In Leverkusen zeigen fünf Künstler Arbeiten zum Thema Heimat. Jody Korbach nähert sich der Sache mit Sarkasmus.
Ausstellung im Museum MorsbroichDenk ich an die Heimat, fallen mir gleich Nazis ein
„Heimat ist immer etwas Verlorenes, eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen lässt.“ Das sagte der Filmemacher Edgar Reitz, der sich in drei monumentalen Fernsehserien daran versuchte, die Heimat gerade nicht auf den Begriff zu bringen, sondern als etwas Ungreifbares zu inszenieren. Alles an der Heimat erscheint unbestimmt: Sie macht uns aus, aber sie gehört uns nicht; sie ist uns vertraut, aber bleibt nur in der Erinnerung, was sie ist; sie schenkt uns ein Gefühl der Geborgenheit, das wir uns aber nur von der Kindheit geliehen haben. Und als wäre dies nicht genug, ist die Heimat etwas zutiefst persönliches und zugleich Teil einer kollektiven Fantasie. Als solche ist sie ein politischer Kampfbegriff, der einen Phantomschmerz lindern soll. Oder warum leistet sich das von den Alliierten erfundene Land Nordrhein-Westfalen neuerdings ein Heimatministerium?
Wie ist es, die eigene Heimat zu verlassen, nirgendwo anzukommen oder in die Fremde zurückzukehren?
Auf Kölsch klingt das naturgemäß ein wenig schlichter: „Et gitt kei Wood“, singen Cat Balou, „dat sage künnt, Wat ich föhl, wann ich an Kölle denk, who oh oh, Wann ich an ming Heimat denk.“ Die erste Refrainzeile hat sich das Kuratorenteam des Museum Morsbroich für seine Ausstellung zum Thema Heimat ausgeliehen – es geht um „Annäherungen an ein Gefühl“, das man offenbar auch in Leverkusen noch versteht. Allerdings ist die Ausstellung das Gegenteil von begrifflicher Schunkelei: Die fünf Künstlerinnen und Künstler erzählen vor allem davon, wie es ist, die eigene Heimat zu verlassen, nirgendwo anzukommen oder in ein fremd gewordenes Zuhause zurückzukehren.
Bei Ahmet Doğu İpek ist das Gefühl noch sehr allgemein gefasst. Der türkische Künstler beschäftigt sich mit der Entfremdung des Menschen von der Natur, dessen Teil er ist und die seine erste Heimat war. Auf seinen großformatigen Zeichnungen schieben sich gigantische Trabantenstädte vor den Himmel, und über einer fiktiven Vulkaninsel tauchen massive Rauchfahnen das Land in tiefe Depression. Ein wenig Hoffnung macht allenfalls ein Tisch, den Doğu İpek aus einer Wurzel schnitzte: Kunst und Natur erscheinen symbiotisch verbunden oder wenigstens friedlich zu koexistieren.
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Vom Gehen und Ankommen handeln die Gemälde Zoya Cherkassky-Nnadis. In ihrer Serie „My Soviet Childhood“ hält sie Erinnerungen an das Leben in der Sowjetunion in betont naiv gemalten Szenen fest, in ihrer neuen Heimat Israel führt sie diesen Realismus in Bildern fort, die den Alltag afrikanischer Arbeitsmigranten zeigen. Ähnlich persönlich sind die Filme der ukrainischen Videokünstlerin Ira Eduardovna. Sie stellt die Ausreise ihrer Familie als Kammerspiel nach und zeigt, dass selbst die Erinnerung an den Heimatverlust trügen kann. In einer anderen Arbeit bleibt eine von mehreren Schauspielerinnen dargestellte Frau vor der Tür stehen, hinter der einst ihre Wohnung war; der ständige Aufschub gibt der Unmöglichkeit, heimzukehren, eine kafkaeske Note.
Man könnte in Leverkusen leicht auf den Gedanken kommen, die Kunstwelt sei die einzige Heimat für entwurzelte Künstler. Aber auch darauf ist kein Verlass, zumal nach dem Massaker des 7. Oktobers und dem folgenden Einmarsch der israelischen Armee nach Gaza. Zoya Cherkassky-Nnadi, eine entschiedene Kritikerin der israelischen Siedlungspolitik, zeigte sich in Interviews jedenfalls „enttäuscht“ und „schockiert“ über die Reaktionen eines Teils der Kunstwelt auf das Massaker. Eine ähnliche Entfremdung spürte die ukrainische Künstlerin Yevgenia Belorusets, als sie ihr Kriegstagebuch auf der Biennale von Venedig präsentierte und feststellte, dass sie mit den im Frieden lebenden Menschen keine gemeinsame Sprache fand. Diese Sprachbarriere ist in Leverkusen das Thema einer Plakatserie im Stadtraum, auf der sie touristische Erinnerungen an Kiew über den Kriegshimmel schreibt.
Jody Korbach schließt die „Reichsbürger“ mal eben mit Mallorca-Saufliedern kurz
„Es gibt kein Wort…“ ist eine bewusst international gehaltene Ausstellung, denn das Thema Heimat kennt keine Grenzen. Den Löwenanteil der Fläche bestreitet jedoch mit Jody Korbach eine deutsche Künstlerin, deren gefühlte Heimatlosigkeit mitunter in Sarkasmus umschlägt. Denkt Korbach an Deutschland in der Nacht, fallen ihr vor allem linke Klassiker ein: die spießigen Wirtschaftswunderjahre, die bierselige Vereinsmeierei, die Ballermann-Kultur und das Fortleben der Nazi-Zeit im bundesrepublikanischen Gewand.
Neu ist das alles nicht, aber teilweise sehr clever arrangiert. So setzt Korbach die Sylt-Kuh mit dem Inselnamen als Fellzeichnung in die Mitte einer Hakenkreuzfahne, und auf dem Märchenspiegel, der dem Betrachter seine geheimen Wünsche offenbart, prangt das Sparkassen-Markenzeichen. Das fehlende Hakenkreuz taucht in einer Collage aus Getränkebons wieder auf, in der Korbach die „Reichsbürger“ mit Mallorca-Saufliedern kurzschließt: „Geh mal Bier holen (du wirst schon wieder hässlich)“ steht bei ihr für eine fiktive Deutschland GmBh.
Angeblich ist Korbach auf das intakte Heimatgefühl von Nazis, Fußball-Hooligans und Schützenvereins-Mitgliedern sogar neidisch. Jedenfalls betreibt sie künstlerische Mimikry. An der Düsseldorfer Kunstakademie gründete sie ein Fußballteam, seit 2018 gibt es das „Schützenkorps Europa“, das laut Korbach mithilfe musikalischer Gaudi europäische Werte an den Stammtisch bringen soll. Warum auch nicht: Schöner als mit einem gegrölten Bekenntnis zur Heimat lässt sich der Verlust der Heimat schließlich nicht illustrieren.
„Es gibt kein Wort… Annäherungen an ein Gefühl“, Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 25. August 2024.