Köln – Im Missbrauchsprozess gegen den katholischen Priester und mutmaßlichen Serientäter Hans Ue. am Landgericht Köln hat der Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Das teilte der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann am Dienstag in der Verhandlung mit. Unklar ist, ob das Geständnis sich auf die erst jetzt bekanntgewordenen Fälle von mutmaßlich fünf Opfern bezieht oder auch auf den ursprünglichen Gegenstand der Anklage, den Missbrauch von vier minderjährigen Mädchen, darunter drei Nichten Ue.s,, in den 1990er Jahren und 2011.
Ein langer, fast achtstündiger Prozesstag ist fast vorüber, als Kaufmann die Nachricht des Tages verkündet. Damit rückt ein Ende des Prozesses näher, in dessen Verlauf sich immer neue Opferzeuginnen gemeldet hatten. Die mutmaßlichen Vergehen des Angeklagten an vier oder fünf von ihnen sollen nun mit Zustimmung des Angeklagten über eine sogenannte Nachtragsanklage in den laufenden Prozess integriert werden. Das Urteil gegen Ue., der seit dem vorigen Donnerstag wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft sitzt und in Handschellen vorgeführt wurde, kündigte Kaufmann für den 24. Februar (Weiberfastnacht) an.
„Unser Interesse an Zeugen ist erstmal gestillt“
„Unser Interesse an Zeugen ist erstmal gestillt“, sagte Kaufmann. „Wir gehen nicht weiter auf die Jagd. Wir sind keine Ermittlungsbehörde, sondern ein Gericht.“ Im Lauf des Prozesses habe die Kammer schon „ein bisschen mehr“ gemacht, als die Anklage es ihr abverlangt hätte. Diese rhetorische Untertreibung nötigt der Verteidigung eine Korrektur ab: „Sie haben sehr viel mehr gemacht“, sagt Ue.s Rechtsanwalt Rüdiger Deckers. Es klang anerkennend.
Kaufmann richtete einen dramatischen Appell an Ue., zum Schluss der Beweisaufnahme eine Ankündigung vom Prozessauftakt einzulösen: „Machen Sie reinen Tisch!", sagte Kaufmann und bat Ue., zu überlegen, ob er „nicht wenigstens einmal" einen oder mehrere Namen nennen könne von Opfern, „die wir noch nicht kennen“ und denen folglich bislang auch nicht habe geholfen werden können.
Richter: Letzte Gelegenheit
Der Strafprozess sei das eine, unentdeckte Opfer seien das andere. Kaufmann sprach von einer „letzten Gelegenheit“ für Ue., „nachdem Sie uns hier systematisch angelogen und immer wieder hinters Licht geführt haben. Springen Sie über Ihren Schatten! Sie würden uns zwar überraschen, aber das wäre mal eine positive Überraschung.“ Ue. ließ keine Reaktion erkennen. Wegen Wiederholungsgefahr sitzt er seit vorige Woche in Untersuchungshaft und wurde zur Verhandlung von zwei Wachtmeistern in Handschellen vorgeführt.
Zuvor hatte die Mutter zweier mutmaßlicher Opfer aus der Zeit um 2010 ausgesagt. Sie und ihr Mann waren mit Ue. eng befreundet und unterstützten ihn in der Phase einer ersten Beurlaubung vom priesterlichen Dienst wegen einschlägiger Vorwürfe 2010/2011 in besonderer Weise. Die 60-Jährige schilderte Ue. als Freund und Vertrauten der Familie, der sich intensiv um die Kinder gekümmert habe. Er gab ihnen Nachhilfe, bastelte und spielte mit ihnen und ging mit ihnen ins Kino. In wechselnden Konstellationen verbrachten die Mädchen allein oder zu zweit viele Wochenenden in Ue.s Haus. Hier soll es zu den Übergriffen gekommen sein.
Auch eine Freundin der Töchter von Ue. missbraucht
Dass auch die damals elf Jahre alte beste Freundin der älteren Tochter ein Opfer Ues. geworden sein soll, ist schon länger bekannt. Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Fall im November Anklage erhoben. Die junge Frau tritt als Nebenklägerin im Prozess auf. Es steht der Vorwurf schweren sexuellen Missbrauchs im Raum. Im Fall einer Verurteilung droht Ue. eine Haftstrafe von zwei bis 15 Jahren.
