Frau Schwarzer, von Ihren 75 Lebensjahren gehören zwei Drittel dem Kampf für Frauenrechte. Was ist heute Ihre größte Genugtuung?
Dass ich in den 50 Jahren viel beitragen konnte zur Ermutigung von Frauen – und auch von Männern, die keine Machos sein wollen.
Welchen Kampf möchten Sie unbedingt noch gewinnen?
Es wäre schön, wenn ich es noch erleben würde, dass Prostitution und Frauenhandel, beide untrennbar miteinander verknüpft, in unserer Gesellschaft so geächtet werden wie inzwischen der Sklavenhandel. Denn es ist einfach unwürdig, dass ein Mann für ein paar Euroscheine den Körper und die Seele einer Frau betatschen kann. Unwürdig für alle Frauen – und für die Männer sowieso. Auch die Abwehr des religiösen Fundamentalismus, der unseren Demokratien seine „Gottesgesetze“ aufzwingen will, ist mir natürlich ein zentrales Anliegen. Allen voran ist da der Islamismus zu nennen. Der christliche Fundamentalismus dräut aber auch. Denken Sie nur an die Versuche, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen. Sollen Frauen, die ungewollt schwanger sind, in Zukunft etwa wieder auf den Tischen von Engelmacherinnen ihr Leben riskieren müssen?
Überkommt Sie manchmal ein „Fisherman’s Friend“-Gefühl, wenn Sie an die Macht der Machos denken: Sind sie zu stark, bist du zu schwach?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich finde, wir sind im letzten halben Jahrhundert mit Siebenmeilenstiefeln vorangekommen. Niemals hätte ich mir in den 70er Jahren erträumen lassen, dass ich noch eine deutsche Kanzlerin erleben werde und dass mir so viele Männer begegnen werden, die Kinderwagen schieben. Immerhin sind wir Feministinnen gegen ein paar Tausend Jahre Patriarchat angetreten. Allerdings bleibt – wie gesagt – nach nur einem halben Jahrhundert Veränderung durchaus noch einiges zu tun.
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Wie sieht Ihr ideales Mannsbild aus?
Der ideale Mann ist ganz einfach ein Mensch. Er hat sogenannte männliche wie auch weibliche Eigenschaften. Er hat die gleichen Rechte und Pflichten wie eine Frau. Er verzichtet auf Dominanz und Gewalt. Und was nun meinen ganz persönlichen Männergeschmack angeht: Ich mag lieber jungenhafte Männer als muskulöse Mannsbilder.
Über wen oder was haben Sie ungerecht oder vorschnell geurteilt?
Ich habe leider – oder zum Glück? – von meiner Großmutter den scharfen, durchdringenden Blick geerbt. Davon fühlt sich so manche und so mancher beurteilt oder gar verurteilt. Das ist nicht meine Absicht und tut mir leid.
Mit wem würden Sie sich gern versöhnen?
Ich bin zum Glück wenig nachtragend. Wenn ich mir alles merken würde, was mir so widerfahren ist und widerfährt, würde ich ja zum Misanthropen. Es gibt also niemand Ernstzunehmenden, mit dem ich mich noch versöhnen müsste – das habe ich im Zweifelsfall schon getan.
Sie sind in Ihrem Leben viel angegriffen worden. Welcher Vorwurf hat Sie am meisten getroffen?
Am meisten trifft mich das Klischee von der „verbissenen, humorlosen, männerhassenden Feministin“. Eben das, was alle Feministinnen übergebraten kriegen. In meinem Fall allerdings liegt das Klischee voll daneben. Ich bin kämpferisch, aber nie verbissen. Ich lache gerne und viel. Und ich habe ein besonders gelassenes Verhältnis zu Männern. Nur darum kann ich ihnen ja auch auf Augenhöhe begegnen. Das liegt daran, dass meine soziale Mutter ein Mann war: Mein geliebter Großvater, der bei meiner Geburt im Vateralter von 46 Jahren war. Er hat mich gewickelt, gefüttert und getröstet. Ihm verdanke ich die Erkenntnis, dass auch Männer Menschen sein können – wenn sie nur wollen.
Ein heikler Punkt, den wohl genau deswegen keiner Ihrer Kritiker auslässt, ist der Vorwurf der Steuerhinterziehung. Wie stehen Sie heute dazu?
