AboAbonnieren

Köln-GeschichteWarum das Rodenkirchener Strandbad ein „Sittlichkeitsgitter” hatte

Lesezeit 4 Minuten

Das Rodenkirchener Strandbad in einer frühen Aufnahme.

  1. Ab 1912 fanden Gäste im Rodenkirchener Strandbad mit bademeisterlicher Überwachung Erfrischung.
  2. Ein Zaun trennte damals den Männer- und Frauenbereich des „Luft-, Licht- und Wasserbads“.
  3. Das empörte die Kölner so sehr, dass sie ihn 1913 einrissen. Was dann geschah, lesen Sie in dieser Geschichte.

Köln – Auf den alten Fotos tummeln sich die Kölner gut gelaunt im Wasser oder auf dem feinen Sand des Rheinstrandes. Doch das Rodenkirchener Strandbad war keineswegs nur ein unbekümmerter Ort der Sommerfrische, gut angebunden durch Straßenbahn, Pferdedroschken und Ausflugsdampfer. Es war auch ein Politikum, das im gesamten Deutschen Reich Aufmerksamkeit erregte und liberale wie konservative Gemüter erhitzte.

Spuren von damals sind noch da

Cornelius Steckner umwandert das Gelände am Rheinufer, das heute unter anderem von der Freien Wassersport-Vereinigung, dem Kanu Club Grün-Gelb und dem Kölner Faltboot-Club genutzt wird. „Alle Spuren sind noch da“, sagt der Kulturhistoriker aus Rodenkirchen: „Das ist für mich das Faszinierende.“ Das Gebäude mit den Männer-Umkleiden, das Badewärterhäuschen, Teile der Frauen-Umkleiden – alles noch vorhanden und von den Vereinen genutzt.

So sieht das ehemalige Strandbad in Rodenkirchen heute aus.

Auch die eisernen Verankerungen für die Zäune finden sich noch auf den Buhnen, die in Höhe der Vereinsgebäude in den Rhein ragen. Dazwischen suchten ab 1912 die Gäste des Rodenkirchener Strandbads mit bademeisterlicher Überwachung nach Erfrischung. Es sollte eine sichere Alternative zum beliebten „Wildbaden“ im Rhein sein, das in den Jahren zuvor erschreckend viele Menschenleben gekostet hatte.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Männer- und Frauenbereich durch Zaun getrennt

Ein Zaun in der Mitte des 400 Meter breiten „Luft- , Licht- und Wasserbads“ trennte den Männer- vom Frauenbereich und war über Jahre hinweg Anlass für erregte Debatten. Die Stadt Köln, allen voran Oberbürgermeister Max Wallraf und Baudezernent Carl Rehorst, aber auch die Rodenkirchener Wassersportvereine mit ihrer Vorliebe für gemeinschaftliche Freikörperkultur plädierten für ein gemischtes Familienbaden ohne Schranken.

Kirchliche Kräfte hielten das dagegen für undenkbar, sie opponierten gegen die angebliche Unmoral und Schamlosigkeit. Vor allem die weibliche Jugend sahen sie in Gefahr, durch das Baden im Rhein sittlich zu verderben.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Da ging es um die Macht der Kirche und die Deutungshoheit der Moral“, sagt Cornelius Steckner. Letztendlich musste die Stadt klein beigeben – der Maschendraht-Zaun wurde gebaut, der laut einem „Stadt-Anzeiger“-Bericht „durchaus nicht die Veranlassung sein kann, den Aufenthalt im Strandbade angenehm zu machen“.

Zaun wurde auch „Britz“ genannt

Die Badegäste waren derart verärgert über die Geschlechtertrennung, dass sie das auch „Britz“ genannte Sittlichkeitsgitter im August 1913 wutentbrannt niederrissen. Der Vorfall ging reichsweit durch die Presse, in Liedern und Gedichten machte der Kölner „Strandbadkrieg“ die Runde. Dennoch wurde der Zaun wieder aufgebaut.

Als Kompromisslösung entstand zwar ein gemischtes „Familienbad“ mit Appenzeller Milchausschank und Restaurant. Doch zusätzlich blieben die separaten Herren- und Damenbereiche bestehen. Erst 1919 war die Geschlechtertrennung passé, woraufhin die Besucherzahlen prompt von 20000 bis 60000 pro Jahr auf mehr als 200000 hochschnellten. „Daran kann man auch die wirtschaftliche Bedeutung des gemeinschaftlichen Badens ablesen“, so Steckner.

Erholung an der frischen Luft

Das Rodenkirchener Strandbad stand im Geiste der Reformbewegungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Ziel von Max Wallraf und Carl Rehorst sei es gewesen, die Bevölkerung aus der „geistigen und räumlichen Enge der Stadt“ hinaus in die freie Natur zu führen, sagt der Historiker. Die Menschen sollten sich an der frischen Luft erholen und ihre Krankheiten auskurieren, den Familien sollte das Strandbad ein Beisammensein unter freiem Himmel ermöglichen. Offensichtlich war dies nicht so einfach durchzusetzen im erzkatholischen Köln.

Führung durch das Bauhaus-Viertel

Eine Führung durch das Rodenkirchener Bauhaus-Viertel bietet Cornelius Steckner am Freitag, 14. Juni, um 15.45 Uhr an.

Das Viertel war ein Versuchsfeld für die geplante, aber nicht realisierte zweite Internationale Werkbund-Ausstellung „Die Neue Zeit“ von 1932. Treffpunkt ist das Geschäftszentrum Sommershof, Hauptstraße 71-73.

Wir zeigen, wie Köln früher ausgesehen hat – und den Vergleich zu heute. Besitzen Sie alte Fotos mit markanten Gebäuden aus Köln, die es nicht mehr gibt? Wir freuen uns über Zusendungen.

ksta-koeln@dumont.de

Das Strandbad habe auch im Geist der Kölner Werkbund-Ausstellung von 1914 gestanden, so Steckner. Sie dokumentierte am Deutzer Rheinufer neue Formen des Bauens sowie Reform-Konzepte der Arbeits- und Lebensbedingungen, es sei dabei um die „Entwicklung der Gesamtstadt für eine naturnahe Zukunft“ gegangen, so Steckner. Treibende Kraft der Demonstrationsschau mit modernen Wohn- und Industriegebäuden sei Baudezernent Carl Rehorst gewesen – der Vater des Rodenkirchener Strandbads.

Die Geisteshaltung der Nationalsozialisten bereitete dem naturnahen Badevergnügen im Kölner Süden ein Ende. 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges und 20 Jahre nach Abbau des Zauns, ging das Areal an der „Rodenkirchener Riviera“ an die Sportler der Kölner Universität über. Fortan diente es den Studenten zur „Wehrertüchtigung“.