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Günter Wallraff im Interview„Friedensnobelpreis für Nawalny und Assange hätte Wucht“

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Der Journalist Günter Wallraff im Interview am Adenauerweiher.

Hermann Kesten war als Schriftsteller bekannt, der den Georg-Büchner-Preis gewann und vor allem in den USA großen Erfolg hatte. Als Jude musste er im Dritten Reich vor den Nazis fliehen, später hat er Schriftstellern wie Joseph Roth eine Stimme gegeben, in dem er dessen gesammelte Werke herausgab. Was bedeutet es für Sie, mit einem Preis, der Kestens Namen trägt, geehrt zu werden?

Günter Wallraff: Hermann Kesten war ein Weltbürger, der sich für Menschenrechte und Werte eingesetzt hat, die die Nazis vernichten wollten. Er hatte zeit seines Lebens Misstrauen gegenüber den Mächtigen und eine große Unabhängigkeit. In einem seiner Bücher, die ich gerade nochmal lese, schreibt er: „Ich bin der Fremde in einer Stadt, wo jeder jeden kennt.“ Ich fühle mich in der Masse auch meistens fremd. Und habe meine Identität eher bei Fremden und Ausgegrenzten gesucht und gefunden – auch in meinen Rollen. Insofern fühle ich mich Kesten nahe – und durch den Preis in besonderer Weise geehrt.

Sie haben immer wieder verfolgte Autorinnen und Autoren bei sich wohnen lassen – Wolf Biermann nach dessen Ausbürgerung aus der DDR, Salman Rushdie nach der Fatwa gegen ihn, auch unbekannte kurdische Autoren oder den iranischen Musiker Shahin Najafi, der ebenfalls wegen vermeintlicher Gotteslästerung von radikalen Muslimen mit dem Tod bedroht wurde. Sie haben inhaftierte Regimekritikerinnen und -kritiker in der Türkei besucht und sich für den inhaftieren saudi-arabischen Blogger Raif Badawi eingesetzt. Fühlen Sie sich von Menschen, die sich mächtige Feinde gemacht haben und deren Leben in Gefahr ist, besonders angezogen?

Menschen, die unterdrückte Wahrheiten ans Licht bringen und dafür in Kauf nehmen, verhaftet, gefoltert oder auch getötet zu werden, fühle ich mich verbunden. Ich denke da auch an meinen kürzlich verstorbenen Freund Dogan Akhanli, der sich in beispielhafter Weise für die Rechte von Kurden und Armeniern und das Erinnern verschwiegener Kriegsverbrechen eingesetzt hat.

In Deutschland ist es zum Glück schwer vorstellbar, wegen seiner Meinung verfolgt zu werden – für Regimekritikerinnen in vielen Ländern ist es normal. Denken Sie an die belarussische Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, die zur Ausreise gezwungen werden sollte, um dem Diktator Lukaschenko nicht länger unbequem zu sein!

Sie zerriss lieber an der Grenze ihren Pass und ließ sich einsperren.

Sie lachte in die Kameras, formte die Finger zu einem Herz und zeigte den Menschen: Ich bleibe bei Euch! Lasst Euch nicht einschüchtern! Zeigt keine Angst! Behaltet Eure Hoffnung auf Freiheit! Kämpft weiter! Ähnlich war es bei Alexei Nawalny. Nach einem Giftanschlag des russischen Geheimdienstes hätte er entspannt im Exil leben können. Im Wissen, dort verhaftet zu werden, reiste er stattdessen zurück nach Russland. Und organisiert noch aus der Haft den Widerstand gegen das korrupte Regime von Präsident Putin. Nicht jammern! Machen! Mutig sein! Widerstand leisten! Dafür stehen Hoffnungsträger, für mich Menschen der Zukunft, wie Kolesnikowa, Nawalny und auch Julian Assange in besonderem Maße.

