Köln – „Lichtblick Impfen!“ Das schwirrt nicht nur in den Köpfen vieler Menschen, wenn sie an die Corona-Pandemie denken, sondern war auch Motto der Sendung „Hart aber fair“ am Montagabend. Wann gibt es Impfstoff für alle? Haben auch Jüngere eine Chance auf einen Sommer mit Impfschutz? Wie hoch ist das Risiko bei Astrazeneca und Co. wirklich? Die Antworten auf diese Fragen diskutierte Moderator Frank Plasberg mit folgenden Gästen:
- Carsten Watzl
- Dilek Kalayci
- Anke Richter-Scheer
- Johannes Vogel
- Stephan Grünewald
- Susanne Glass
Nur wenige Stunden zuvor hatten sich Bund und Länder zum Impfgipfel getroffen und beschlossen, die Impfpriorisierung spätestens im Juni aufzuheben und somit allen Menschen in Deutschland ein Impfangebot machen zu können. Auch eine Rechtsverordnung, die Lockerungen für bereits Geimpfte regelt, soll auf den Weg gebracht werden. Anke Richter-Scheer stellt sogar in Aussicht, dass die Impfpriorisierung schon vor Juni aufgehoben werden könnte. Sobald genug Impfstoff zur Verfügung steht. So schnell wie möglich „raus aus dem Schlamassel“, wie es Frank Plasberg zu Beginn sagt.
Die Ergebnisse des Impfgipfels sind direkt zu Beginn der Sendung Thema. Hausärztin Richter-Scheer begrüßt die geplante Lockerung der Impfpriorisierung. So sei das Ziel, schnell durchzuimpfen, eher zu erreichen. Sie plädiert für pragmatische Lösungen. Auch Dilek Kalayci fordert, eine Priorisierung aufzuheben. In Berlin ist das bei Astrazeneca bereits geschehen – mit erstaunlichen Folgen: Plötzlich sei Astrazeneca wieder knapp geworden, nachdem der geschmähte Impfstoff zuvor fast schon als Ladenhüter gegolten hatte.
Schon früh in der Sendung reiht sich ein Plädoyer für eine Aufhebung der Priorisierung an das nächste, auch Johannes Vogel wirbt für eine Eindämmung der Bürokratie. Einzig Carsten Watzl tritt ein wenig auf die Bremse. Der Immunologe betont, dass die Impfung vulnerabler Gruppen noch nicht abgeschlossen sei. Über-60-Jährige hätten ein höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben – geimpft sind sie aber noch nicht alle. Nur, wenn man sich streng an die Reihenfolge halte, seien die meisten Menschenleben zu schützen. Allerdings verwische sich in der Realität auch viel, betont Richter-Scheer. Priorisierung von Berufsgruppen mit Priorisierung von Vorerkrankungen beispielsweise. Sie als Hausärztin wisse genau, welche ihrer Patientinnen und Patienten eine Impfung am dringendsten brauche. „Ich wünsche mir, dass man sagt: So, liebe Ärzte, wenn der Impfstoff da ist: Macht!“ Dilek Kalayci stimmt zu: „Wir vertrauen den Ärzten, dass sie es richtig machen.“ Das überstimmte Argument von Carsten Watzl verebbt etwas, er muss sich geschlagen geben.
