Im Interview spricht Pfarrer Franz Meurer über Demokratie und Frauen in der katholischen Kirche, Kardinal Rainer Woelki und den Tod.
Sozialpfarrer Meurer„Woelki will das Beste, aber macht das Falsche“
Pfarrer Meurer, in Ihren Gemeinden praktizieren Sie Basisdemokratie, Sie treten ein für Frauen in allen Ämtern, für umfassendes ökumenisches Miteinander. Sehen Sie Vingst und Höhenberg als Labor für die Kirche oder als das kleine gallische Dorf, das mitten im römisch-katholischen Imperium sein Ding macht?
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich will Erfolg. Ich will, dass unsere Gemeinde erfolgreich ist. Und das ist feststellbar: Die Leute finden es gut, was wir machen und wie wir es machen. Die Leute wollen das. Punkt. Schluss. Außerdem finde ich es auch richtig so. Kirche geht gar nicht mehr anders als demokratisch. Ich kann doch heute nicht mehr kommen und sagen: „Wir machen das jetzt so, weil ich der Pastor bin.“ Die Leute würden sofort den Arzt rufen und sagen, „der Pastor ist krank“. Nein, es gibt hier in der Gemeinde Entscheidungen, da sind alle dafür und der Pastor dagegen.
Und was passiert dann?
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Dann trage ich das mit. Das ist mein Job. Ich erlaube mir eine eigene Meinung. Aber ich muss sie nicht durchsetzen. Es ist nicht meine Sache, mich mit Fragen von Hierarchie und Macht abzugeben. Ich frage: Kann der Glaube, kann die Kirche den Menschen nützlich sein? Wenn nein, können wir auch gleich aufhören. Aber natürlich, um das auch zu sagen, braucht es in der Kirche Priester – oder Priesterinnen. Weil es gut ist, dass jemand in besonderer Weise darauf verpflichtet ist, das große Ganze im Blick zu haben. Entscheidend aber ist die Stimme des Volkes Gottes.
„Priesterinnen“, sagen Sie. Da haben wir es schon wieder. Im katholischen Verständnis vom Klerikerstand sind Frauen in den Ämtern nicht vorgesehen.
Das wird sich nicht halten. Engführung ist das Ende von Kirche und Religion, auch wenn weltweit zurzeit viele das Gegenteil behaupten. Aber wir wissen doch: Wo Religion enggeführt wird, kommt ihr Missbrauch direkt um die Ecke. Und diese Erfahrung kann man direkt auf die Demokratie ausweiten. Ich glaube, die Chance der Kirche liegt im rheinischen Katholizismus. Den will ich stärken.
Rheinischer Katholizismus heißt: den lieben Gott einen guten Mann sein lassen?
Nein. Ich meine etwas anderes: „Nix es esu schlääch, datt et nit för jett jot es.“ Das bedeutet: Alles kann nützlich sein. Jeder Beitrag zählt. Alle können mitmachen. Und alles ist irgendwie in Ordnung. Und dann stimmt auch: „Der Herrjott is nitt esu.“ Nämlich: nicht ausschließend oder selbstisolierend, nicht hinterhältig oder hinterfotzig. Alles das nicht, was in der Kirche ständig vorkommt.
Was stimmt Sie optimistisch, dass Ihr Ideal von Kirche Zukunft hat?
Die meisten Bischöfe in Deutschland haben verstanden, was offensichtlich ist und was ich auch vertrete: Ohne Frauen geht es nicht. Ohne Demokratie geht es nicht. Allerdings reden wir bei uns in der Kirche jetzt weniger von Demokratie und stattdessen lieber von Synodalität. Dahinter verbirgt sich irgendwie die Abscheu vor Abstimmungen. Ich sage: Völliger Quatsch! Abstimmungen sind in Konflikten doch das einfachste Mittel, um Klarheit zu schaffen. Man stimmt ab und weiß, woran man ist. Man weiß, was die Mehrheit will, und was gilt. Damit kann man dann arbeiten. Ich selbst habe es bei Mehrheitsentscheidungen nie erlebt, dass ich hätte sagen müssen: Also, wenn ihr das beschließt, dann mache ich nicht mehr mit.