Es war ganz sicher ein Fehler, dass ich die Zinsen meines Kontos in der Schweiz nicht versteuert habe. Darum habe ich ja auch 2013 eine Selbstanzeige erstattet. So etwas wird mir also nicht wieder passieren.
Auch Ihre Arbeit für die Bild-Zeitung, publizistisch ziemlich exakt der Gegenentwurf zur „Emma“, haben Ihnen viele übelgenommen, darunter viele Frauen. Sie haben das mit Reichweite begründet. Ist Auflage wirklich alles?
Dass ich den Kachelmann-Prozess in der „Bild“ kommentiert habe, darauf bin ich bis heute stolz. Ich habe das getan, um auch dem mutmaßlichen Opfer eine Stimme zu geben. Warum Bild? Weil nur Bild mir das angeboten hat. Und weil alle sogenannten Leitmedien schon lange vor dem Prozess ausschließlich zugunsten des Angeklagten geschrieben haben: Der Mann ist unschuldig, die Frau lügt. Doch nicht jede Frau, die einen Mann der Vergewaltigung bezichtigt, lügt. So sah das auch der Richter im Fall Kachelmann. Er hat Kachelmann nach acht Monaten Verhandlung freigesprochen, aus Mangel an Beweisen. Und er hat ausführlich erklärt: Es könne sein, dass Kachelmann die Wahrheit gesagt habe – es könne aber auch sein, dass das mutmaßliche Opfer die Wahrheit gesagt habe. Die Medien sollten das bei ihrer Berichterstattung unbedingt beachten, so der Richter. Die Medien haben genau das aber nicht getan, sondern diesen Freispruch zweiter Klasse wie einen totalen Unschuldsbeweis gewertet. Auf Kosten der Frau. Wie schwer es ist für Frauen, sich gegen Sexualgewalt zur Wehr zu setzen, das erleben wir ja gerade auch in der von dem Weinstein-Skandal in den USA ausgelösten #MeToo-Debatte. Zum Glück stehen immer mehr Männer uns Frauen da zur Seite. Darum werden auch in der nächsten „Emma“ vor allem Männer darüber schreiben.
Sie haben keine Kinder. Bedauern Sie das manchmal?
Nein, ich habe in meinem Leben nicht eine Sekunde lang bedauert, kein Kind zu haben.
Hätten Sie Ihre – nennen wir es – öffentliche Mission auch mit Familie erfüllen können?
Selbstverständlich gäbe es keine „Emma“, wenn ich ein Kind gehabt hätte, denn das war lange ein 24-Stunden-Job. Aber ich muss zugeben: Großmutter wäre ich doch ganz gerne.
Würden wir für Sie ein Geburtstagsdinner mit einer Persönlichkeit Ihrer Wahl arrangieren – wer wäre Ihr Gast, und was würden Sie ihm sagen?
Es wäre Angela Merkel. Und ich würde zu ihr sagen: Trauen Sie sich endlich! Trauen Sie sich so wie Ihr Kollege Emmanuel Macron. Der hat gerade zum „Internationalen Tag der Gewalt“ erklärt: „Unsere gesamte Gesellschaft ist an Sexismus erkrankt.“ Darum will er die Gleichberechtigung von Mann und Frau „zu einem zentralen Thema seiner Amtszeit“ machen. Aber es ist ja wahr: So ein jüngerer Mann kann das leichter sagen als eine gestresste Karrierefrau. Leider.
Eine heute 20-Jährige steht vor Ihnen und bittet Sie um einen Rat für Ihr Leben. Wie lautet der?
Ich habe noch nie Ratschläge gegeben. Ich möchte nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Aber einer 20-Jährigen würde ich sagen: Wähle einen Beruf, der deiner Begabung entspricht und der dir lebenslang nicht nur Stress, sondern auch Spaß macht. Achte auf deine ökonomische Eigenständigkeit! Verlasse dich nicht ausschließlich auf die Liebe, sondern pflege auch Freundschaften! Und blicke über deinen Tellerrand – misch dich ein in die Welt, damit sie eine bessere wird!
Ist für Ihre Nachfolge als „Emma“-Chefredakteurin eigentlich niemand in Sicht, dem Sie das Szepter weitergeben könnten?
Das hört sich ja fast an wie eine Bewerbung. Bitte direkt an mich – mit Foto!