Die Mutter der beiden Mädchen berichtete dem Gericht, dass Ue.s Verteidiger im Dezember über eine dem Angeklagten bekannte Geheimnummer bei der Familie angerufen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte die ältere Tochter in einer polizeilichen Vernehmung bereits von Übergriffen berichtet. Es sei der „Fürsorgewunsch“ seines Mandanten, die Familie zu warnen und ihr anwaltlichen Beistand zu empfehlen. Grund: Sie würden „vor Gericht auseinandergenommen“ werden, weil die Tochter die Unwahrheit gesagt habe. Die Zeugin erklärte, sie habe das als klaren Einschüchterungsversuch wahrgenommen. „Ich kann Sie beruhigen“, sagte Kaufmann. „Nach allem, was wir wissen, hat Ihre Tochter nicht die Unwahrheit gesagt, und der Angeklagte hat die Tatvorwürfe eingeräumt.“
Ue. mit mutmaßlichem Missbrauchstäter befreundet
Die Vernehmung der Zeugin brachte ein bemerkenswertes Detail über die Freundschaft des Angeklagten mit dem ebenfalls als Missbrauchstäter belasteten Priester Michael E. zutage. Nach Angaben der Frau plante Ue., den schwer kranken E. in einem eigens dafür herzurichtenden Gartenhaus auf seinem Grundstück in einem Ortsteil von Zülpich unterzubringen. Dort bewohnte er seit Ende 2015 ein ehemaliges Pfarrhaus, das er von der Gemeinde hatte kaufen können. Die Frau sagte, sie habe um die Freundschaft der beiden Geistlichen gewusst. Von Missbrauchsvorwürfen gegen E habe Ue. der befreundeten Familie allerdings nie erzählt.
Hingegen sei er mit der Beschuldigung durch seine drei Nichten, die ihn 2010 angezeigt hatten, offen umgegangen. Er habe die Vorwürfe als Teil einer innerfamiliären Fehde abgetan, in der er zum Opfer ausersehen worden sei, weil er „als Priester angreifbar“ sei. Alles, was gegen ihn vorgebracht worden sei, sei „erstunken und erlogen“ gewesen und völlig absurd. Diese Versicherung ihres Freunds hätten sie ihm geglaubt, sagte die Zeugin.
Ue. stellt sich als Opfer Woelkis dar
Das 2011 eingestellte Ermittlungsverfahren kam 2018 wieder in Gang, nachdem das Erzbistum Altfälle durchforstet und die Nichten kontaktiert hatte. Als Ue. im Zuge des Verfahrens 2019 ein zweites Mal beurlaubt wurde, diesmal von Kardinal Rainer Woelki, habe er zu der Familie gesagt: „Woelki hat sich auf dem Weg nach Rom den Missbrauch auf die Fahnen geschrieben und den alten Fall wieder ausgegraben." Grund sei eine fehlende Unterschrift auf einem kirchlichen Dokument.
2020 erhob die Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Missbrauchs der Nichten in mehr als 30 Fällen Anklage. Ein kirchliches Verfahren ruht bis zum Abschluss des Strafprozesses.
Gerüchte schon in den 1990er Jahren
In der Befragung eines weiteren Zeugen aus Ue.s kirchlichem Umfeld, des heutigen Neusser Kreisdechanten Hans-Günther Korr, ging es vor allem um frühere Hinweise oder Verdachtsmomente für sexuellen Missbrauch, die im Klerus oder bei Ue.s Vorgesetzten bekannt waren. Korr bestritt die Angabe einer Zeugin im Prozess, sie habe ihn 1992 in seiner Funktion als Jugendseelsorger im Oberbergischen Kreis 1992 auf entsprechende Gerüchte über Ue. angesprochen, und Korr habe dies als „schwieriges Thema“ beiseite geschoben. An eine solche Unterhaltung könne er sich nicht erinnern.
Wohl aber berichtete der 63-Jährige von der Frage eines Jugendlichen während eines Ferienlagers Mitte der 90er Jahre, ob auch ihm bekannt sei, dass Ue. „mit Kindern in die Badewanne geht“. Er habe Ue. wenige Tage später zur Rede gestellt: „Weißt du, was die Leute über dich erzählen?“ Ue. habe das Ganze als Versuch abgetan, „uns“ – also den Priestern – etwas anzuhängen. Korr sagte, er habe sich mit dieser Auskunft zufrieden geben und das Gerücht mit der Tatsache in Verbindung gebracht, dass Ue. zwei Pflegekinder in seiner Obhut hatte, was er stets als deplatziert empfunden habe.
Seine damalige Reaktion sei falsch gewesen, räumte Korr ein. „Heute würde ich ganz anders handeln.“ Aber er habe sich lange Zeit überhaupt nicht vorstellen können, was an Missbrauchsvorwürfen gegen Kleriker generell und nun speziell auch gegen Ue. im Raum steht.