Anfang der 1980er Jahre waren die Maler der Mülheimer Freiheit der letzte Schrei. Jetzt erinnert ein Bildband an die Künstlergruppe.
Bildband über Kölner KünstlergruppeWarum die Mülheimer Freiheit eher eine Zumutung als ein Versprechen ist
„Für mich war die Mülheimer Freiheit ein Nadelöhr, durch das ich durch musste“, sagte Walter Dahn vor einigen Jahren. So etwas wie eine zweite Pubertät also, mit allem, was dazugehört: Alkohol, Flegeleien und als Höhepunkt der symbolische Vatermord. Allerdings befreite sich Dahn, der begabteste unter den sechs Künstlern, die sich 1980 ein Kölner Atelier in der Mülheimer Straße 110 teilten, nicht aus den Fängen seines Elternhauses. Sondern vom Einfluss seines Kunstlehrers Joseph Beuys.
Das Prinzip dieser Befreiung war so schlicht wie erfolgreich: nichts als Dinge tun, die normalerweise nicht akzeptabel sind. Für Dahn bedeutete dies, möglichst banale Bilder zu malen, und zwar so, dass sie nicht wie gemalt aussahen, sondern wie hingeschmiert. Gemeinsam mit Jiri Georg Dokupil schuf er zwei fratzenhafte „Kotzer“, die einander einen grünlichen Schwall in die aufgerissenen Münder reiern. Und weil es so schön war, malten sie eine Fortsetzung, dieses Mal mit den Kotzern Hinterkopf an Hinterkopf.
Man kommt auch heute nicht umhin, in beiden Bildern programmatische Doppelselbstporträts zweier durchaus ehrgeiziger Künstler zu sehen. Dass hier keine Dilettanten am Werk waren, erkennt man schon daran, wie gelungen sich das grün-gelbe Erbrochene vom knallroten Hintergrund abhebt; auch Geschmiere lässt sich so komponieren, dass es malerisch, wenn nicht meisterhaft erscheint.
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Trotzdem sah Dahn die Zeit, die seinen Ruhm begründete, mit gemischten Gefühlen: als etwas, das einerseits unvermeidlich war, einem aber durchaus peinlich sein darf. Für einige Jahre war die wilde Malerei aus der Mülheimer Freiheit der neuste Schrei – und kam beinahe so schnell auch wieder aus der Mode. Dahn war dies, am anderen Ende des Nadelöhrs angekommen, ganz recht. Allerdings waren ausgerechnet seine ungeliebten Flegeljahre die besten seines künstlerischen Lebens.
Man kann dies jetzt anhand eines großen Bildbands überprüfen, der über den Umweg einer polnischen Ausstellung nach Köln fand: „Mülheimer Freiheit – made in Cologne“. Er stellt die sechs Mitglieder der losen und kurzlebigen Künstlergruppe (bereits 1982 war alles vorbei) in einer üppig bebilderten historischen Gesamtschau und in Einzelporträts vor; allerdings belegt das Buch vor allem, dass sich von den allgemein eher schlecht gealterten Mülheimern allein die Werke Dahns ihre jugendliche Frische bewahrt haben. Es hat schon seine Gründe, warum weder die Museen noch der Kunstmarkt von den frühen Werken Hans Peter Adamskis, Peter Bömmels', Gerard Kevers und Gerhard Naschbergers allzu viel wissen wollen.
Dabei stehen verwandte Werke nicht erst seit heute hoch im Kurs. Die „heftige“, ebenfalls in den 1980er Jahren geborene Malerei von Martin Kippenberger oder Georg Herold war niemals weg, Albert Oehlen hat sich erfolgreich von seinen wilden Anfängen emanzipiert und Georg Baselitz steht längst auf dem Sockel eines Klassikers. Die „Mülheimer Freiheit“ hat da Nachholbedarf. An ihr interessieren weniger die einzelnen Mitglieder als ihre zeittypischen gruppendynamischen Prozesse.
Die erste Kölner Ausstellung der „Mülheimer Freiheit“ war ein rauschender Erfolg
Auch die Autoren des Kölner Bildbands vergessen das modische Schlagwort von den „Punks der Palette“ nicht, aber schon Dahn konnte der eigenen Mythisierung wenig abgewinnen. „Wir waren nicht die Sex Pistols der Malerei“, sagte er dieser Zeitung. „Wir waren einfach Leute, wo der eine diesen kannte, und der andere kannte jenen. Und jeder suchte ein Atelier und einen neuen Ansatz für sich.“ Selbst der eingängige Name „Mülheimer Freiheit“ ging auf das Konto des Kölner Galeristen Paul Maenz. Bei ihm gab es im November 1980 auch die erste Ausstellung der Gruppe: „Mülheimer Freiheit und interessante Bilder aus Deutschland“. Sie war ein rauschender Erfolg, genau das, was der Kunstmarkt bestellt hatte.
Aus heutiger Sicht wirkt die „wilde“ Mülheimer Malerei als Teil einer großen Vatermordsbewegung – gelegentlich wird sie Postmoderne genannt. Toby Kamps listet in seinem Buchbeitrag die geistesverwandten Kunstströmungen der Zeit auf: die italienische Transavanguardia, die Maler des US-amerikanischen „Bad Paintings“, die diversen „Neo-Expressionisten“ und sogar die Konzeptkunst, die rein äußerlich nicht weiter von den Mülheimer Schmierfinken entfernt sein könnte. Aber auch hinter den Kotzanfällen Dahns und Dokupils steckte ein Konzept.
Als das Leverkusener Museum Morsbroich vor einigen Jahren den Aufbruch der Kunst in die 1980er Jahre feierte, wurde der Kreis der Aufmüpfigen noch weiter gezogen: Rosemarie Trockel arbeitete damals an Sudelbüchern, Isa Genzken ließ Anzeigen für hochwertige Unterhaltungselektronik rahmen und in den USA erfand sich Cindy Sherman in ihren „Untitled Film Stills“ als anonymer Filmstar neu; Berührungsängste mit dem Populären gab es nun endgültig nicht mehr. Gleichzeitig begannen die Becher-Schüler mit ihren fotografischen Reihenuntersuchungen, und das Schweizer Künstlerduo Peter Fischli & David Weiss stellte Alltagsszenen mit Kartonschachteln, Knackwürsten, Zigarettenkippen und ähnlichen Haushaltsresten nach.
Es war offenbar eine wilde Zeit, auch wenn man ihr das nicht überall so überdeutlich ansah wie auf den Bildern von Bahn, Dokupil und den anderen Mülheimern. Vielleicht liegt genau darin der Grund, dass wir heute mitunter etwas peinlich berührt auf ihre Freiheit schauen.
Christina Haas & Margrit Brehm: „Mülheimer Freiheit – made in Cologne“, Verlag der Buchhandlung Walter und Franz König, 312 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 39,80 Euro.