Es steht doch jetzt die ganze Zeit ein Elefant hier im Pfarrhaus von St. Elisabeth: Kardinal Woelki. Der sieht so ziemlich alles von dem, was Sie gesagt haben, anders. Aus dem Synodalen Weg ist er ausgestiegen. Von Demokratie in der Kirche hält er nichts. Frauen in den Ämtern lehnt er ab. Sie aber sagen: Er will das Beste.
Ich sage: Er will das Beste, aber er macht das Falsche. Im Missbrauchsskandal war es sein großer Fehler, dass er Anwälten das Sagen gegeben hat. Mit Rechthaberei gewinnt man kein Vertrauen.
Für Kirchenreformen braucht er keine juristischen Berater. Trotzdem ist er dagegen.
Vielleicht hängt das damit zusammen: Wenn man einmal Freunde gewonnen hat, dann versucht man, denen treu zu sein. So reime ich mir das zusammen, und ich würde mir wünschen, dass wir alle miteinander den Versuch machen, uns gegenseitig zu verstehen.
Dann erklären Sie doch mal, warum im wichtigsten Beratungsgremium, dem Diözesanpastoralrat (DPR), die demokratisch gewählten Laien auf wenige Vertreter reduziert werden. Stattdessen soll das Los bestimmen, wer mitreden darf.
Da habe ich eine klare Meinung: Das alte System war gut. Was jetzt kommt, ist schlecht. Offenbar haben Leute den entscheidenden Einfluss, die nicht mehr wollen, dass die Mehrheit im DPR sich eine Kirche wünscht, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Oder die nicht wollen, dass man Einfluss durch Wahlämter bekommt. Das ist falsch und wird dazu führen, dass sich noch mehr Leute abwenden.
Woelki will das Gute, tut das Falsche?
Auch hier glaube ich: Er ist falsch beraten. Das macht sehr viel kaputt.
Sie nennen den Kardinal auch eine „ehrliche Haut“. Woher wissen Sie schon, was die Kölner Staatsanwaltschaft mit ihren Meineid-Ermittlungen gerade zu ergründen versucht?
Ich kenne Rainer Woelki schon aus Kindertagen. Er war mit meinem Bruder fünf Jahre in derselben Klasse. Ich habe vor seiner Priesterweihe ein Gutachten für ihn geschrieben.
Sie stehen doch immer an der Seite der kleinen Leute. Es waren zwei Sekretärinnen, die mit hohem persönlichem Risiko aufgestanden sind und gesagt haben: Der Kardinal sagt nicht die Wahrheit. Das muss ein Ende haben. Wieso geben gerade Sie ihm dann einen Persilschein?
Weil es meine Meinung ist. Und es sind viele, die zu mir sagen: Endlich einer, der auch mal sagt: Als Mensch ist der Kardinal in Ordnung.
Wenn Sie die Möglichkeiten sehen, die so ein Erzbischof hat – hätten Sie selbst gern mehr Macht gehabt, um die Kirche in Ihrem Sinn zu gestalten?
Ich bin überzeugt: Entscheidend ist das, was an der Basis passiert. Der Keks wird hier gegessen. Und hier können wir Dinge anstoßen, die dann auch größere Kreise ziehen. Ein Beispiel: Wir haben hier vor Ort den neuen Beruf „Fachpraktiker in sozialen Einrichtungen“ konzipiert und mit einer entsprechenden Ausbildung für Förderschüler dafür gesorgt, dass in den vergangenen zehn Jahren 340 junge Leute feste Anstellungen bekommen haben. Und das Beste: Das Ganze gibt es jetzt bundesweit.
Liegt die Ferne zu hohen Ämtern vielleicht in Ihrem Charakter?
Mir geht es so: Wenn vor Ort etwas blüht, dann lebe ich auf. Warum sollte ich das aufgeben – wenn ich schon zölibatär lebe?
Weil das Blümchen im Garten nichts am System ändert.
Ich glaube an Veränderung, wenn an vielen Orten viele Menschen viele kleine Ideen umsetzen – und sie zusammenbringen. Also: Vernetzung braucht es schon. Und Geduld. Da hilft es mir, dass ich nicht bitter werde, wenn Dinge nicht so schnell vorangehen, wie ich es mir gewünscht hätte.
Wir sehen: Sie laufen mit einem tragbaren Defibrillator herum. Was ist passiert?