Sie sind in engem Kontakt mit dem Vater von Julian Assange und mit Nils Melzer, dem UN-Sonderberichterstatter für Folter, der sich für die Freilassung von Assange einsetzt. Im Sommer haben Sie 120 Persönlichkeiten aus Deutschland, darunter zehn ehemalige Ministerinnen und Minister, dazu bewegt, sich in einem Brief an Kanzlerin Merkel für Assanges Freilassung einzusetzen. Öffentlich wird längst das Bild des sexgierigen Narzissten von Assange gezeichnet…

Man trachtet Assange nach dem Leben und zusätzlich soll sein Ruf vernichtet werden- Rufmord im wortwörtlichen Sinne. Das Verfahren gegen ihn wegen vermeintlichen sexuellen Fehlverhaltens ist eingestellt worden – trotzdem wird über CIA-Desinformationsskandäle versucht, das Schreckbild eines egozentrischen Dämons weiter gezielt zu lancieren. Nils Melzer hat das in seinem Buch über den Fall Assange als Propagandalüge entlarvt.

Immerhin hat Julian Assange mit Wikileaks schwerste Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt! Durch seine jahrelange Inhaftierung und Isolierung wird es still um ihn. Damit soll ein Präzedenzfall und Abschreckungsszenario für den investigativen Journalismus geschaffen werden – mir bereitet es große Sorgen, dass seine Ächtung von vielen inzwischen fast stillschweigend hingenommen wird, auch von großen internationalen Medien, die mit Wikileaks kooperiert und enorm von Assanges Enthüllungen profitiert haben.

Auch Nawalny wird kalt gestellt. Auch er befindet sich in Haft. Auch ihm geht es nicht gut.

Es gibt viele weitere Parallelen. Assange und Nawalny haben sich die Mächtigsten zum Feind gemacht. Beide haben einflussreiche Organisationen gegründet, die den Machthabern gefährlich werden können. Beide stehen für Zivilcourage und für das unbedingte Eintreten für Menschenrechte und Demokratie.

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Ich halte sie für zwei der wichtigsten politischen Oppositionellen überhaupt – zentrale Pole in ihren jeweiligen System, an denen sich zeigt, wie autokratische Regime, aber auch Demokratien wie die USA zurückschlagen, wenn unangenehme Wahrheiten ans Licht kommen. Mit Desinformationskampagnen, Inhaftierung, Bedrohung, Folter, diplomatischen Drohgebärden. Mein Vorschlag wäre, Nawalny und Assange gemeinsam den Friedensnobelpreis zu verleihen. Das wäre ein wichtiges politisches Signal.

Was allerdings kaum vorstellbar ist.

Wieso eigentlich nicht! Eine solche Entscheidung hätte solch eine politische Wirkmächtigkeit und Wucht! Wenn die beiden den wohl wichtigsten politischen Preis überhaupt erhielten, wäre es für das westliche wie das östliche Lager viel schwerer, der jeweils anderen Seite demokratisches Fehlverhalten vorzuwerfen, und sich selbst als Vollstrecker von Recht und Ordnung zu inszenieren. Assange wie Nawalny müssten in der Folge allein nach rechtsstaatlichen Kriterien beurteilt werden. Was natürlich hieße: Beide kämen frei und könnten ihre wichtige Arbeit wieder aufnehmen.

Sie haben Maria Kolesnikowa erwähnt, Assange und Nawalny. Alle in Haft. Welche Führungsfiguren, die aktuell etwas zu sagen haben, machen Ihnen Hoffnung?

Diese drei sind Hoffnungsträger, obwohl oder gerade, weil sie für ihre Überzeugungen im Gefängnis sitzen. Spontan fallen mir noch Greta Thunberg und ihr jungen Mitstreiterinnen von Fridays for Future ein, die beharrlich, verzweifelt und unerschrocken für den Klimaschutz kämpfen und damit die Mächtigen herausfordern. Ich habe auch eine gewisse Hoffnung, dass in Deutschland eine Ampelkoalition für „Frischluftzufuhr“ sorgen könnte.

Aber es gibt natürlich auch große Sorgen, nationalistische und rechtspopulistische Kräfte sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Auch Donald Trump formiert schon wieder seine Anhänger hinter sich und das ist schon sehr bedrohlich – sollte er Joe Biden ablösen und nochmals Präsident werden, hätte das dramatischen Folgen für Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte.