Köln – Einen „Hang zum Mittelmaß“ – den attestiert Johannes Schilling der aktuellen Kölner Architektur: „Die Politik will im Grunde genommen nichts Besonderes. Alles soll am besten möglichst schnell und praktisch sein“. Was dabei herauskomme sei dann meist o.k. – aber eben auch nicht mehr. Der 65-Jährige war sechs Jahre Vorsitzender des Gestaltungsbeirats der Stadt Köln und weiß also, wovon er spricht.
Uni-Bibliothek
Das Gebiet rund um die Universität ist ein gutes Beispiel dafür, dass Architektur in Köln nicht immer so mutlos war. Die vom Abriss bedrohte Zentralmensa – unverkennbar ein Bau der 70er Jahre - gefällt Johannes Schilling richtig gut. Und auch die Uni-Bibliothek mit ihrer „super markanten Fassade“ findet er toll.
Genauso wie das Hörsaalgebäude dahinter. Das stammt vom selben Architekten wie die Bibliothek und beides war von ihm eigentlich als Ensemble gedacht, verbunden durch eine ambitionierte Außenanlage. Davon ist heute allerdings nicht mehr viel übrig geblieben: Unkraut wuchert, eine Matratze vergammelt auf einem Schutthaufen. Auch das Hörsaalgebäude hat schon bessere Zeiten gesehen. Besonders gut gefällt Johannes Schilling daran die skulpturale Außentreppe.
Und nicht nur er mag den rohen Beton – übrigens der Grund, warum der Baustil „Brutalismus“ heißt. „Das kommt tatsächlich nicht von brutal, sondern von dem französischen »pur« oder eben »roh«“. Bei seinen Studierenden, die er als Professor in Münster betreut, ist dieser Stil der 1970er wieder angesagt, erzählt er. „Die finden es super, wie mutig die Architekten damals waren.“
Zur Serie und zur Person
Zusammen mit Kölner Architekten und Architektinnen stellen wir interessante Gebäude in der Stadt vor – außerdem interessiert uns, was sie über Köln als Architekturstandort denken. Die Gebäude liegen so nah beieinander, dass sie mit dem Fahrrad oder – mit etwas mehr Zeit – zu Fuß besucht werden können.
Johannes Schilling, 1956 in Köln geboren, studierte Architektur an der RWTH Aachen und der Kunstakademie Düsseldorf. 1984 gründete er mit Ulrike Schilling das Büro „Schilling Architekten“, seit 2003 ist er Professor für Baukonstruktion an der FH Münster. Gerade realisiert das Büro unter anderem die Heliosschule in Ehrenfeld und plant den Umbau der Lutherkirche in der Südstadt. Johannes Schillings Vater ist der Kölner Architekt Hans Schilling.
Seminargebäude von Paul Böhm
Es gibt aber auch heute noch Bauten, die Johannes Schilling begeistern. Zum Beispiel das Seminargebäude von Paul Böhm, dass das Hörsaalgebäude ergänzt. Es ist zwar auch aus Beton, aber mit einer ganz anderen, viel helleren Oberfläche. „Wie ein kleines Schmuckstück“ füge es sich ein und bildet einen neuen, kleinen Platz. „Böhm hat hier mitten in diesem ziemlich undifferenzierten Bereich eine Aufenthaltsqualität geschaffen.“
Geusenfriedhof
Wir verlassen die Universität und Johannes Schilling zeigt uns auf dem Weg einen Geheimtipp:
den ältesten evangelischen Friedhof des Rheinlandes. Der „Geusenfriedhof“ ist „wie eine kleine Oase mitten in dem Hochschulviertel, auch ein bißchen verwildert, irgendwie toll!“
Berufskolleg und Kirche
Weiter geht es Richtung Berrenrather Straße, wo noch ein ungewöhnliches brutalistisches Bauwerk der 60er Jahre steht: Der Kirche der katholischen Hochschulgemeinde sieht man an, dass hier nicht nur ein Architekt, sondern auch ein Bildhauer am Werk war.
Keine einfache Aufgabe also für 3pass Architekten, die direkt nebenan das Erzbischöfliche Berufskolleg bauten. „An dem Gebäude gefällt mir, wie es sich von der Straße her hier rein legt, die Umgebung beachtet und Freiräume schafft“, sagt Johannes Schilling.
Christi Auferstehung von Gottfried Böhm
Auch die Anbauten für das Schiller- und das Elisabeth von Thüringen-Gymnasium sind interessant und gleich nebenan zu sehen. Und wir haben noch einen Klassiker auf unserer Route: Christi Auferstehung von Gottfried Böhm – wieder eine Kirche und wieder viel skulpturaler Beton. „Sehr bildhauerisch, sehr künstlerisch, sehr konzipiert“, sagt Johannes Schilling und freut sich besonders über Details wie die Kirchenfenster, in die Nägel eingegossen sind und in denen auch Blätter oder Wespen verewigt sind.
Domsingschule
„Eine unvergleichlich schöne Bauskulptur, der wir mit Bewunderung und Staunen begegnen“, schwärmen auch die Architekten, die den direkt angrenzenden Neubau der Domsingschule geplant haben. Mit dem nötigen Respekt, aber auch sehr eigenständig, findet Johannes Schilling. Und am Ende unserer Architek-Tour zeigt sich, dass es doch etwas gibt, was Architekten in Köln gut gelingt: Altes und Neues miteinander zu verbinden.