Ich war beim Aquajogging. Danach war mir auf einmal schlecht. Erst habe ich mich nur hingelegt. Aber irgendwas war komisch, ganz anders als sonst. Also habe ich das gemacht, was ich anderen immer rate: die 112 gewählt. Der Notarzt kam und hat mich nach Merheim in die Klinik verfrachtet. Diagnose: leichter Herzinfarkt, ein zu großes Herz, Ungenauigkeiten beim Herzschlag. Und das wohl schon länger. Nur habe ich die Anzeichen nicht erkannt oder für normal gehalten mit 70 plus. Die gute Nachricht: Mir geht es jetzt nicht schlechter als vorher. Ich trete nur vorsichtshalber ein bisschen kürzer. Und ich schleppe dieses Gerät mit mir herum. Einmal hat es nachts schon mit mir gesprochen.
Oh… Und was hat es gesagt?
Dass ich vergessen hätte, die Batterie aufzuladen. Sehr zuvorkommend.
Wie geht es Ihnen damit – jenseits des Scherzens?
Das Ding macht demütig. Man weiß mehr denn je: Alles geht vorbei, alles ist endlich. Aber, ehrlich gesagt, ich mache mir nicht so viele Gedanken. An mir hängt ja nichts. Keine Kinder, keine Verpflichtungen, nichts, was nicht auch ohne mich liefe. Das Einzige, was blöd wäre, wenn ich jahrelang bettlägerig würde. Das fände ich schon … bedenklich. Sterben ist scheiße. Hat meine Mutter gesagt. Und das stimmt.
Aber Sie glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?
Ich gehe davon aus.
Warum?
Erstens: Alles, was auf Dauer bleibt, kommt jetzt schon im Leben vor: Zugehörigkeit, Teilhabe. Und ich glaube, das setzt sich fort. Zweitens: Wir sind Teil eines großen Kreislaufs der Natur, in dem nichts verloren geht. Und ich hätte noch ein paar Argumente dieser Art. Die müssen nicht stimmen. Aber ich meine, sie haben viel für sich. Wir werden ja sehen.
Machen Sie sich keine Gedanken, wie es in Ihren Gemeinden weitergeht, wenn Sie nicht mehr da sind? Wir reden jetzt gar nicht von Ihrem Tod. Aber mit 72 kommt auch bei Pfarrern der Ruhestand in den Horizont.
Alles, was zu regeln ist, regeln die Leute. Ich habe mich aus allen Gremien zurückgezogen, in denen ich nicht von Amts wegen geborenes Mitglied bin. Wie ich eben sagte: Es kommt nicht auf mich an.
Aber was passiert, wenn der Erzbischof als Ihren Nachfolger einen stockkonservativen Pfarrer schickt?
Shit happens. Dann sind die Leute weg. Ich habe trotzdem überhaupt keinen Beharrungsdrang. Jetzt bin ich hier – und zwar ganz. Wenn ich nicht mehr da bin, dann bin ich eben weg – und das ebenfalls ganz. Ich habe mir schon jetzt in der Kölner Südstadt ein Seniorenheim ausgeguckt, wo ich gern einziehen würde. Kein kirchliches Haus übrigens. Aber da muss ich erstmal reinkommen. Ich hoffe, das klappt.
Zur Person: Franz Meurer (72) ist seit 1992 Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth in Vingst und Höhenberg. Aufgewachsen ist er in der Bruder-Klaus-Siedlung in Mülheim. Nach dem Abitur am Hölderlin-Gymnasium studierte er katholische Theologie und Sozialwissenschaften. 1978 wurde er zum Priester geweiht. Bis 1982 war er Kaplan an St. Agnes, danach an St. Kosmas und Damian in Pulheim und schließlich Kreis-Jugendseelsorger im Rhein-Sieg-Kreis. 2002 wurde er der erste „Alternative Ehrenbürger“ Kölns. Rainer Maria Woelki kennt Meurer seit Kindertagen.
Zum Buch: „Brandmeister Gottes – Für eine Kirche, die nicht lange fackelt“ heißt das neueste Buch von Meurer, das im Herder Verlag erschienen ist. Darin beschreibt er, wie die katholische Kirche aus seiner Sicht Vertrauen zurückgewinnen könnte: durch demokratische Entscheidungen, die Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen, vielfältig und gleichzeitig die Tradition bewahrend. In dem Buch bezeichnet er Rainer Maria Woelki als „ehrliche Haut“, obwohl die Staatsanwaltschaft wegen Meineids gegen den Kardinal ermittelt.