Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
In Folge 2: Die Polizei in Köln geht davon aus, dass die meisten Prostituierten unter Zwang anschaffen gehen. Oft kommen die Zuhälter aus der eigenen Familie.
Die Zwangsprostituierte Janine erzählt, wie sie von ihrem Zuhälter verprügelt und in einer Wohnung weggesperrt wird.
Amira fällt auf einen Loverboy herein, der sie vergewaltigt und bei seiner Festnahme ruft, er sei „ihr Gott“.
Jeden Tag dachte ich daran, mich umzubringen. Jeden Tag. Erst ihn, dann mich. Aber ich war nicht mutig genug. Und ich hatte eine Familie. Eine kleine Schwester, auf die ich aufpassen musste. Also beschloss ich zu leiden, damit meine Schwester lächeln kann. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!
Amira sagt diese Sätze im Winter 2018. Die 28-jährige Iranerin sitzt in einem Café an der Kalker Hauptstraße. Tiefer Teppich bedeckt den Boden, die Kellnerinnen tragen Schürze mit Spitze, an den Tischen sitzen ältere Damen. Vor Amira stehen ein Puddingteilchen und ein Kännchen Kaffee. Amira hat lange schwarze Haare, glatte Haut, eine zierliche Figur und rot geschminkte Lippen. Sie spricht leise.
„Ich habe immer noch Panik“, sagt sie. „Ich kann kein Vertrauen zu Menschen fassen.“ Obwohl Djamal, ihr Ex-Freund, inzwischen im Gefängnis sitzt. Eineinhalb Jahre hat er Amira gezwungen, auf den Strich zu gehen. Mal in einem Saunaclub bei Düren, mal in einem Laufhaus in Köln. Er fuhr sie hin und holte sie ab. Dazwischen ließ er sie nicht aus den Augen. „Er hatte meinen Ausweis und mein Geld, ich musste ihm alles abgeben. In meinem Handy war nur sein Name gespeichert. Jede freie Minute musste ich ihm meinen Standort schicken.“
Djamal demütigte, verprügelte und vergewaltigte Amira, wenn sie zu wenig Geld nach Hause brachte – oder wenn ihm einfach der Sinn danach stand. Sie wehrte sich nicht. Anfangs, weil sie Djamal liebte und sich fürchtete. Später nur noch, weil sie sich fürchtete. „Ich habe gelebt wie eine Sklavin“, sagt sie heute.
62 angemeldete Bordellbetriebe gibt es in Köln. Die Polizei schätzt, dass weit mehr als 2000 Frauen in der Stadt ihr Geld mit Sex verdienen. Wie viele das freiwillig tun, weiß niemand. Es sei der „weitaus geringere Teil“, ist ein Fahnder überzeugt, der seit Jahren in der Szene ermittelt. Bei Razzien stoße man nur selten auf minderjährige Prostituierte oder auf Opfer von Menschenhändlern. „Aber wir sind natürlich auch darauf angewiesen, dass die Frauen uns die Wahrheit sagen.“ Prostitution sei ein „schwer aufzuhellender“ Bereich, betont der Kölner Kripo-Chef Stephan Becker. Eine Prostituierte zu einer Aussage gegen ihren Zuhälter zu bewegen, vor allem die Frau darin zu bestärken, ihre Anschuldigungen später vor Gericht aufrecht zu erhalten, sei „sehr schwierig“.
Janine kommt zum Gespräch ins Verlagshaus. Sie ist Anfang 40 und arbeitet seit 20 Jahren als Prostituierte – im Pascha, am Eifeltor, auf der Geestemünderstraße. Fast immer mit Zuhälter, fast immer unter brutalem Zwang. „Einmal hat mein Freund“ – tatsächlich nennt sie ihren Zuhälter Freund – „mich grün und blau geschlagen, weil ich nur 20 Euro im Portemonnaie hatte.
