Helge Schneider spielt an drei Abenden seiner „Ein Mann und seine Musik“-Tournee in Köln und erreicht dabei die Pflegestufe Eins.
Bassist als „Scheintoter“Helge Schneider in Köln – Willkommen im Altersheim, ihr Arschlöcher
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Helge Schneider am Freitagabend in der Kölner Philharmonie
Copyright: Dirk Borm
Helge Schneider hat Rücken. Oder tut, auf die Bühne staksend, überzeugend so. Vielleicht ist es aber auch viel schlimmer. Die ersten Klaviertakte klingen arthritisch-atonal, begleitet von einem heiseren Röcheln. Später am Abend wird Schneider den Song „Willkommen im Altersheim“ vorstellen. Sein Bassist ist darüber schon hinweg: Reinhard Glöder mimt den geriatrischen Scheintoten, starrt regungslos ins Leere – nur die flinken Finger bewegen sich.
Man kennt derlei von Veteranen der Jazzmusik. Auf die Bühne schaffen sie es kaum aus eigener Kraft, aber wenn sie sich erst einmal umständlich hingesetzt und in ihre Instrumente gewickelt haben, spielen sie wie junge Götter. Die Frage, wie man auf der Bühne in Würde altern kann, stellt sich ihnen nicht. Jedenfalls, solange das Langzeitgedächtnis ihre Atemwege und Fingerspitzen noch erreicht.
Im Sommer wird Helge Schneider 70 Jahr alt, ein Dilemma, das er nicht oft genug betonen kann
Auch der Helge Schneider, der gerade in der Philharmonie sein aktuelles Kontrastprogramm zum kölschen Karneval aufführt, ist nicht mehr der Jüngste. Im Sommer wird er 70 Jahr alt, ein biografisches Dilemma, das er gar nicht oft genug betonen kann. Bei kaum einem Lied versäumt er zu erwähnen, dass er es vor Urzeiten geschrieben hat. Goldies wie „Heute hab ich gute Laune“ oder die bombastische Schlagerschnulze „100.000 Rosen“. Einer der neuen Songs ist eine gesungene Kontaktanzeige („Alter Mann sucht junge Frau“), die in einer unsterblichen Doppelzeile gipfelt: „Du sollst meine Traumfrau sein/ Trag Dich in die Namensliste ein.“
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In jungen Jahren lungerte Schneider gerne im Eduscho-Café herum und bewunderte, wie souverän die älteren Herren ihre gewachsenen Unzulänglichkeiten überspielten. Jetzt begegnet er den eigenen, indem er alternde Poplegenden persifliert: mit dem Mikrofon jongliert, langatmige Anekdoten erzählt und sich ungelenk zum Gitarrensolo spreizt. Einmal rutscht ihm der Name Udo Jürgens heraus. Aber wer will, kann auch Elvis, Sinatra und die Gitarrenhelden der Siebziger erkennen. Das Schönste daran: Schneider muss dafür nicht einmal ihre Musik spielen.
Du sollst meine Traumfrau sein/ Trag Dich in die Namensliste ein
Auch Helge Schneider hat längst Legendenstatus erreicht, seine Bühnenshow ist ein durch stetes Improvisieren aufgelockertes Fest des Wiedersehens. Es treten auf: der Meister des freudschen Versprechers („Freue mich, mit diesen wunderbaren Musikern spielen zu müssen“), der herrische Arbeitgeber („Probe morgen um sechs Uhr früh“), der schleimige Unterhalter („Köln ist die schönste Stadt – der Gegend“) und selbstredend der Virtuose des perfekt getroffenen falschen Tons.
Als Publikumsdompteur ist Schneider ohnehin eine Klasse für sich. Er schmeichelt, wenn er beleidigt und umgekehrt. Am Freitagabend beklagt er, wie wenig Lust er aufs Samstagskonzert an gleicher Stelle hat: „Da kommen nur Arschlöcher.“ Und schon frisst ihm der Saal aus der Hand.
Nach der Pause erreicht der Abend die Pflegestufe Eins
Nach der Pause lässt es Schneider geruhsamer angehen. Es wird weniger herumgealbert und mehr musiziert, der Abend erreicht die Pflegestufe Eins. Äußerlich agiler, lehnt sich Schneider in die bequeme Entertainer-Parodie zurück: Alle Lieder sind schön, manche auch besonders schön, und jedes hat eine ausufernde Einleitung verdient.
Hier spricht jemand, der seine Fürze für Gottesgeschenke hält und seine Begleitmusiker für ausgemachte Trottel. Auf Glöder redet Schneider durchweg im bemutternden Tonfall einer Krankenschwester ein, seinen Gitarristen Sandro Giampietro stellt er als begriffsstutzigen Italiener hin („Bene?“), und als Willy Ketzer ein sehr langes und sehr virtuoses Schlagzeugsolo spielt, soll es ein von ihm, Schneider, in einer Probenpause rasch aufgenommenes Playback gewesen sein. „Ich glaube, das habt ihr gar nicht gemerkt.“ Auch als eitler Fatzke ist Helge genial.
Am Ende schleichen die Senioren von der Bühne, und niemand im Publikum glaubt, dass sie die Kraft haben, für eine Zugabe zurückzukehren. Immerhin biegt Schneider beim Abgehen zur riesigen Klais-Orgel ab und haut in die Tasten wie einst Herbert Lom auf der Jagd nach Inspektor Clouseau. Dann spielt er „En unsrem Veedel“ an, und wie auf Kommando singen alle mit. Waren wir nicht in die Philharmonie gekommen, um diesem Wahnsinn zu entfliehen? Die Leute, vor denen uns Helge Schneider immer gewarnt hat, sind offenbar wir selbst.