Der Dirigent Daniel Harding ließ in der Kölner Philharmonie ein Werk von Mahler aufführen, das noch heute für Ratlosigkeit sorgt.
Daniel Harding in der PhilharmonieWie Mahler uns bis heute rätseln lässt
Im ersten Satz von Mahlers siebter Sinfonie gibt es eine Stelle, wo eine an sich herzzerreißende Figur der ersten Violinen mit der Vortragsbezeichnung „ohne Ausdruck“ gewürdigt wird. Was, in aller Welt, hat man davon zu halten? Die Frage, was man von ihm zu halten habe, legt das Werk als Ganzes bis heute nahe. Und die Tatsache, dass es sich einer eindeutigen Antwort verweigert, dürfte der relativen Unbeliebtheit dieser fünfsätzigen Monstrosität im Konzertsaal geschuldet sein. Was ist hier „echt“, was „Ironie“, was „eigentlich“, was „uneigentlich“? Es ist nicht nur das finale Rondo, das solche Ratlosigkeit provoziert.
Daniel Harding dirigiert Mahlers 7. Sinfonie in der Kölner Philharmonie
Möglicherweise ist der definitive Verzicht auf besagte Antwort auch aufseiten des durch die Organisation des Riesenwerks allein technisch stark geforderten Dirigenten immer noch der beste Weg, mit dem „Problem Nr. 7“ klarzukommen. Daniel Harding am Pult des von ihm seit langen Jahren geleiteten Swedish Radio Symphony Orchestra praktizierte diesen Verzicht jetzt auf darstellerisch hohem Niveau und also überzeugend im „Klassiker!“-Konzert in der Kölner Philharmonie: Die Leerstelle einer semantischen Generaldeutung zu füllen, wurde den Zuhörern anheimgestellt; vielmehr ging es Harding um die plastisch-luzide Formulierung von Themencharakteren und Klangkombinationen, um Mahlers Kontrapunkt samt Verkleinerungen und Vergrößerungen, um die Dramaturgie von Stauung und Lösung, um den Atem der großen sinfonischen Form in der zwingenden Gestaltung von Übergängen und Reprisen.
Und das funktionierte immer wieder großartig, auch dank der exzellenten Klangqualität im Spiel der Gäste – da gab es, vom Tenorhorn über die F-Hörner bis zur Konzertmeisterin keine blinde Stelle. Auf jeden Fall erwähnenswert: In Europas Norden kann man Wien. Gleich, wie man den Heurigen-Aspekt gerade in den beiden Nachtmusiken deuten mag - er ist einfach da und will als solcher hörbar gemacht werden.
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Neben der Mahler-Sinfonie auch ein düsteres Werk von Mozart im Programm
Dem Hauptwerk des Abends vorangestellt war Mozarts düsteres d-Moll-Klavierkonzert KV 466. Hier überraschte der in Russland geborene und in Berlin lebende US-Amerikaner Kirill Gerstein mit einer bemerkenswert eigenständigen Interpretationslinie. Nicht nur die starken und schon ins Fantasiemäßige driftenden Temposchwankungen in den unbegleiteten Stellen (ansonsten war Gerstein erfolgreich um einen dichten Dialog mit der Orchester bemüht) zeitigten einen romantisierenden Effekt, der durch die Wahl der Busoni-Kadenzen in den Ecksätzen noch verstärkt wurde.
Da fühlte man sich trotz der Mozart-Anbindung des Themenmaterials in die Sphäre des Chopin´schen Nocturnes versetzt (Busoni kam dann in der Zugabe noch einmal mit der rasanten Bearbeitung eines Bach´schen Orgelchorals dran). Dass der Solist wie inzwischen manche seiner Kollegen die früher kanonisch gesetzten Beethoven-Kadenzen verschmäht, ist an sich begrüßenswert. Den berechtigten Vorwurf, diese seien stilfremd, ziehen die Busoni-Alternativen freilich ebenso auf sich. Konterkariert wurde die beschriebene Romantik-Tendenz durch eigentümlich preziöse Verzierungen – ganz zur Einheit fügen wollte all dies sich jedenfalls nicht.
Gersteins technische und musikalische Souveränität stand dabei außer Frage. Auffällig etwa – um nur einmal diesen Aspekt zu nennen – die Aktivierung der linken Hand für die Herausstellung von Strukturzusammenhängen. Nicht zuletzt war Hardings nuancen- und gestenreiches Dirigat auch hier formidabel. Wie sich da die melodische Linie aus dem Synkopen-Dämmer des Beginns herausarbeitete, ohne dass die Atmosphäre einer dunklen Vorahnung beschädigt wurde, das hatte große Kraft und Eindringlichkeit. Da lief auf dem Podium ein beklemmendes instrumentales Drama ab.