Köln/Rom – Eigentlich ist das Papier aus Köln, das Papst Franziskus nach eigenen Worten „in der Hand“ hält, nichts mehr wert. Mehr als drei Monate, nachdem der Papst Kardinal Rainer Woelki am Ende von dessen Beurlaubung um ein Rücktrittsgesuch gebeten hatte, hat Franziskus es weder angenommen noch abgelehnt. Damit gilt es wie nicht geschrieben.
Sollte Woelki sich damit in Rom am Ziel und in Köln wieder sicher im Sattel gefühlt haben, lockert der Papst jetzt verbal den Sattelgurt und nimmt zusammen mit Woelkis Gesuch auch die Zügel fest in die Hand.
Papst Franziskus hat noch nicht über Woelkis Gesuch entschieden
Sein Interview mit internationalen Zeitschriften des Jesuitenordens, unter ihnen die deutschen „Stimmen der Zeit“, ist typisch Franziskus. Im Plauderton macht er klar, dass er sich bei seiner Entscheidung über Woelkis Zukunft nicht an Kirchenrecht und Fristsetzungen orientiert, sondern an seinem Gefühl für die Lage in Köln, die er weiterhin für unklar hält. Gleichzeitig räumt er mit mancherlei Legendenbildung auf, die an der Kölner Bistumsspitze freilich nicht als solche betrachtet wird.
Anfang März schrieb Woelki in einem Brief zum Ende seiner Beurlaubung, als Ausdruck „innerer Freiheit“ habe er „dem Heiligen Vater meinen Dienst und mein Amt als Erzbischof von Köln zur Verfügung gestellt, so dass auch er frei ist, zu entscheiden, was dem Wohl der Kirche von Köln am meisten dient“. In Franziskus’ Worten nimmt sich das anders aus: „Ich bat ihn, ein Rücktrittsgesuch zu verfassen. Er tat dies und gab es mir.“ Das Erzbistum erklärt nun, beides passe sehr wohl zusammen: Erst die päpstliche Bitte, dann Woelkis freie Entscheidung, ihr nachzukommen.
Verschiedene Versionen aus Köln und dem Vatikan zu Woelkis Auszeit
Auch die diversen Lesarten zu Woelkis sogenannter geistlicher Auszeit sind aus Sicht des Erzbistums durchaus kompatibel. Im Oktober 2021 gab Woelki ein geistliches Bedürfnis nach 30-tägigen Exerzitien als Grund an, „warum ich den Heiligen Vater um diese Auszeit gebeten hatte“.
In der Mitteilung des Heiligen Stuhls zu Woelkis Beurlaubung vom September 2021 wiederum heißt es, das offenkundige Erfordernis einer „Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung“ für Erzbischof und Erzbistum habe Papst Franziskus dazu veranlasst, „Kardinal Rainer Maria Woelki, auf dessen eigenen Wunsch, eine geistliche Auszeit zu gewähren“. Anfang März dann bei seiner Rückkehr erklärte Woelki, eine Art Burnout („körperliche und mentale Erschöpfung“) habe seine Auszeit „notwendig“ gemacht.
Papst bittet Woelki „für sechs Monate wegzugehen“
Versucht man, sich einen Reim auf die verschiedenen Versionen zu machen, wird das diplomatische Bemühen erkennbar, Woelki als Akteur und nicht bloß als Empfänger päpstlicher Order dastehen zu lassen. In seinem aktuellen Interview indes macht der Papst – wiederum wie beiläufig – klar, wer damals wie heute Koch in der Kirchenküche ist, und wer der Kellner: Wegen großer Turbulenzen habe er Woelki gebeten, „für sechs Monate wegzugehen, damit sich die Dinge beruhigten und ich klarer sehen konnte.“Die Erklärung des Erzbistums hierzu: Aus Woelkis Wunsch nach 30 Tagen Pause für Exerzitien wurde auf Wunsch des Papstes die faktisch knapp fünfmonatige Auszeit.
