Afghanische Frauen sind in der Kölner City in den Hungerstreik getreten. Die Kölner Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz zeigt Solidarität.
Von Taliban gefoltertFrauen treten in Kölner City in den Hungerstreik – Demonstrantin kollabiert
Tamana und Zamina Pargani stehen vor einem Zelt am L.-Fritz-Gruber-Platz gegenüber des Kolumna-Museums, sie haben seit acht Tagen nicht gegessen, es sei ein bisschen schwer, sagt Zamina, „aber eigentlich ist es gar nichts“.
Mit zwei Handvoll anderer Aktivistinnen und Aktivisten sind die Schwestern in den Hungerstreik getreten, weil sie sich nicht gehört fühlen: Sie fordern die internationale Staatengemeinschaft auf, Afghanistan als Land mit Gender-Apartheid anzuerkennen, als Land also, das Frauen systematisch diskriminiert. „Nur dann könnten die Machthaber wirkungsvoll sanktioniert und vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden“, sagt Tamana.
Mit der Macht der Taliban hat sich die Situation in Kabul verschlimmert
Tamana Zamina ist 25, in Kabul stand sie kurz vor ihrem Master-Abschluss in Jura und Politik, als die Taliban an die Macht kamen. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Zamina arbeitete als Hebamme. „Bevor die Taliban die Macht übernahmen, war die Lage für Frauen in Afghanistan nicht perfekt: Es gab nicht Gleichberechtigung wie in Deutschland“, sagt Zamina. „Aber wir konnten arbeiten, studieren, zur Schule gehen, ins Fitnessstudio oder ins Kino. Wir konnten uns draußen mit Freundinnen treffen. Wir wurden nicht nicht behandelt wie im Mittelalter.“
In Kabul sind die Schwestern für viele junge Frauen Heldinnen: Sie wollten das menschenverachtende Regime der Taliban nicht hinnehmen, organisierten sich und gingen auf die Straße, um für Frauenrechte zu demonstrieren. Sie zeigen ein Video, auf dem sie auf einer Straße in Kabul unter vielen Frauen zu sehen sind und um internationale Hilfe rufen. Auch die BBC hat die Schwestern begleitet.
Am 19. Januar 2022 seien sie festgenommen worden, 27 Tagen in Haft geblieben. „Wir wurden im Gefängnis gefoltert, die Taliban sagten: Wenn ihr öffentlich erzählt, was passiert ist, töten wir Eure Familien“, erinnert sich Zamina. Sie hätten nach der Freilassung weiter protestiert, seien ein zweites Mal in Haft gekommen, „die Wohnung unserer Familie wurde verwüstet“. Sie zeigen Bilder und Videos. Die Fläche vor dem Zelt auf dem L.-Fritz-Gruber-Platz haben die Aktivistinnen mit Fotos von hungernden, gefolterten und getöteten Menschen in Afghanistan ausgelegt. „Der Westen hat Afghanistan im Stich gelassen“, sagen die Schwestern. „Die Welt schaut weg.“ Nach Machtübernahme der Taliban zogen die Nato-Truppen aus dem Land am Hindukusch ab.
Spätestens nach der zweiten Festnahme wussten die Frauen, dass ihr Leben in akuter Gefahr ist. „Frauen dürfen in Afghanistan nicht ohne Vollverschleierung auf die Straße – und nicht ohne Begleitung eines Mannes“, sagt Tamana. „Wir dürfen nicht arbeiten, nicht studieren, keine weiterführende Schule besuchen, nicht ausgehen. Für uns war das kein Leben.“
Im Herbst 2022 sind die Schwestern geflohen, über Pakistan, mehrere Versuche, die Grenze zu überqueren, seien zunächst gescheitert. Jetzt leben sie in NRW, Zamina in Essen, Tamana in Köln, auch zwei weitere Schwestern und die Eltern sind in Deutschland. „Hier sind wir frei, es gibt einen Rechtsstaat, die Polizei, freie Medien“, sagt Zamina. „Aber wir sind mit unseren Gedanken Tag und Nacht bei den Frauen in Afghanistan“, sagt Tamana. „Sie haben keine Rechte, verstecken sich vor den Taliban, dürfen nicht mal allein auf die Straße.“
Immer wieder kommen Menschen auf den Platz, um sich zu solidarisieren – meistens sind es Männer und Frauen, die ebenfalls aus Afghanistan kommen. Ein Brief an die Bundesregierung mit der Forderung, die Taliban als Frauen-Apartheid-Regime zu bezeichnen, sei unbeantwortet geblieben, sagen die Schwestern. Am Samstag stattet die Kölner Landtagsabgeordneter Berivan Aymaz (Die Grünen) den Frauen einen Besuch ab. Neben den Schwestern sind noch zwei weitere Frauen im Hungerstreik, den sie bis Mitte kommender Woche durchhalten wollen.
Frauen von den Taliban aus dem öffentlichen Leben verbannt
Seit der Machtergreifung der Taliban habe sich „die Situation insbesondere für Mädchen und Frauen massiv verschlechtert“, sagt Aymaz. „Mit einer Vielzahl von strikten Vorschriften werden die Frauen fast gänzlich aus dem öffentlichen Leben verbannt. Sie haben keine Rechte, keine Zukunftschancen und keine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben.“
Aymaz zeigt sich beeindruckt von dem Engagement der geflohenen Frauenrechtlerinnen. „Dass sie zu einem so drastischen Protestmittel greifen, zeigt ihre große Verzweiflung. Wir dürfen nicht zulassen, dass Afghanistan und die Situation der Frauen und Mädchen aus dem Blickfeld geraten.“
Am Samstagnachmittag erleidet Tamana einen Kreislaufzusammenbruch. Sie muss beatmet werden, erhält Infusionen und wird mit dem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht.