Pakete mit grafischem Papier aus Ablagen in schwindelerregender Höhe. Hausdruckereien von Ford oder der Telekom werden schon bald mit den Bögen beliefert, auch grafische Betriebe, die sich auf Kataloge spezialisiert haben, gehören zu den Abnehmern.
Die zunehmende Online-Kommunikation lässt das Papiersegment zwar schrumpfen. Doch mit 241 Kilogramm pro Kopf und Jahr gehören die Deutschen noch immer zu den Weltmeistern in Sachen Papierverbrauch. Und so macht der Handel mit grafischem Papier aller Form und Größe auch im 101. Jahr des Firmenbestehens das Kerngeschäft von Freytag & Petersen aus.
Kölner Papiergroßhändler braucht mehr Platz
Es sieht so aus, als wäre genug Platz vorhanden im 10.000 Quadratmeter großen Lager. Doch der Schein trügt. Es wird zu eng, trotz mehrfacher Erweiterungen und weiterer Standorte in Dortmund und Trier. Auf einem noch städtischen Grundstück an der Scarletallee in Niehl soll möglichst schnell ein neuer Firmensitz mit doppelt so großem Depot entstehen. Nur haben sich dort die Kreuzkröte angesiedelt und eine seltene Vogelart, das Projekt ist ins Stocken geraten. Die Stadt müsse die Tiere zunächst umsiedeln, sagt Alleingesellschafter Heinrich Hugo Best: „Es wäre schön, wenn bald eine Lösung gefunden würde.“
Liest man die – natürlich auf hochwertigem Papier gedruckte – Firmengeschichte, macht es den Eindruck, als wären die Lagerstätten von Freytag & Petersen schon immer zu klein gewesen. Schon Bests Großvater hatte mit räumlichen Problemen zu kämpfen. Der Diplom-Kaufmann (er hieß ebenfalls Heinrich Hugo Best) hatte 1920 mit den Restbeständen einer aufgelösten Solinger Druckerei eine Feinpapiergroßhandlung in Köln gegründet. Sie hieß Freytag & Petersen, wie der Verband aus mehreren selbstständigen Papierhandlungen, der sie anfangs angehörte. Als der Verband in der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre einging, behielt der Kölner Ableger als einziges überlebendes Verbandsmitglied den Namen einfach bei.
Das erste Lager befand sich an der Kasparstraße in der Kölner Neustadt und war schon keine Ideallösung. „Schwere Lasten mussten über eine schmale Treppe hinaufgebracht werden, einen Aufzug gab es natürlich nicht. Aber wir waren wenigstens in der Lage, eilige Aufträge zu erledigen“, heißt es in der Chronik. Einen Telefonanschluss gab es anfangs ebenfalls nicht, immerhin durfte der Apparat einer benachbarten Darmhandlung mitbenutzt werden. „Besonders bei ankommenden Gesprächen war die Handhabung nicht ganz einfach; der Schnelligkeit wegen wurden wir meistens durch Rufen aus einem der Fenster des Nachbarbetriebs verständigt.“ In Zeiten der Inflation kamen Probleme mit der Warenbeschaffung hinzu. Der Start war nicht einfach.
„Die Firmengeschichte war ein permanenter Anpassungsprozess“, sagt Alleingesellschafter Best. Geldentwertung, Krieg und karge Nachkriegszeit sorgten immer wieder für Engpässe und Rückschläge. Nach einem Domizil im Büro- und Geschäftshaus Schwerdthof an der Zeppelinstraße folgte Mitte der 1920er Jahre das Herkuleshaus an der Ehrenfelder Liebigstraße, ein frühes Hochhaus, das noch heute existiert.
„Mein Großvater war ein fortschrittlicher Unternehmer“, sagt der 71-jährige Firmeninhaber: „Er hat das Unternehmen wie ein Start-up geführt.“ Zu seinen mutigen Entscheidungen gehörte im Jahr 1921, die erst 23-jährige Änne Ludwig zur Prokuristin zu berufen. 1935 wurde sie Leiterin des Rechnungswesens, zu einem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten gegen „doppelverdienende“ Frauen Stimmung machten. Änne Ludwig war es auch, die in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs zusammen mit ein paar Kollegen das Lager des weitgehend unzerstörten Herkuleshauses gegen Plünderungen verteidigte.
„Das Unternehmen hat den Frauen sehr viel zu verdanken“, sagt Heinrich Hugo Best. Dieser Dank gebühre auch seiner Mutter Ruth Sondermeier-Best. Ohne besondere Vorerfahrungen habe sie 1960 das Unternehmen übernommen, als sein Vater in noch jungen Jahren gestorben sei. Als Tochter eines Kirchenbeamten sei sie „Lichtjahre von der Situation einer rheinischen Unternehmerin entfernt“ gewesen. Doch sie habe sich in der Männerwelt des aufstrebenden Fachgroßhandels für Druckmedien durchgesetzt und wichtige Neuerungen auf den Weg gebracht. Den Neubau des Firmensitzes an der Longericher Straße im Jahr 1970 zum Beispiel. Denn auch das Herkuleshaus erfüllte schon längst nicht mehr die logistischen Anforderungen der Zeit. Ruth Sondermeier-Best gehörte auch zu den Gründerinnen der Igepa, einer Einkaufskooperation unabhängiger Papier-Großhändler. „In den ersten zehn Jahren hat sie praktisch die Neugründung des Unternehmens durchgeführt“, sagt Heinrich Hugo Best.
Das zurückgehende Papiergeschäft versucht „Freytag & Petersen“ durch andere Geschäftsfelder auszugleichen. Neben grafischen Papieren, Druckzubehör und Büropapieren gehören mittlerweile auch Materialien für Werbetechnik und Verpackungslösungen zum Programm. In Corona-Zeiten, in denen sich die Leute Waren häufiger nach Hause schicken lassen, sind Verpackungen besonders gefragt. Das Lager im Kölner Norden ist eben auch ein Gradmesser für gesellschaftlichen Wandel.