Ursprünglich waren 1000 Teilnehmer angemeldet, aber der Demoaufruf verbreitete sich wie ein Lauffeuer – derzeit sicher kein Zufall.
„Wir sind aufgerüttelt worden“Zehntausende setzen in Köln Zeichen gegen Rechts – Demo trifft Nerv und Gefühl
„Es fühlt sich ein bisschen an wie an Weiberfastnacht“, sagt Philipp Kuretzky mit Blick auf die Menschenmenge auf dem Heumarkt. Gemeinsam mit seiner Frau Anne Glocker und ihren beiden Kindern ist er am Dienstagabend so wie Zehntausende anderer Menschen dem Aufruf des „Spontanen Bündnisses gegen Rassismus“ gefolgt, um gegen Rechtsextremismus in Deutschland zu demonstrieren.
Bei klirrender Kälte stehen sie um 19.30 Uhr dicht gedrängt auf dem Heumarkt. Auch die umliegenden Gassen sind mit Demonstranten gefüllt. Bis zur Straßenbahnhaltestelle, von der aus noch mehr Menschen Richtung Heumarkt drängen, ist kein Durchkommen. „Menschenrechte statt rechte Menschen“, „Euer Hass ist uns peinlich“ oder „Liebe Migranten, ihr gehört zu uns“ ist auf Plakaten zu lesen. Kölns OB Henriette Reker teilte ein Video der Menschenmasse und schrieb dazu: „Das ist Köln“.
Demoaufruf verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Köln und der Region
„Wir sind in den vergangenen Wochen aufgerüttelt worden“, sagt Kuretzky. „Die Demo zeigt, dass wir auch ohne Traktoren den Verkehr lahmlegen können.“ Stattdessen laufen die beiden mit Kinderwagen im Demozug. „Es geht auch darum, der nächsten Generation zu zeigen, dass man sich zusammentun muss, um stärker zu sein als die Menschen, die Hass verbreiten“, sagt Glocker. Sie finde es emotional zu sehen, wie viele ähnlich empfinden würden und sich gesagt hätten: „Egal wie kalt, egal wie spät, wir müssen hier hin.“
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Ursprünglich hatten die Organisatoren 1000 Teilnehmer zu der Demonstration angemeldet. Sie war eine Reaktion auf Medienberichte über ein konspiratives Treffen von AfD-Politikern und Mitgliedern der Werteunion mit der identitären Bewegung, bei dem Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland geschmiedet wurden. „Wir haben uns gefragt, warum es dagegen noch keine Demonstration in Köln gibt“, sagte ein Sprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Vorfeld der Demonstration. „Doch dann hat das eine unglaubliche Eigendynamik angenommen.“
Tatsächlich verbreitete sich der Demo-Aufruf in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer. Initiativen wie „Köln gegen Rechts“, „Köln stellt sich quer“ oder „Arsch Huh“ schlossen sich an, Prominente wie der Satiriker Jan Böhmermann oder der Moderator und Podcaster Tommi Schmitt teilten den Aufruf bei Instagram.
Demoroute musste in Köln zweimal geändert werden
Wie viele Menschen am Dienstagabend letztendlich in Köln waren, ist nicht ganz klar. Zwischenzeitlich nannte die Polizei bis zu 30.000 Teilnehmer, offiziell spricht sie nun von mehreren Zehntausenden. Fest steht: Es ist lange her, dass in Köln eine so große Demonstration gegen Rechtsextremismus stattgefunden hat. Sie weckt Erinnerungen an die legendäre „Arsch Huh“-Demonstration 1992 als 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz zusammenkamen.
Petra und Johannes Friedrichs sind extra aus Wiehl angereist, um ein Zeichen gegen den Rechtsruck in Deutschland zu setzen. „Dieses Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam zeigt, dass wir unsere Demokratie verteidigen müssen, deswegen sind wir heute hier“, sagten sie. Der 27-jährige Student Justus Miller ergänzte: „Wer die Nachrichten in den letzten Wochen verfolgt hat, weiß, dass wir etwas tun müssen, bevor unsere Demokratie stirbt.“
Gleich zweimal musste die Demoroute am Dienstag wegen des großen Andrangs geändert werden. Schlussendlich liefen die Demonstranten nach der Auftaktkundgebung am Heumarkt über die Deutzer Brücke zur Deutzer Werft, wo eine Abschlusskundgebung stattfand. Es bildete sich eine kilometerlange Schlange. Während die ersten Demonstranten schon in Deutz angekommen waren, liefen die letzten von ihnen erst am Heumarkt los. Auf dem Weg skandierten sie „Ganz Köln hasst die AfD“.
Bahar Aslan spricht auf Demo gegen Rechts in Köln
Dort angekommen, ergriff Bahar Aslan als wohl prominenteste Rednerin das Wort. Die Kölner Dozentin hatte im vergangenen Jahr ihren Lehrauftrag an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (HSPV) nach einem kontroversen Post auf „X“ verloren. Sie hatte geschrieben: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht.“
Die HSPV argumentierte damals, Aslan sei ungeeignet, eine vorurteilsfreie Sichtweise zu vermitteln. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte jedoch geurteilt, dass die HSPV im Fall der Dozentin unrechtmäßig gehandelt habe.
Bahar Aslan erinnert auf Demo in Köln an NSU-Terror
In ihrer Rede erinnerte Aslan an den NSU-Terror, der seine Spuren auch auf der Keupstraße in Köln-Mülheim hinterließ. „Die Wunden, die der Terror den Familien und der migrantischen Community hinzufügten, sind bis heute nicht geheilt“, sagte sie. „Mit Blick auf die AfD und die Correctiv-Recherchen sollten wir niemals vergessen, dass der Nationalsozialismus nie aufgehört hat, zu existieren.“
Doch: „Nach den Anschlägen in Solingen, Halle oder Hanau sind nicht nur die Wunden zu spüren, sondern auch die Sehnsucht nach Zuspruch, Solidarität und Halt.“ Sie frage: „Wann werden wir dem gerecht?“ Zumindest am Dienstagabend haben die Kölner ihr Möglichstes getan. Und am Wochenende sind weitere Demos geplant.