Astrazeneca-Skeptiker lassen sich überzeugen
Der geschmähte Impfstoff Astrazeneca bleibt Thema. Anke Richter-Scheer berichtet, dass sich in ihrer Praxis durchaus Patientinnen und Patienten, die dem Impfstoff erst skeptisch gegenüberstehen oder ihn gar ablehnen, nach einem Gespräch umentscheiden. Im Impfzentrum, wo sie die Menschen nicht kenne, sei dies so nicht möglich. Auch Watzl erwähnt später nochmal: „Astrazeneca ist für Über-60-Jährige genau so gut wie die anderen Impfstoffe.“
Aus der Sicht von Psychologe Stephan Grünewald hilft auch die aktuelle Verknappung dem im Ansehen hinkenden Impfstoff. Er sieht vielmehr ein impfstoffübergreifendes Problem: Die Impfskeptiker, die eine Impfung ablehnen. Und so auch einer Herdenimmunität im Weg stehen. „Ich glaube, so eine Gruppe kriegen wir nur über gute Aufklärung“, sagt er. „Hinter der Skepsis steht das Gefühl, dass ich ein autonomer Mensch bin, der selbst weiß, was am besten für mich ist.“ Man müsse mehr auf Augenhöhe kommunizieren, mit weniger Angst, ohne „Bilder von riesigen Spritzen.“ Ob das reichen kann, daran zweifelt nicht nur Frank Plasberg kurz, „Spritze bleibt Spritze.“ Zwischen großen und kleinen Spritzen wühlt Plasberg bei Immunologe Carsten Watzl nach Fakten. Wie viele Geimpfte man denn für eine Herdenimmunität brauche? Watzl geht von knapp 70 Prozent der Bevölkerung aus, „auch mit der britischen Variante.“
Diskussion über Impfzwang sei aktuell „toxisch“
Aber gibt es überhaupt genügend Impfwillige? Sind die 70 Prozent nur durch einen Impfzwang zu erreichen? Zu diesem Zeitpunkt sei eine solche Diskussion „toxisch“, sagt FDP-Politiker Johannes Vogel. Er setzt eher auf den Willen, die Pandemie zu beenden.
Den Weg also einzuschlagen, den Israel aktuell geht. Dort können Geimpfte in Restaurants, Kneipen und Diskotheken gehen. Ein wunderbares Gefühl, berichtet ARD-Korrespondentin Susanne Glass. „Das war ein Aufatmen, als ich das erste Mal wieder rausgegangen bin.“ Sie berichtet, wie schön es sei, sich wieder mit Menschen auszutauschen – auch wenn die Pandemie in Israel noch nicht beendet ist. Mit der rasanten Durchimpfung aber geht der Rückgang der Corona-Zahlen einher, gleichzeitig kehren Freiheitsrechte zurück.
Diskussionen über eine Impfreihenfolge hat es in Israel nicht gegeben. Wenn Impfstoff verfügbar war, dann wurde dieser verimpft – auch an jüngere Menschen, wenn es die Situation hergab. Geimpft wird und wurde überall: Im Möbelhaus, am Strand, in der Kneipe. Auch das digitalisierte Gesundheitssystem hat zu dem Impferfolg in Israel beigetragen. „In Deutschland diskutieren mir alle zu viel. Macht es pragmatisch!“ fordert die Israel-Korrespondentin.
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Womit die Runde unmittelbar wieder bei der Frage der letzten Wochen landet: „Was ist falsch gelaufen?“ Kalayci beklagt, es habe zu Beginn schlicht zu wenig Impfstoff gegeben. Die deutsche Bürokratie sieht sie dabei nicht als Hindernis, „so haben wir jeden Menschen erreicht.“ In Israel ging es vor allem schneller, weil dort pragmatischer gehandelt wurde. In Deutschland habe man es verpasst, Lösungen mit kreativen Konzepten zu finden, findet Psychologe Grünewald. „Wir sind das Land des Tüvs“, sagt er mit Hinblick auf die deutsche Gründlichkeit und Bürokratie, die einen Pragmatismus wie in Israel vermissen lassen.
In einem Einspieler geht es dann um Tricksereien bei der Impfreihenfolge, es fällt auch das Wort „Impf-Vordrängler“. Anke Richter-Scheer sieht das anders, pragmatischer: „Sie helfen uns auf dem Weg zur Herdenimmunität.“ Auch Dilek Kalayci will nicht über Vordrängler sprechen und nimmt das Ziel Herdenimmunität in den Fokus. Zum Ende der Sendung kommt nochmal die Sprache auf den Impfneid. Psychologe Grünewald nennt zwei Arten von Neid: „Es gibt den zerstörerischen Neid und es gibt den beflügelnden Neid. Wenn wir es schaffen, dass der beflügelnde Neid den zerstörerischen ablöst – dann haben wir doch alle gewonnen.“ Erstaunlich pragmatisch für eine abendliche Talksendung im „Land des Tüvs“.