Köln – Die Meldung kam am Donnerstagmorgen um 9.21 Uhr per E-Mail: Die Heilig-Geist-Apotheke in Longerich sowie zwei weitere Apotheken des gleichen Besitzer sind ab sofort komplett geschlossen. Die Stadt Köln hatte nach den Vorfällen um ein mit giftigem Stoff vermischtes Glukose-Gemisch dem Betreiber bislang nur untersagt, weiterhin Medikamente selbst zu fertigen und zu vertreiben. Die Apotheken selbst aber durften nach dem Vorfall, bei dem in der vergangenen Woche eine 28-Jährige und ihr neugeborenes Kind gestorben war, zunächst geöffnet bleiben. Fragen und Antworten zu den neuen Entwicklungen:
Wie begründet das Land die Schließung?
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte am Donnerstag in Düsseldorf, die Maßnahme diene dem „vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung und sei unumgänglich gewesen“. Schließlich hätten alle Mitarbeiter des Apothekenverbunds zu allen Geschäften Zutritt gehabt. „Das mögliche Restrisiko für die Patienten wollten wir nicht in Kauf nehmen“, sagte Laumann.
Die Stadt hatte dem Apotheker bislang nur den Verkauf von selbstgefertigten Medikamenten untersagt. Was sagt sie zur der Komplett-Schließung?
Die Aussagen sind zurückhaltend, die Botschaft ist jedoch klar: Wir verstehen das Land nicht. „Die Erkenntnislage der Stadt, vor allem das es keine Hinweise auf verunreinigte verpackte Arzneimittel gab, hat zu dem Entschluss geführt die Herstellung, Portionierung und Verkauf von selbst hergestellten Arzneimitteln zu verbieten“, sagte ein Stadtsprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und weiter: „An dieser Erkenntnislage hat sich seitens der Stadt nichts geändert“.
Und was ist damit gemeint?
Der Stadtverwaltung hält weiterhin die von ihr am Montag angeordneten Maßnahmen – bis auf weiteres durften keine Medikamente in der Apotheke selbst produziert, abgefüllt und vertrieben werden – für ausreichend. „Diese Maßnahmen waren erforderlich, angemessen und verhältnismäßig“, sagte Gesundheitsdezernent Harald Rau am Donnerstagabend am Rande der Ratssitzung. Auch er sagt: „An dieser Einschätzung hat sich mangels neuer Erkenntnisse bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts geändert.“ Das lässt sich nur so interpretieren, dass eine Komplettschließung nach Ansicht der Stadt nicht notwendig gewesen wäre. …
Welche Apotheken wurden geschlossen und warum?
Zunächst die Heilig-Geist-Apotheke in Longerich, in der offenbar das Narkosemittel in den Glukosetest gelangte. Zudem haben die Behörden die Schließung der Linda-Apotheke am Bilderstöckchen und der Contzen-Apotheke, beide in Bilderstöckchen, veranlasst. Inhaber aller drei Geschäfte ist Apotheker Till Fuxius. Als Grund nannte die Bezirksregierung Köln den „vorbeugenden Gesundheitsschutz“ der Bürger. Zudem könne man „nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass es sich um eine absichtliche Manipulation handelt“, sagt Vanessa Nolte, Sprecherin der Bezirksregierung, die die Schließung gemeinsam mit dem NRW-Gesundheitsministerium angeordnet hat - auch wenn es laut Nolte derzeit keinerlei Erkenntnisse über einen Vorsatz, etwa durch Mitarbeiter der Apotheken, gebe.
Wie ist der Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft?
Die Staatsanwaltschaft schließt eine vorsätzliche Tat nicht aus, hält aber auch ein Versehen für möglich. „Es kann ein Missgeschick gewesen sein, vielleicht steckt aber auch kriminelle Energie dahinter“, formulierte es Minister Laumann. Die „Mordkommission Geist“ befragte dazu unter anderem alle Angestellten der Heilig-Geist-Apotheke. In einem in der Apotheke sichergestellten großen Behältnis mit Glukose-Pulver entdeckte die Rechtsmedizin ein Narkosemittel, das in vielen Apotheken vorrätig, aber nicht frei verkäuflich ist – und das bei falscher Einnahme und Dosierung eine tödliche Vergiftung verursachen kann. Zudem versuchen die Ermittler, die Lieferkette der Glukose vom Hersteller bis zu den Apotheken-Kunden nachzuvollziehen.
Bislang geht die Polizei davon aus, dass die Verunreinigung in der Apotheke stattgefunden haben muss. Darüber hinaus prüfen die Ermittler, ob die Gynäkologin alles richtig gemacht hat, in deren Praxis die 28-Jährige das tödliche Mittel eingenommen hatte. Denn kurz zuvor hatte eine andere schwangere Frau die Einnahme einer Glukose-Lösung in derselben Praxis abgebrochen, weil die Flüssigkeit bitter schmeckte und Taubheitsgefühle verursachte. Die Polizei prüft, ob die Ärztin bereits diesen Vorfall hätte melden müssen. Die Medizinerin gilt derzeit nicht als Beschuldigte. Zudem hat am Dienstag eine weitere Frau ein Tütchen mit Glukose-Pulver, das sie in der Heilig-Geist-Apotheke bekommen hatte, bei einer Polizeiwache abgegeben. Dies bestätigte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer dem „Express“: „Die Frau war von der gynäkologischen Praxis angerufen worden, wo man offenbar gewusst hat, dass sie in der Heilig-Geist-Apotheke das Glukose-Präparat erhalten hat“, so Bremer. Der Inhalt dieses Tütchens werde nun von der Rechtsmedizin untersucht.
Gibt es inzwischen einen Verdächtigen?
Offenbar nicht. Apotheker Fuxius vertraue auf die Ermittlungen der Polizei, sagte er am Dienstag und betonte: „Dabei bin ich Zeuge, nicht Beschuldigter.” Auch die Mitarbeiter seiner Apotheken wurden bislang als Zeugen vernommen, wie ein Polizeisprecher sagte.
Besteht noch Gefahr für andere Schwangere?
Ja. Aber nach bisherigem Ermittlungsstand nur für Frauen, die in den betreffenden Apotheken eine Glukosemischung für einen Schwangerendiabetes-Test bekommen haben. Sie sollen das Präparat auf keinen Fall einnehmen und es umgehend zur Polizei bringen. Das Narkosemittel sei mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Apotheke in die Glukose gelang, es gebe keine Hinweise auf kontaminiertes Material bundesweit, sagte Andreas Koch von der Kriminalpolizei.
Wie lange bleiben die Apotheken geschlossen?
Das ist schwer zu sagen. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, solange keine gesicherten Erkenntnis gewonnen wurden, wie und durch wessen Verschulden das Narkosemittel in die Glukose gelangte, bleiben die Geschäfte mit Sicherheit zu. Zudem stehen noch weitere Untersuchungen aus. Unter anderem muss ein chemisch-toxikologisches Gutachten klären, ob das Narkosemittel, das dem Traubenzucker aus noch unklaren Gründen beigemischt war, die Todesursache des Säuglings war oder die Tatsache, dass das Kind per Notkaiserschnitt in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kam. Bislang steht laut Obduktionsergebnis lediglich fest, dass das Baby – wie die Mutter - an multiplem Organversagen starb.