Die Architektin und Autorin Karin Hartmann beschäftigt sich mit Frauen in der Architektur und Stadtplanung
Copyright: Marion Schoenenberger
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Frau Hartmann, Sie sind am 29. April in Köln bei einer Veranstaltung der Stadt Köln zum Thema „Eine Stadt für alle“ zu Gast. Ist die Stadt denn nicht für alle da?
Das klingt ja erstmal sehr selbstverständlich. Aber tatsächlich ist die Stadt, so wie jede Architektur, immer aus einer gewissen Perspektive geplant. Die Planungsseite ist leider nicht unbedingt so vielfältig, dass sie alle Lebensperspektiven berücksichtigt, deshalb der Wunsch nach einer Stadt für Alle. Das bedeutet, dass auch Stimmen, die sonst weniger präsent sind, in der Planung berücksichtigt werden.
Zum Beispiel die Bedürfnisse von Frauen?
Ja, dafür wurde Ende der 90er Jahre die Strategie des sogenannten „Gender-Mainstreaming“ eingeführt, als erklärtes Ziel der EU. Das heißt, alle Bereiche des öffentlichen Tuns und Handelns sind auch aus der Perspektive der Geschlechter zu betrachten: egal ob Prozesse, Budget-Planung oder Richtlinien.
Was bedeutet das für die Stadtplanung?
Dass man bei jeder Maßnahme überprüft: Wer profitiert hier in erster Linie, wer ist beteiligt worden, für wen funktioniert diese Planung und für wen funktioniert sie eventuell auch nicht. Also zum Beispiel zu sagen: das ist eine tolle Unterführung, sie funktioniert wunderbar. Aber funktioniert sie auch, wenn eine 18-jährige Frau abends um 10 Uhr da durchgeht? Ist das für sie genauso machbar oder vielleicht nicht?
Geht es dabei also hauptsächlich um Sicherheitsfragen?
Nicht nur. Ein weiteres großes Thema sind zum Beispiel Toiletten im öffentlichen Raum. Sie sind für die meisten Frauen einfach kaum nutzbar, weil es zum einen zu wenige gibt und die, die es gibt, oft nicht sauber sind. Das betrifft Frauen einfach viel stärker.
Stadtplanung kann nur zu einem gewissen Teil dazu beitragen, dass Personen sich sicher fühlen.
Karin Hartmann
Wobei das Thema Sicherheit ja zum Beispiel nicht nur Frauen betrifft, oder?
Nein, auch Personen, die zum Beispiel eine Migrationsgeschichte haben und dadurch noch einmal andere Sicherheitsbedürfnisse haben im öffentlichen Raum, oder einfach ältere Menschen. Am Ende geht es darum, einen Raum herzustellen, in dem man sich sicher fühlt. Manchen Ängsten sind auch durch Planung leider gar nicht zu begegnen. Sie kann nur zu einem gewissen Teil dazu beitragen, dass Personen sich sicher fühlen.
Wie kann es denn gelingen, solche Perspektiven mehr ins Bewusstsein zu rufen und in die Planung miteinzubeziehen?
Ein erster Schritt ist, die Personen einfach sehr direkt zu befragen: Was sind eure Bedürfnisse? Was fehlt euch? Oder, wenn es schon einen Vorentwurf gibt, zu fragen, was sagt euch dieser Ort? Kann man da noch etwas verbessern? Dieses Mittel der Partizipation, also der direkten gesellschaftlichen Beteiligung, ist sehr wichtig. Dabei kommt es auch auf die Art der Umsetzung an.
Was ist dabei wichtig?
Es macht durchaus einen Unterschied, ob eine Stadt oder Kommune Partizipation als eine Pflichtveranstaltung ansieht oder ernsthaft versucht, alle Nutzergruppen zu erreichen. Das bedeutet auch niederschwellige Angebote zu machen. Etwa nicht alle Bürgerversammlungen ausschließlich abends um 20 Uhr einzurichten, wo nur die Personen kommen können, die beispielsweise einen Babysitter haben.
Es ist wichtig, dass Personen in Entscheidungspositionen sitzen, die vielfältige Erfahrungen und Lebensrealitäten mitbringen.
Karin Hartmann
Viele gute Ideen schaffen es dann leider nicht über die Planungsphase hinaus. Woran liegt das?