Danach hat er mich in eine Wohnung eingesperrt und einmal am Tag eine Tüte Fastfood reingeworfen. Als ich wieder einigermaßen aussah, musste ich wieder zum Kunden.“ An eine Anzeige habe sie nie gedacht. „Mein Leben ist nicht gut“, sagt die Frau, die harte Drogen nimmt, seit sie 16 Jahre alt ist, „aber wenn ihn anzeigen würde, wäre ich wahrscheinlich ein paar Tage später tot.“
„Die Angst, der Polizei die Wahrheit zu sagen, ist einfach zu groß“, sagt Amira. Die Angst vor dem Zuhälter, manchmal auch die Angst vor der Polizei. Nur fünf Prozent der Frauen, schätzt die 28-Jährige, machten den Job freiwillig – „jedenfalls in Saunaclubs“. In Laufhäusern seien es mehr, in Kölns größtem Bordell, dem Pascha, wohl auch. Sie selbst habe sich bei jedem Kunden geekelt, sagt Amira. Aber sie habe auch Frauen getroffen, die freiwillig in der Branche arbeiteten, denen der Sex mit Freiern sogar Spaß machte. Die sonst keine Chance auf einen gut bezahlten Job hatten. „Für die ist es natürlich leicht und schnell verdientes Geld.“
Glossar
Agisra
Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.
Escort
Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.
Hurenpass
Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht.
Laufhaus
In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.
Loverboys
Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen.
Menschenhandel
Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit.
Poppers
Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.
Prostituiertenschutzgesetz
Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor. Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.
Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober. So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren.
Saunaclub/FKK-Club
Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.
Sexarbeit/Prostitution
Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System – Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution.
Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)
Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.
Verrichtungsbox
Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.
Weißer Ring
Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.
Zwangsprostitution
Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.
Mit zehn Jahren kam Amira mit ihren Eltern aus dem Iran nach Deutschland, mit 19 lernte sie Djamal in einer Diskothek auf den Kölner Ringen kennen, im Sommer 2009. Sie war feiern, er arbeitete als Türsteher. Sie gab ihm ihre Handynummer, er meldete sich kurz vor Silvester, sie verabredeten sich. Amira verliebte sich in den zwei Jahre älteren Mann – auch er ein Iraner. Sie stellte ihn ihren Eltern vor. Die waren begeistert. „Ihr seid das schönste Paar“, schwärmte die Mutter und nannte Djamal „mein Sohn“. Amira dachte an Hochzeit.
Irgendwann im Herbst 2010 sagte Djamal zu ihr: „Wir brauchen Geld. Ich möchte, dass du anschaffen gehst.“ Amira wusste nicht, was das ist: anschaffen. „Ich hatte das Wort noch nie gehört. Djamal erklärte es mir. Er sagte, er würde immer zu mir halten, er würde mich nie verarschen, er liebe mich. Ich sollte das nur so lange tun, bis wir genügend Geld zusammenhätten. Er wäre immer für mich da. Und ich dachte: Okay, ich kann es ja mal versuchen. Ich war naiv.“
Männer wie Djamal werden „Loverboys“ genannt. Sie spielen jungen, oft minderjährigen Frauen die große Liebe vor, treiben sie so in eine emotionale Abhängigkeit und führen sie dann in die Prostitution. Das Bundeskriminalamt (BKA) geht in einer Auswertung von 2017 davon aus, das die „Loverboy“-Masche bundesweit bei mehr als einem Viertel der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung angewendet wurde – Tendenz steigend.
An einem Abend im Februar 2012 bringt Djamal Amira in ein Hotel ins Rechtsrheinische. Er ist außer sich vor Wut, er hat herausgefunden, dass Amira Videos, die er von ihr beim Sex gemacht hat, ohne seine Zustimmung gelöscht hat. Djamal stellt den Fernseher laut, er bindet ihr den Mund zu, fesselt sie an Händen und Füßen. Er schlägt mit ihrem dünnen Gürtel auf sie ein und vergewaltigt die 22-Jährige mehrfach.
