Das Bundesverfassungsgericht sperrt 60 Milliarden für den Ampelhaushalt. Wo wird die Regierung so viel Geld einsparen?
„Hart aber fair“ zum HaushaltslochFDP-Politikerin stellt Bürgergeld-Anstieg in Frage
Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Bundesverfassungsgericht einen Bundeshaushalt für verfassungswidrig erklärt. Die 60 nicht genutzten Corona-Kredite dürfen nicht – wie geplant – in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) überführt werden.
Damit fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro für Projekte wie die Modernisierung der Bahn, Förderung von Chip-Fabriken oder der Aufbau der Wasserstoffindustrie. Die Ampel-Koalition zeigt sich von dem Verfassungsgerichtsurteil teils überrascht, teils in großer Sorge, vor allem aber: uneins und richtungslos.
Das zeigte sich auch unter den Gästen der Sendung „Hart aber Fair“ am Montag. Das Thema: „Der 60 Milliarden-Rumms – geht der Ampel die Kohle aus?“ Moderator Louis Klamroth konfrontierte seine Gäste mit der Frage, wo die Regierung nun so viel Geld einsparen wolle, und was letztendlich von Reformen, Öko-Umbau und Fördergeldern für E-Autos und neue Heizungen übrig bleibe.
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Die Gäste bei „Hart aber fair“ am 20.11.
- Kevin Kühnert (SPD, Generalsekretär)
- Katharina Dröge (B'90/Grüne, Fraktionsvorsitzende)
- Linda Teuteberg (FDP, Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Bundesvorstand)
- Serap Güler (CDU, Bundestagsabgeordnete)
- Jens Südekum (Professor für internationale Volkswirtschaftslehre)
- Kristina Dunz (Journalistin, stellvertretende Leiterin der Hauptstadtredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland)
Ein „Blick durchs Schlüsselloch“ verrät: Eine Strategie verbirgt sich dahinter nicht
„Alles muss gründlich geprüft werden“: Dieser oder ähnlich vage Sätze ersetzten am Montag immer wieder eine klare Antwort darauf, an welcher Stelle die Regierung jetzt 60 Millionen Euro einsparen wolle.
Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, antwortete etwa: „Wir müssen verhandeln, an welchen Projekten gespart werden muss“ –nachdem Klamroth ihr die konkrete Frage gestellt hatte, ob der Chef der Chip-Firma Intel nun um bereits zugesagte Gelder bangen müsse. Man werde sich nochmal alles anschauen müssen, antwortete FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg, als Klamroth wiederholt fragte, wo die FDP denn sparen wolle.
Dass die Antworten der Politiker so unkonkret sind, erklärte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert damit, dass man in der Politik bisher auch noch keine einheitliche Ansichtslage habe. Bisher könne man die Bevölkerung nur ein wenig „durchs Schlüsselloch blicken lassen“, sagte er. Doch eine Strategie verbirgt sich dahinter nicht, stattdessen Streit.
Politiker suchen angestrengt nach den kleinsten Einsparpotenzialen
Einer der Streitpunkte: das Bürgergeld. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg stellte den Anstieg des Bürgergeldes infrage. Weil die Sozialleistungen einer der größten Posten im Haushalt seien, sei es notwendig, diesen noch einmal zu prüfen. Dieser Auffassung war auch CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler. Das Bürgergeld, so wie es gerade aufgebaut sei, sorge für mehr Unfrieden als Gerechtigkeit.
Stattdessen könnte Güler sich vorstellen, an der Kindergrundsicherung, dem Kernprojekt der Grünen, zu sparen. Ihr Argument: Um gegen Kinderarmut vorzugehen, könne auch das Bildungs- und Teilhabepaket genutzt werden – ein Paket, das ihr zufolge nicht in jedem Jahr gänzlich abgerufen werde.
Südekum: Den Sozialstaat noch einmal „aufzuschnüren“ führt zu einer großen Katastrophe
„Natürlich kann man hier und da etwas wegnehmen“, antwortete Kevin Kühnert auf die Sparmaßnahmen im sozialen Bereich: „Hier das Bürgergeld, dort das Bafög.“ Doch in einem Sozialstaat fliege das einem am Ende „um die Ohren“. Dieser Auffassung war auch der Experte Jens Südekum. Als Konsequenz der Misere, den Sozialstaat noch einmal „aufzuschnüren“, führe zu einer großen Katastrophe, sagte er.
„Sozialstaatsausgaben, die im Hier und Jetzt getätigt werden, müssen gedeckt sein. Investitionen, die in der Zukunft aber Rendite erwirtschaften sollen, müssen das nicht“, meinte er. Generell plädierte Südekum eher für zukunftsfähige Investitionen, die durch Kreditaufnahmen zu tätigen seien, statt für das Durchziehen der Schuldenbremse und das „In-die-Knie-gehen vor der schwarzen Null“.
„Hart aber fair: Experte plädiert für Kreditaufnahme und Investitionen, die in der Zukunft Rendite erwirtschaften
Es sei laut Südekum ein generelles Problem des Wirtschaftsstandorts Deutschland, dass Investitionen „dramatisch unterfinanziert“ seien, und das nicht erst seitdem die 60 Milliarden gestrichen wurden. Über Kleinstkürzungen und viele Miniatureinsparungen, etwa beim Kindergeld, könne man diesem großen Problem nicht begegnen, es brauche jetzt eine schnelle Finanzierung durch Kredite und langfristig eine belastbare Strategie.
Die Schuldenpreisbremse steht seit 2019 in der Verfassung. Sie besagt, dass der Staat jährlich zusätzliche Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen darf. Doch sie ist keine heilige Kuh. Die Preisbremse in dieser besonderen Situation zu hinterfragen, sei gerechtfertigt, findet Journalistin Kristina Dunz. Schließlich sei die Politik heute in einer Ausnahmesituation (Krieg in Europa, weltweiter Temperaturanstieg). In so einer Notlage müsse man umdenken können.
CDU-Politikerin Serap Güler schiebt energisch den Schwarzen Peter weg von der Union
Doch Dunz sagt im selben Atemzug, dass „die Union das nicht mitmachen wird“. Während Kühnert und Dröge fürchten, dass Kosten durch die Bremse nicht wirklich gespart, sondern nur in die Zukunft verlagert werden, schiebt Güler nur energisch den Schwarzen Peter von der Union weg: „Die CDU ist nicht der Täter“, sagt sie. Und dass man gerade versuche, nicht den zu bestrafen, der gefoult, hat, sondern den, der es angezeigt hat. Ihr Lösungsansatz: Eine Priorisierungsliste der Einsparmaßnahmen.
„Für mich ist der heutige Abend doch ziemlich frustrierend, da es doch viel mit Rangelei zugeht“, sagt Dunz. Wenn die Ampel es nicht schaffe, die Angelegenheit in Ruhe zu regeln, sehe sie schwarz für zwei lange Jahre, in denen die Parteien noch gemeinsam regieren müssten. Danach rollt Kevin Kühnert bei einem Einspieler von Friedrich Merz mit den Augen.