„Wenn das Wasser aufgewühlt ist, kann man nicht gut sehen“, fährt der Papst im Interview fort. Franziskus liebt diese Art bildhafter Sprache. Fraglos ist mit den Turbulenzen all das gemeint, was zwei päpstliche Visitatoren erfuhren, als sie im Frühjahr 2021 zu Besuch in Köln waren: die Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit den beiden von Woelki beauftragten Gutachten, Kritik an Kommunikation und Führungsstil des Kardinals, Widerstände gegen sein Projekt namens „Pastoraler Zukunftsweg“ zu einer umfassenden Restrukturierung des Erzbistums mit künftig nur mehr 50 bis 60 Pfarrgemeinden – und nicht zuletzt eine nie dagewesene Welle von Kirchenaustritten.
Woelki könnte eine zweite Visitation ins Haus stehen
Woelkis „Auszeit“ war aus Sicht des Papstes nichts anderes als der Versuch, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Danach habe er Woelki an seinem Platz gelassen, „um zu sehen, was passieren würde“. Zwischenbefund des Papstes: Der Druck „vieler Gruppen“ – gemeint sind hier sowohl Woelkis kirchenpolitische Unterstützer als auch Gegner – hält an.
Hinzu kommt laut Franziskus ein „wirtschaftliches Problem“. Das dürfte anhaltenden Querelen um Woelkis Umgang mit einem bischöflichen Sondervermögen gelten, aus dem er unter anderem sein millionenschweres Lieblingsprojekt, die „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ (KHKT), alimentiert. Womöglich steht Woelki deshalb eine zweite Visitation ins Haus.
Papst kritisiert „Synodalen Weg“
Ein solcher höchst ungewöhnlicher Schritt könnte signalisieren, dass der Papst ein besonderes Auge auf Köln hat. Doch da mutet der Heilige Vater der „treuesten Tochter“ Roms eine schwere narzisstische Kränkung zu: Das Erzbistum mit seinen Konflikten sei ihm nicht wichtiger als andere Bistümer in ähnlicher Lage – wie zum Beispiel Arecibo in Puerto Rico. Wenn dieser Ort – nach einem Papst-Diktum zu seiner Herkunft aus Lateinamerika beim Amtsantritt 2013 – gewissermaßen am einen Ende der Welt liegt, dann liegt Köln eben am anderen, mitnichten im Zentrum, sondern in der Peripherie zumindest des päpstlichen Interesses.
Mit dieser Perspektivverschiebung wird sich auch die die katholische Kirche in Deutschland insgesamt anfreunden müssen. Ihrem Bemühen um Kirchenreformen auf dem „Synodalen Weg“ verpasste der Papst in seinem Interview gleich noch einen schweren Schlag: „Es gibt eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland. Wir brauchen nicht zwei von ihnen.“
Papst äußert Kritik an Vordenkern des Reformprozesses
So gibt Franziskus eine Auskunft an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing (Limburg), wieder. In einer bemerkenswerten, diesmal ökumenischen Schnoddrigkeit wischt er damit die Bestrebungen des Synodalen Wegs etwa zur Gewaltenteilung in der Kirche, zur Öffnung der Ämter für Frauen oder zur Erneuerung der Sexualmoral als unerwünschte und unnötige Protestantisierung vom Tisch.
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Direkte Kritik richtet der Papst an die Vordenker des Reformprozesses. „Das Problem entsteht, wenn der Synodale Weg von den intellektuellen, theologischen Eliten ausgeht und sehr stark von äußeren Zwängen beeinflusst wird.“ Wieder verwahrt der Papst sich also gegen vermeintlich externen Druck und favorisiert stattdessen ein „langsames“ Voranschreiten „mit den Gläubigen, mit dem Volk“.
Die Sorge vieler deutscher Bischöfe, dass ihnen ihr Volk abhandenkommt, wenn sie nicht schnell handeln – diese Sorge findet beim Papst offenbar keinen Widerhall. Fragt sich, ob sich die Schrittmacher auf dem Synodalen Weg von diesem Tritt in die Kniekehle erholen werden und unverdrossen weiterwandern wollen.