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PhilharmonieGürzenich-Orchester begeistert mit Elgar, Roussel und Ravel

Lesezeit 3 Minuten
Ariane Matiakh

Dirigentin Ariane Matiakh

Frank Peter Zimmermann und das Gürzenich-Orchester Köln unter Ariane Matiakh begeistern in der Philharmonie.

Edward Elgars Violinkonzert ist ebenso symphonisch wie virtuos. Der Solist steht in ständigem Dialog mit dem Tutti und einzelnen Registern des Orchesters. Selbst seine noch so kapriziös umspielten Sequenzen finden allesamt harmonischen Rückhalt im teils voll, teils nur kammermusikalisch instrumentierten Apparat. Dank allseitiger Hellhörigkeit, Detailgenauigkeit und schwungvoller Lebhaftigkeit gelang dem überragenden Geiger Frank Peter Zimmermann zusammen mit dem bestens präparierten Gürzenich-Orchester unter dem ebenso präzisen wie impulsstarken Dirigat von Ariane Matiakh ein stimmig verzahnter Trialog auf Augenhöhe.

Trotz stellenweise aufgewühlter Pathetik gestalteten die Interpreten das 1910 uraufgeführte Werk mit wunderbar weich und mattgold schimmerndem Klang als dem melancholischen Seelenton des Fine de Siècle. Auffallend ist die Vielzahl verschiedener Einfälle jenseits des typischen Themen-Dualismus, die alle ihre eigenen Fliehkräfte entfalten, womöglich analog zu den damaligen – und heutigen? – multipolaren Spannungen kurz vor dem Ersten Weltkrieg.

Alle virtuose Geschäftigkeit ist mit einem Mal weggefegt

Einer der eindrücklichsten Momente ist der plötzliche Einbruch der Sphäre des langsamen Satzes mitten ins Allegro-Finale. Alle virtuose Geschäftigkeit ist mit einem Mal weggefegt. Nach allen Läufen, Doppel- und Tripelgriffen wirkt die Musik schlagartig wie von Lähmung befallen. Das erste und einzige Mal erhält die Geige nun den Raum und weiten Atem, über leise flirrenden Orchesterstreichern einen zarten instrumentalen Gesang anzustimmen.

Die Solokadenz weitet sich wie zu einem eingeschobenen vierten Satz, der die Rondo-Form und motorische Zielgerichtetheit des Schlusssatzes unterbricht. Der Klagegesang der einsamen Vox Humana spricht das eigentliche Schlusswort. Doch der Schlusssatz tut der Gattungskonvention Genüge und wirbelt anschließend in ungebrochenem „Allegro molto“ einem triumphalen Schlusspunkt entgegen, der erzwungen und unglaubhaft erscheint wie viktorianische Etikette. Auch diese Ambivalenz bringen Solist, Orchester und Dirigentin kongenial zum Ausdruck: Absolut hörenswert!

Pragmatischer Leerlauf

Was bei Elgar sensible Doppelbödigkeit ist, ist bei der zweiten Orchestersuite von Albert Roussel, die der französische Komponist 1931 aus seiner Ballettmusik „Bacchus et Ariane“ zusammenstellte, eher pragmatischer Leerlauf. Das Stück beginnt als illustrierende Programmmusik mit dem Schlaf, Erwachen und Erschrecken Ariadnes, die von Theseus auf die Insel Naxos gebracht, dort von ihm verlassen und schließlich von Dionysos gefunden und geliebt wird.

Der anfängliche Handlungsfaden verliert sich dann jedoch in einer Reihung unterschiedlicher Charaktere und Tanzmodelle, die ohne sichtbare choreografische Gestaltung weder programmatisch noch musikalisch Sinn machen und kaum mehr entfalten als das Motto des Gürzenich-Konzerts verspricht: „Schall und Rausch“.

Wieder anders liegt der Fall bei Maurice Ravels 1920 für die Ballets Russes komponiertem „La Valse“. Das Stück ist eine Hommage an den Wiener Walzer und damit so etwas wie eine selbstreferentiell über eine bestimme Musik nachdenkende Musik. Zugleich werden die vielen versprengten Melodien, Rhythmen, Gesten und Idiome des Walzers gegen Ende zu einer dämonisch lärmenden Orgie gesteigert und immer wieder durch metrische 2/4-Störungen im 3/4-Takt bis zum Zerfall strapaziert. Die Musik wirkt dadurch andererseits wie ein zeitdiagnostischer Totentanz oder Tanz auf dem Vulkan. Frenetischer Applaus.