Der Finne zeigte beim Gastspiel mit dem Orchestre de Paris in der Philharmonie ein ausgesprochen forderndes Programm.
In Ekstase und mit ÜberblickStar-Dirigent Klaus Mäkelä beweist Weltspitze in Kölner Philharmonie

Klaus Mäkelä
Copyright: Marco Borggreve / Royal Concertgebouw Orchestra
Für Klaus Mäkelä könnte es kaum besser laufen. Mit nicht einmal 30 Jahren hält der finnische Dirigent bereits Chefposten in Paris und Oslo. Erst im Dezember gastierte er mit den Wiener Philharmonikern in Köln. Und die Zukunft sieht nicht weniger rosig aus: 2027 wird Mäkelä mit dem Concertgebouw Orkest Amsterdam und dem Chicago Symphony Orchestra gleich zwei Klangkörper der absoluten Weltspitze übernehmen.
Was hat Mäkelä, das andere nicht haben? Beim Gastspiel des Orchestre de Paris in der Philharmonie baute sich das Bild seiner außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeit mit zunehmender Plastizität auf – gewissermaßen parallel zu den Steigerungen im ausgesprochen fordernden Programm.
Maximale Durchsichtigkeit ohne taktschlagende Strenge
Am Anfang standen die vier Sätze, die Maurice Ravel aus seiner Klaversuite „Le Tombeau de Couperin“ für Orchester eingerichtet hat. Gleich das eröffnende Prélude ist das heikelste Stück der Gruppe: Seine ausgesprochen pianistisch gesetzte Figuration klingt im Orchester oft ein bisschen verhudelt und vernudelt, vor allem da, wo die Geigen die Melodie von der Oboe übernehmen. Hier war es anders – die geschmeidige Sechzehntelbewegung tönte so präzise und trennscharf, als werde sie mit hohen Fingern auf dem Klavier gespielt.
Alles zum Thema Kölner Philharmonie
- Johannes-Passion unter Herreweghe Zum Heulen schön
- Benefizkonzert des Bundespräsidenten Enorme Klangopulenz
- Erfolgsmusical „Cats“ kommt in aufgefrischter Fassung in die Kölner Philharmonie
- Benefiz-Konzert „Herzenssachen“ in der Kölner Philharmonie
- Kölner Philharmonie Warum Kent Naganos „Siegfried“ Stoff für Diskussion bot
- Aufführungen von „Cats“ Was für das Sommerfestival der Kölner Philharmonie geplant ist
- Gürzenich-Konzert Ein Statement im Sinn der klassischen Werksubstanz
Auch in den übrigen Sätzen forderte Mäkelä dem Orchester jene maximale Durchsichtigkeit ab, die man von der originalen Klavierversion kennt. Und das tat er ohne jene Pedanterie, ohne taktschlagende Strenge. Er gab Richtung und Gewichtung der Phrasen mit knapper Gestik an und ließ das wunderbare Stück in all seinem hellen, zuweilen auch durch sanfte Melancholie verschatteten Klassizismus leuchten.
‚Russische Ballette‘ von Igor Strawinsky
Und dieses hinreißende Entrée war nur der Anfang. Mit „Petruschka“ und „Le Sacre du Printemps“ stellte Mäkelä seinem Orchester gleich zwei der ‚russischen Ballette‘ von Igor Strawinsky auf die Pulte. Das sind Werke von abendfüllendem Materialreichtum, jeweils auf extrem verdichtete 35 bis 40 Minuten eingekocht. Bei „Petruschka“ liegen die Schwierigkeiten vor allem in der Koordination der sprunghaft wechselnden, jedes metrische Raster sprengenden Orchestergesten: das wohlorganisierte Chaos eines altrussischen Volkfestes. Die Pariser Musiker ließen diese verklungene Welt in intensivsten Farben und Aromen erstehen, mit viel Mut zum Derben und Plebejischen. Besonders im weiten, raumgreifenden Klang der tiefen Holzbläser öffnete sich eine dunkle Höhlung, etwas Knarzendes und Schnarrendes, wie es das in dieser unmittelbar haptischen Qualität wohl nur bei französischen Orchestern gibt.
Die genial komponierten Verrenkungen der titelgebenden hölzernen Gliederpuppe sind das größte Wunder der Partitur. Um ihre anrührende Menschlichkeit zu entfalten, hätten ein wenig mehr Ruhe und behutsame Formung nicht geschadet. Da steht dem Maestro derzeit vielleicht noch sein jugendliches Quecksilber im Weg – aber möchte man das ernsthaft kritisieren?
Beim „Sacre“, diesem ikonischen Zentralwerk der musikalischen Moderne, standen rhythmische Kontrolle und musikalische Hingabe in perfekter Balance. Wenn man seiner Sache so sicher ist, wie es das Orchester und sein Dirigent hier offenkundig waren, dann kann man die Zügel eben auch mal lockerer lassen. Klaus Mäkelä gelang es, sich im Schlusstanz so ekstatisch zu winden wie das erwählte Opfer des heidnischen Rituals und trotzdem bei der asymmetrischen Folge von Dreier-, Vierer- und Fünfertakten unfehlbar den Überblick zu behalten. Das Orchester feierte seinen Chef am Ende fast noch stürmischer als das Publikum im Saal. Es weiß wohl nur zu gut, was es in zwei Jahren an ihm verlieren wird.