Drei Konzerte in der Kölner Philharmonie feiern den 100. Geburtstag des modernen Klassikers György Ligeti.
Kölner PhilharmonieEin Pfingstwunder für Györgi Ligeti
Sie reden in fremden Zungen und verstehen sich doch. Das Pfingstwunder ereignete sich dieses Jahr in der Philharmonie. Sopranistinnen und Tenor artikulieren fremde Laute, doch mit verständlichem Ausdruck. Dazwischen brabbeln, fauchen, wimmern, säuseln die Instrumente. Statt Texte zu vertonen, bringt György Ligeti in „Aventures“ und „Nouvelles Aventures“ bedeutungstragende Affekte und Expresseme zum Sprechen.
Das Kinderkonzert mit dem Ensemble Musikfabrik verschränkte die abenteuerlichen Episoden mit Ligetis Horntrio und einer Triobearbeitung der „Mysteries of the Macabre“. Die Inszenierung der Stücke durch Regisseurin Annechien Koerselmans zeigte Spielzeugfiguren, die gegen die Unterhaltungsindustrie revoltieren. Requisiten, Gesten und Handlungen vereindeutigten die Vokalakrobatik dramatisch oder ulkig. Dem jungen Publikum ab sechs Jahren machte das offenkundig Spaß, obwohl Zinnsoldat, Puppe und Teddybär eher der Erinnerungswelt der Urgroßeltern entstammten als ihrer eigenen Lebenswirklichkeit in heutigen Kinderzimmern.
Drei Konzerte in der Kölner Philharmonie feierten auf den Tag genau Ligetis hundertsten Geburtstag. Am 28. Mai 1923 im siebenbürgischen Diciosânmartin im damaligen Königreich Rumänien als jüdischer Ungar geborenen, überlebte er nur knapp Weltkrieg und Holocaust. Nach 1945 studierte er in Budapest und floh während der Niederschlagung des Volksaufstands 1956 nach Wien.
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Als junger Mann arbeitet Ligeti im Studio für elektronische Musik des WDR
Dank eines Stipendiums arbeitete er zeitweise im Studio für elektronische Musik des WDR Köln. Den internationalen Durchbruch erzielte er schließlich mit den Uraufführungen seiner Orchesterwerke „Apparitions“ beim Weltmusikfest 1960 in Köln und „Atmosphères“ 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen.
Im Nachmittagskonzert spielte Tamara Stefanovich sechs Stücke aus Ligetis dreibändigen „Etüden“. In weichen Bögen wie in Schumanns „Träumerei“ entfaltete die brillante Pianistin „Arc-en-ciel“. Und bei „Lʼescalier du diable“ vollführten ihre flinken Hände einen wahren Teufelstanz über die Tastatur. Ligetis Begeisterung für Motorik, Rhythmik und hohes Tempo zeigten auch die „Sechs Bagatellen“ für Bläserquintett von 1953, von Mitgliedern der Orchesterakademie des Gürzenich-Orchesters ebenso schmissig wie lyrisch interpretiert.
Die Anfänge des Komponisten in der folkloristischen Nachfolge von Béla Bartók präsentierte das Alinde Quartett am Beispiel von zwei frühen Sätzen für Streichquartett. Organist Dominik Susteck spannte mit „Volumina“ die Brücke zur berühmten Klangflächenkomposition „Atmosphères“ im Abendkonzert mit dem Gürzenich-Orchester unter akkurater Leitung von Matthias Pintscher.
Feste Bestandteile des Repertoires sind inzwischen auch Ligetis drei Wahnsinnsarien „Mysteries of the Macabre“, die Sopranistin Sara Hershkowitz mitreißend verkörperte. Im Violinkonzert von 1992 wandern die flirrenden Tonwechsel des Solisten gleich zu Anfang als energetisches Sirren ins Tutti, weil die Saiten einiger Streicher verstimmt sind. Lustvoll in Intonationsreibungen verbeißen sich auch Naturtonskalen der Hörner und schräge Melodien der kleinen Tonflöten Okarinas. Der finnische Geiger Pekka Kuusisto entzündete die ganze Philharmonie mit seinem überragenden Spiel, das in jeder Faser perfekte Beherrschung und befreiende Lockerheit atmet. Wie ein exzentrischer Spingteufel wechselte er in der Kadenz zwischen Extremen.
Als Zugabe pfiff er von Bartók notierte ungarische Volksweisen, die er mit Pizzikati wie auf der Gitarre begleitete. Manche Werke Ligetis waren diese Spielzeit gleich mehrfach zu hören, als wären sie klassisches Repertoire. Nun wurden seine Geburtstagskonzerte begeistert aufgenommen. Ligeti als gefeierter Klassiker: Ein Pfingstwunder!