Köln – Da ist ein schon popkulturelles Starwesen am Werk, um das ihn viele Politiker mutmaßlich beneiden: Als Lang Lang nach der Pause in Block E, Reihe 13, der Kölner Philharmonie Platz nahm, um der zweiten Hälfte des Konzerts als Zuhörer zu folgen, klickten reihenweise die fürs Erinnerungsfoto gezückten Smartphones, wurden die Programmhefte fürs Autogramm dargereicht. Nun ist der Pianist aus dem aktuell bösen Reich der Mitte ausnehmend freundlich und zugewandt, andere Künstler würden sich für solche Ansinnen „bedanken“.
Lang Lang hat seine ostentativen Virtuosengesten stark zurückgefahren
Sei’s drum: Der Chinese hatte im Rahmen von Daniel Barenboims zweitem Kölner Konzert mit dem West Eastern Divan Orchestra einen gelungenen Auftritt hinter sich, dessen magischer Augenblick allerdings erst mit der Zugabe kam: dem „Clair de lune“ des jungen, noch tonal-spätromantischen Debussy. Aber was heißt hier spätromantisch? In der Farblichkeit und im Flair, im fundamentlosen Schweben der Klänge ist der Impressionismus schon „da“, und Lang Lang, der mittlerweile seine ostentativen Virtuosengesten stark zurückgefahren hat, vermag mit subtilster Anschlagskunst tatsächlich den Eindruck einer von Mondlicht erfüllten Nacht zu vermitteln.
Dabei war das klavieristische Hauptwerk des Abends, Manuel de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, in der Ausführung beileibe nicht zu beanstanden gewesen. Allerdings bremst das Orchester hier das Soloinstrument, wenngleich es eine bedeutende koloristische Rolle spielt, eigenartig aus – das Stück ist halt kein Klavierkonzert nach klassischem Muster. Das macht es, obwohl der Klavierpart schwer ist, für den Spieler irgendwie undankbar.
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Lang Lang versuchte sympathischer Weise nicht, die Sache gewaltsam aufzumotzen, um doch noch als große Nummer herauszukommen. Er machte sogar oft genug auf bescheidener Begleiter, zuweilen schon an der Grenze zum Understatement. Aber wie er da so mechanistisch zwischen seinen eigenen Fingern spielt oder den irrlichternden Kobold gibt, das ist so oder so große Klasse. Zu sich selbst kommt er allerdings erst, wenn er – was hier ja auch immer mal wieder der Fall ist – auf seinen Tasten „singen“ kann. Dann entfaltet sich durch ein erfülltes Rubato hindurch ein Zauber eigener Art.
Barenboim und die Seinen hatten diesmal ganz auf ein „iberisches“ Programm gesetzt – wobei das, was einem da spanisch vorkam, meistenteils aus Frankreich stammt: Debussys „Ibéria“ aus den „Images“, Ravels „Rapsodie espagnole“ und – selbstredend – der unsterbliche „Boléro“. Die institutionelle Ausrichtung des West Eastern Divan Orchestra legt den Spanienbezug übrigens von Haus nahe: Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, also bis zur Reconquista der „katholischen Könige“, lebten in Andalusien Christen, Juden und Muslime friedlich zusammen. Tatsächlich gehören dem Orchester auch Spanier an, und Barenboim selbst hat die spanische Staatsbürgerschaft.
Beim Boléro gab es kein Halten mehr und hinterher großen Jubel
Jedenfalls geriet vom Sound, von den Klangfarben und ihren Wechseln, von der Balance, von den dynamischen Staffelungen und auch von den immer wieder angezeigten Raumwirkungen der Musik her der Auftritt am Freitagabend noch deutlich überzeugender, als es mit Smetana am Montag der Fall gewesen war. Gleich beim Einstieg mit dem „Prélude à la nuit“ aus der „Rapsodie espagnole“ gelang es dem Ensemble trotz der erneut aufgebotenen Riesenbesetzung, über der beharrlich repetierten absteigenden Viertonfolge ein berückendes Nachtbild im ganz Leisen zu entwerfen.
Klar, beim Boléro war dann kein Halten mehr. Barenboim hatte die Rhythmusgruppe mit der manischen kleinen Trommel nicht an den Rand, sondern links vor sich postiert – mit gutem Grund, hier schlägt tatsächlich das Herz der Komposition. Auf der Schlussstrecke wuchs dem Stück dann ein Schuss unheimlicher Brutalität und Aggression zu. Die finale Implosion wirkte nach dieser bannend-gnadenlosen Steigerung nur konsequent – und der Publikumsjubel war es ebenfalls.