Alison Balsom führte mit dem London Symphony Orchestra unter Antonio Pappano Wynton Marsalis' neues Trompetenkonzert auf. Unsere Kritik.
Kölner PhilharmonieDie kontrollierte Ekstase der Trompeterin Alison Balsom
Eine Zugabe erfolgte nicht, obwohl sich das Publikum in der Kölner Philharmonie hörbar eine wünschte. Aber Wynton Marsalis' neues sechssätziges Trompetenkonzert ist halt nicht nur 35 Minuten lang (für ein Blechbläserstück ist das viel), sondern auch allein technisch extrem fordernd. Wenn da der Solistin am Ende buchstäblich die Puste ausgeht, ist das mehr als verständlich. Während der Performance war allerdings keineswegs zu bemerken, dass sich da ein Akku geleert hätte und jemand mit Mühe über die Zielgerade gestolpert wäre. Das Werk beginnt und endet mit einer Elefantenfanfare aus dem Dschungel – und die ließ Alison Balsom hier wie dort mit souveräner Energie, Strahlkraft und Grandezza los.
Jenseits dieser Tierstimmenimitation verlangt das Konzert des amerikanischen Jazztrompeters und -komponisten dem Interpreten/der Interpretin extreme Verwandlungskünste ab – er/sie muss sein künstlerisches Ich andauernd austauschen. Hier schlendert die Trompete als Diva im lasziv glissandierenden Broadway-Sound, dort wird sie zur Hauptfigur einer orgiastischen lateinamerikanischen Fiesta. Dann wieder betätigt sie sich als elegische Sängerin oder macht in französischer Walzereleganz. Das sind viele gegensätzliche Stil- und Ausdruckslagen, und die Perfektion und Geschmeidigkeit, die Kraft des rhythmischen Zugriffs und die kontrollierte Ekstase, mit der die britische Künstlerin all das ausfüllt, bestätigt ihren Rang als eine der weltweit führenden Vertreterinnen ihres Metiers.
Wynton Marsalis lässt kaum eine Klangmöglichkeit aus
Ob die grenzenlose Begeisterung, die Balsom ob dieser Marsalis-Musik äußert, tatsächlich von der Werksubstanz her gerechtfertigt ist, wird eine Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte zeigen, die gerade erst begonnen hat. Keine Frage, das Stück ist der Trompete auf den Leib geschrieben, da wird kaum eine Klangmöglichkeit ausgelassen. Virtuose Läufe, Schmettertriumphe, fiktive Mehrstimmigkeit, weitgespannte Kantilenen, Dämpfer-Effekte – Herz, was willst du mehr.
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Freilich begegnen überall gute, alte Bekannte, das Werk ist ein Stück weit auch „Musik über Musik“. Jazz in vielerlei Spielart ist selbstredend dabei, man fühlt sich an Louis Armstrong und Miles Davis erinnert. Aber es geht auch in die französische Trompeterschule eines Maurice André, und es gibt, am Anfang, sogar Anklänge an Haydns Trompetenkonzert in der nämlichen Tonart Es-Dur. Wenn man bösartig wäre, könnte man von eklektizistischer Beliebigkeit sprechen. Dem wäre freilich entgegenzuhalten, dass Eklektizismus seit jeher ein originärer Bestandteil der US-Musikkultur ist. Herausragendes Beispiel dafür ist Leonard Bernstein, den darob niemand einen schlechten Komponisten nennen würde. Also, en verra!
Auch Balsoms Begleiter, das London Symphony Orchestra unter seinem Chef Antonio Pappano, zeigte wieder einmal, dass es in den obersten Rängen seiner Profession mitmischt. Ein paar kleine koordinative Verwerfungen – sie waren angesichts der Neuheit der Materie und ihrer vielfältigen Anforderungen nicht erstaunlich und schon gar nicht zu tadeln.
Die Klangkultur der Formation ist in allen Belangen außerordentlich, nahezu überwältigend aber ist der Streichersound. Wie aus dem Nichts kommend, dann butterweich und doch gestisch konturiert und expressiv entfaltete er sich bereits in Samuel Barbers einleitendem Adagio, das nicht nur dank seiner Verwendung in dem Kriegsfilm „Platoon“ längst ins musikhistorische Pantheon eingezogen ist. Die Magie des Repetitiven verbindet sich hier mit einer Steigerung, die nicht nur auf Tonhöhe und Lautstärke beruht, sondern auch auf der Dichte und Dringlichkeit des Legato. Besser als jetzt die Gäste in Köln kriegt man das kaum hin.
Nach der Pause ermöglichte die Interpretation der fünften Symphonie von Ralph Vaughan Williams eine aufschlussreiche Begegnung mit hierzulande kaum bekannter englischer Sinfonik des 20. Jahrhunderts. Es ist dies – auch ob seiner spannungsarmen modal geprägten Harmonik – ein Stück aus dem Geist einer melancholischen Serenität, das, trotz der Bezugnahme auf Brahms' Vierte in der abschließenden Passacaglia, sein Vorbild nicht in der mitteleuropäischen Sinfonie, sondern bei Sibelius findet. Trotz des nach wie vor exzellenten Spielniveaus und Pappanos erkennbar leidenschaftlichen Einsatzes fiel es – eine Frage der Gewöhnung? – auf Anhieb schwer, mit dieser Musik warmzuwerden.
Bei der Zugabe, Sibelius' Valse triste, war das dann naheliegend anders. Wie auch immer: Weil man von diesem Orchester so schnell nicht genug bekommen kann, sei an dieser Stelle unbedingt das zweite Kölner Konzert der Londoner (ebenfalls unter Pappano) an diesem Donnerstag empfohlen.