Vor die „Appassionata“ hatte Fabian Müller Wolfgang Rihms atonales „Klavierstück Nr. 5 (Tombeau)“ von 1975 gestellt, das von (zunächst gehämmerten) C-Oktaven ausgeht, am Schluss dahin zurückkehrt und in der Mitte verzweifelt versucht, aus diesem C-Gefängnis zu entkommen. Ein irres, zerrissenes Stück mit rezitativischen Einschüben, in denen die Musik sprechen zu wollen scheint, ohne dies wirklich hinzukriegen.
Kölner PhilharmonieAus dem C-Gefängnis entkommen
Unmittelbar vor der Beethoven-Sonate platziert und mit ihr durch eine imaginäre Kadenzspannung verbunden (C und f-Moll stehen im Dominante-Tonika-Verhältnis zueinander), zieht dieser Rihm unweigerlich auch sie in „Mitleidenschaft“. Die Idee dahinter war in Müllers Interpretation mehr als nur erahnbar: Wie der Rihm heutigen Ohren, so mag sich die Appassionata damaligen Hörern präsentiert haben – als eine Aufkündigung all dessen, was man um 1806 von einer Sonate erwartete.
Fabian Müller beweist in der Kölner Philharmonie großes Musikverständnis
Von ihrer Form, ihren Ausdruckscharakteren, ihrer ästhetischen Gesittung. Rihm und Beethoven in engster Nachbarschaft – da vermag das Verstörende des opus 57, das in Aufführungsroutine neutralisiert wurde, wieder fühlbar zu werden. Man muss es aber auch so spielen – und dafür ist Müller der richtige Mann. Der gebürtige Bonner, Aimard-Schüler und jetzige Köln-Resident bringt nicht nur die pianistische Bravour, Energie und Ausdauer mit, die ihn in der Stretta des letzten Satzes problemlos noch eine Schippe drauflegen lässt.
Vielmehr weiß er in jedem Augenblick, dass das kein „schönes“ Stück nach traditionellem Verständnis sein kann. Die zweimal auf unterschiedlichen Plateaus formulierte fahle Dreiklangsfolge des Beginns etwa – sie wird jeweils von einer Trillerfigur abgeschlossen, die man ornamental auffassen könnte. Das ist sie aber mitnichten, sie schließt fast ironisch etwas ab, das man „Thema“ kaum nennen kann. Müller macht das genauso eindrucksvoll deutlich wie überhaupt die Dramaturgie des Stockens und Suchens inklusive des trümmerhaft in die Landschaft gestellten Schicksalsmotivs aus der fünften Sinfonie.
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Auftritt mit Stücken von Rihm und Beethoven
Als Seitenthema erhebt sich die Dreiklangsfigur in tröstendem As-Dur – Müller taucht sie in ein erfülltes Cantabile –, aber das vergeht schnell, und in der Durchführung wird sie regelrecht zerfetzt. Der Pianist stellt diese Sonate in einem zwingenden Wechsel von Aufbäumen und Erschöpfung, Leere und Exzess als ein Dokument kaum je besänftigter Friedlosigkeit hin – abgesehen von wenigen lyrischen Phrasen und dem choralhaften Variationensatz in der Mitte, der aber unsentimental kommt, dafür mit deutlich platzierter Chromatik. Er sucht dabei aber nicht das spektakulär Abseitige, die Werknähe der Interpretation lässt sich allemal an der Partitur nachvollziehen.
Mit Rihm und Beethoven endete der auch im Programm ausgefeilte philharmonische Soloabend, mit Romantik hatte er begonnen: Schuberts späten Klavierstücken D 946, in denen Müller nicht die Totenhand winken ließ, sondern deren Ambivalenz zwischen Wiener Melancholie und glänzender Konzertwirkung er ausgezeichnet herausspielte. Genauso wie die fetzigen Jazz-Synkopen und die Nocturne-Anmutungen in Schumanns g-Moll-Sonate. In der Zugabe, Brahms’ „Guten Abend, gute Nacht“, wurde Rihms Ostinatoprinzip, jetzt als durchgehaltener Liegeton, ins Überwältigend-Freundliche gewendet.