Es ist eben wichtig, dass Personen in Entscheidungspositionen sitzen, die vielfältige Erfahrungen und Lebensrealitäten mitbringen und das einschätzen können. Die Statistiken zeigen, dass Führungspositionen weiterhin in erster Linie von Männern besetzt sind. Auch in der Planung ist das so. Das ist erst einmal nicht schlimm. Aber sie sollten dann eben auch andere Perspektiven einbeziehen. Mir ist wichtig zu betonen, dass einseitige Planung unbewusst ist: Was ich selbst noch nicht als Hindernis erlebt habe, an das denke ich dann auch nicht bei der Planung.
Zur Stadtplanung für alle würden also unter anderem mehr Frauen in den entsprechenden Positionen beitragen. Dabei ist die Mehrzahl der Architekturstudierenden heute weiblich.
Ja, später im Berufsleben kehren sich diese Verhältnisse wieder um. Wir haben aktuell für Deutschland noch keine Daten zu diesem Verlauf: Was passiert denn eigentlich, wenn diese 60 % Frauen fertig studiert haben? An welcher Stelle entscheiden sie sich dagegen, in die klassische Planung zu gehen? Eine amerikanische Studie hat aber gezeigt, dass Frauen schon früh ahnen, ihr Leben nicht mit dem Architekturberuf vereinbaren zu können - lange bevor sie zum Beispiel ein Kind bekommen. Es ist also nicht die Sollbruchstelle Kind an sich, sondern die Atmosphäre, in der Familienplanung unmöglich scheint.
In Ihrem Buch beschreiben Sie ausführlich, wie männlich die Architekturbranche nach wie vor geprägt ist. Wie kommt das?
Das Berufsverständnis des Architekten hat sehr viel mit der Bevorzugung von männlich interpretierten Eigenschaften zu tun. Das zeigt sich allein schon darin, wie Architektur beschrieben wird. Wir sprechen zum Beispiel von ‚meisterhaft‘ oder von ‚Meisterklassen‘. Das kommt aus der Kunst und dem Berufsverständnis des Künstlerarchitekten - und wird durch und durch als männlich angesehen.
Es wird suggeriert, zur Architektur sei man berufen. Damit einher geht die Erwartung einer Allzeitverfügbarkeit.
Karin Hartmann
Was macht das mit Frauen, die versuchen, in der Branche Fuß zu fassen?
Frauen sind zwar dazugekommen, sehen sich aber immer noch mit klaren Vorstellungen konfrontiert, die diese Branche besonders betreffen. Es wird suggeriert, zur Architektur sei man berufen. Damit einher geht die Erwartung einer Allzeitverfügbarkeit. Beruf und Privatleben sind kaum trennbar. Es ist offensichtlich, dass das nicht gut mit einer Familie vereinbar ist.
Was könnte da helfen?
Zunächst ist es wichtig, diese verbreiteten Vorstellungen auch aus der Profession heraus kritisch zu hinterfragen: Ist das wirklich so? Brauchen wir wirklich noch diese starke Präsenzkultur? Die Arbeitswissenschaft sagt etwas anderes. Noch einmal zu überlegen, wen grenzen wir damit aus und wen wollen wir eigentlich einladen in diesen Beruf? Das ist auch eine Aufgabe der Lehre.
Haben Sie denn das Gefühl, es hat sich schon etwas gebessert?
Ja, es bewegt sich unheimlich viel in den letzten Jahren. Der Frauenanteil und das Verständnis für Chancengleichheit sind stark gestiegen. Aber auch viele Männer sind heute interessiert an gemeinschaftlichem Entwerfen und einer Abkehr von einer klassischen Autorenschaft. Davon profitieren am Ende alle. Es wird ja niemandem etwas weggenommen, im Gegenteil.
Zugleich werden Bemühungen für mehr Gleichberechtigung aktuell von bestimmten politischen Gruppen stark attackiert. Bereitet Ihnen das Sorgen im Hinblick auf die Stadt für alle?
Rechtspopulisten versuchen, vieles, was mit Gender und im Weiteren auch mit Klimaschutz zu tun hat als „woke“ zu disqualifizieren. Diese Mechanismen, die als absichtliche Provokation eingesetzt werden, muss man kennen. Es ist wichtig, dass sich die öffentliche Hand jetzt nicht vom längerfristigen Ziel gerechterer Lebensverhältnisse abbringen lässt, die sich nach wie vor die Mehrheit der Gesellschaft wünscht. Da heißt es jetzt konstruktiv dagegenhalten.
Karin Hartmann ist Architektin und Autorin. Sie schreibt, spricht und forscht zu Architektur und Stadtplanung aus feministischer Sicht. In ihrem Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ untersucht sie die strukturelle Diskriminierung innerhalb der Architekturbranche. Sie ist Mitglied im BDA und erste Vorsitzende des Karrierenetzwerks „architektinnen initiative nw“.