Gegen Mitternacht fährt er mit ihr auf die Kölner Ringe, sie soll sich männlichen Passanten zum Sex anbieten, Djamal will sie dabei filmen. Doch Amira traut sich nicht. Djamal fährt sie zu einer Tankstelle, sie soll ihm eine kalte Cola kaufen. Ihre Lippen sind aufgeplatzt, ihr Körper von Hämatomen übersät, wie der Richter später in der Urteilsbegründung festhält. Kaum hat Amira die Tankstelle betreten, bricht sie zusammen. Die Kassiererin verriegelt die Tür und ruft die Polizei. Zwei Streifenwagen kommen. Einer verfolgt Djamal. Als die Polizisten den Iraner festnehmen, sagt er zu ihnen: „Lasst mich los, was wollt ihr? Ich bin ihr Gott.“ 2013 wird er zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Janine, die zum Gespräch ins Verlagshaus kommt, um nicht bei einem Gespräch mit einnem unbekannten Mann in der Öffentlichkeit gesehen zu werden, wurde bei der Arbeit am Eifeltor zweimal vergewaltigt, erzählt sie. „Wenn man merkt, dass ein Typ ausflippt und Gewalt anwendet, lässt man das besser über sich ergehen. Als ich mich einmal gewehrt habe, kam ich erst im Krankenhaus wieder zu mir.“ Schlimmer als die Arbeit an sich, sagt Janine, sei das „Gefühl, wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden, von den Freiern und Zuhältern, aber auch von der Gesellschaft, die uns wie Aussätzige behandelt. Für die sind wir Abschaum, schlimmer als Obdachlose, mit denen haben die Leute zumindest Mitleid.“
„Es muss klar unterschieden werden zwischen selbstbestimmter Sexarbeit und Zwangsprostitution. Letzteres ist Menschenhandel und dafür gibt es klare gesetzliche Regelungen“, sagt Katrin Baumhauer, beim städtischen Gesundheitsamt verantwortlich für den Bereich sexuelle Aufklärung. „Ob bei der Sexarbeit Zwang vorliegt oder nicht, kann nur von der Person selbst beurteilt werden, die sexuelle Dienstleistungen anbietet. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für die meisten Menschen in der Sexarbeit ein langer Prozess ist, dies für sich klar zu stellen.“
„Oft kommen die Zuhälter aus der eigenen Familie“
Zwang müsse nicht immer körperliche Gewalt bedeuten, sagt René Pieper, Leiter des Bereichs Prostituiertenhilfe beim Sozialdienst katholischer Frauen. „Oft kommen die Zuhälter aus der eigenen Familie – und die Frauen nennen ihn ihren Beschützer. Opfer von Menschenhandel sind sie in der Regel nicht.“ Die meisten Prostituierten kommen aus Osteuropa und können kaum Deutsch.
Einer Studie zufolge, die die NRW-Landesregierung kürzlich veröffentlicht hat, stammen fast 60 Prozent aller Prostituierten in NRW aus Bulgarien und Rumänien.
„Sie finden sich hier nicht gut zurecht und sind dadurch leichter manipulierbar, außerdem haben sie kaum Chancen, eine andere Arbeit zu finden und erstmal kein Recht auf Sozialleistungen.“ Das Label „Zwangsprostitution“ greife hier zu kurz: „Armutsprostitution, die aus einer verfehlten EU-Politik resultiert“ treffe es eher.
Die Polizei kennt viele Fälle, in denen junge Bulgarinnen oder Rumäninnen von der eigenen Familie zum Anschaffen nach Deutschland geschickt werden – die Zuhälter sind Freunde der Familie. Den Frauen wird vorgegaukelt, in Deutschland in der Gastronomie oder im Hotel zu arbeiten. Tatsächlich werden ihnen kurz hinter der Grenze die Pässe abgenommen, und sie landen in Saunaclubs oder Bordellen.
Viele Kölner Sozialarbeiter sind davon überzeugt, dass im Pascha und anderen Kölner Bordellen nur wenige Frauen ohne Zuhälter arbeiten.
Zwei Stunden erzählt Amira nun schon, das Puddingteilchen hat sie nicht angerührt. Tische nebenan werden abgeräumt und neu eingedeckt, die Gäste wechseln. Amira sitzt ruhig auf ihrem Stuhl, sie hat keine Eile. „Diese Freiheit zu spüren, jetzt gerade…“, sagt sie. „Das ist so toll. Niemand kontrolliert mich, mein Handy und mein Ausweis sind in meiner Tasche, keiner sagt: Ich bin dein Herr, ich habe das Sagen, du bist nichts wert.“
„Ich bekam Panik, wenn ich alleine war“
Aber die fünf Jahre alten Bilder im Kopf gehen nicht weg. Ohne Tabletten kann Amira nicht schlafen. Sie macht eine Therapie. Hat sie seit Djamal noch mal einen Freund gehabt? „Oh Gott, nein. Ich hätte Angst, dass ein Mann mich wieder auf falsche Wege bringt.“ Amira wohnt als Untermieterin in Köln bei einer Familie, die ihre Geschichte nicht kennt.
Eine Arbeitsstelle hat sie noch nicht gefunden, ihre Ausbildung zur Sozialpädagogin hatte sie auf Drängen von Djamal abgebrochen. „Ich habe zuletzt in einer Tankstelle gearbeitet. Aber das ging nicht mehr, ich bekam Panik, wenn ich alleine war.“ S gehen die Tage vorüber. Sinnlos fühle sich das an, sagt Amira, sie fühle sich nutzlos. „Ich bin auf der Suche. Ich möchte was machen, womit ich anderen helfen kann.“