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Kölner StadtarchivAufwendige Restaurierung der Geschichts Fetzen

Lesezeit 6 Minuten
Stadtarchiv5 Porz

Tausende solcher Dokumente lagern in Porz.

Köln – Ein gewisser Optimismus ist Andreas Berger nicht abzusprechen. „Das Schlimmste ist geschafft“, sagt er. „Die größte Herausforderung war, eine Systematik in die Dinge hereinzubringen, und das ist uns gelungen.“ Wir stehen im Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum des Historischen Archivs der Stadt Köln (RDZ). Die Luft im Magazin, einer hohen, fensterlosen Halle, ist heruntergekühlt auf 18 Grad. Kaltes Licht, grauer Boden, meterlange Stahlregale. In den Stahlgestellen Kartons. Hunderte, tausende Kartons aus grauer Pappmaché. Darin lagern zerschundene Akten und Urkunden, stockfleckige Bücher und zusammengeknüllte Papierschnipsel, die Berger, Leiter „Sachgebiet Bibliothek und Digitalisierung, Benutzung“, lieber als „Fragmente“ bezeichnen möchte.

Fragmente, die von einer Katastrophe ohnegleichen zeugen. Am frühen Nachmittag des 3. März 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv an der Severinstraße, eines der größten und bedeutendsten Kommunalarchive Deutschlands, in sich zusammen. 27 Regalkilometer Akten verschwanden innerhalb weniger Sekunden in der Tiefe. Rund 400 000 Urkunden, Karten, Pläne und Plakate sowie eine halbe Million Fotos und tausende Tonträger und Videos wurden unter Tonnen-schweren Trümmern begraben. Schätze, die für alle Zeit verloren schienen.

Warten auf die Restaurierung

Zehn Jahre später sind 95 Prozent der Archivalien, sprich: 1,6 Millionen Bergungseinheiten, gerettet und warten auf ihre Restaurierung im RDZ in Köln Porz-Lind. „Ein Wunder“, sagt Berger, der im Mai 2009 aus dem Kreisarchiv in Kleve ans Kölner Stadtarchiv wechselte. „Das war einfach unvorstellbar, als man damals vor diesem Trümmerberg stand.“ In Eimern und Wannen waren die ersten Stücke von der Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk in den Tagen nach dem Einsturz geborgen und eilig in einer zugigen Lagerhalle untergebracht worden.

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Bis zum 8. August 2011 schaufelten Feuerwehrleute, unzählige Freiwillige und Archivmitarbeiter mittelalterliche Urkunden, Bücher und Nachlässe aus einem gigantischen, mit brackigem Grundwasser gefüllten Loch. Ein Wunder, dass unter diesen Umständen nur fünf Prozent des Bestands verloren gingen. Ein weiteres Wunder, dass von den geretteten Stücken bereits mehr als die Hälfte identifiziert ist, die Objekte also einem bestimmten Bestand zugeordnet werden können. Etwa 15 Prozent sind von Staub und Schimmel befreit, mehr als 9000 sogar vollständig restauriert.

Bis die Sisyphusarbeit beendet ist und sämtliche Archivalien wieder benutzbar sein werden, könnten 30 bis 40 Jahre vergehen, Ein Klacks angesichts des Ausmaßes der Schäden, findet Richter. „Ich sehe, was wir bereits geschafft haben.“ Und das sei eine Menge.

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Eine Mitarbeiterin nimmt eine Funkstück unter die Lupe.

Gerettete Stücke auf zwei Orte verteilt

Noch sind die geretteten Stücke auf zwei Orte verteilt. Ein Teil befindet sich im RDZ in Porz, ein weiterer im ehemaligen Landesarchiv in Düsseldorf. Die Folge: Es werde nicht mehr wie gewohnt nach Beständen gelagert, sondern nach einem „chaotischen System“, sagt Berger. „Es kann daher sein, dass sich ein Teil einer Akte in Düsseldorf und der andere in Köln befindet, eben weil die Bergung und Einlagerung nicht so planmäßig vonstattengehen konnte, wie beispielsweise bei einer archäologischen Grabung.“ Doch selbst das ist ein Fortschritt. In den ersten Jahren nach dem Einsturz lagerten die dreckverschmierten und teilweise klitschnassen Bergungseinheiten in 20 Ausweichquartiere in ganz Deutschland.

Die Aufgabenstellung des RDZ ist vergleichsweise übersichtlich: reinigen, identifizieren, digitalisieren. Ohne Knicke, Risse oder andere Schäden ist kaum eines der Stücke davongekommen. 35 Prozent sind schwer, rund 50 Prozent mittelschwer und nur 15 Prozent lediglich leicht beschädigt. Tückisch, sagt Berger, sei vor allem der alkalische Baustaub, der sich auf den Seiten der geborgenen Archivalien festgesetzt habe. Der müsse runter, ehe er weiteres Unheil anrichten könne.

Priorität bei der Restaurierung haben Stücke, die zusätzlich Schaden nehmen würden, wenn man sie weiterhin unbehandelt im Magazin schmoren ließe, und solche, die häufig nachgefragt werden. Die restaurierten Objekte müssen vor allem eine Funktion erfüllen: Sie sollen wieder lesbar, also benutzbar sein. „Erst ganz am Schluss beheben wir Schäden wie beispielsweise einen Riss in einer Seite“, sagt Berger. „Wir restaurieren die Stücke auch nicht dergestalt, dass sie wieder so aussehen wie vorher. Wir stabilisieren sie lediglich. Wenn ein Teil eines mittelalterlichen Siegels abgebrochen ist, verzichten wir auf eine Nachahmung.“ Der Schaden bleibe erkennbar und gehöre fortan zur Geschichte der Urkunde.

Nässe droht für zusätzliche Gefahr

Sind die Stücke beim Sturz in die Tiefe nass geworden, droht zusätzlich Gefahr durch Schimmelbefall. „Gerade hier musste rasch gehandelt werden“, sagt Berger. Noch steht in einem Raum des RDZ die 100 000 Euro teure Vakuumgefriertrocknungsanlage, die inzwischen ausgedient hat. Die nassen Objekte wurden zunächst in Kühlkammern schockgefroren und anschließend in dem wuchtigen Metallbehälter getrocknet. Der Trick dabei: Das zu Wasser gefrorene Eis wurde nicht erneut verflüssigt, sondern in einen gasförmigen Zustand verwandelt. Ein schonendes Verfahren, das bis zu 14 Tagen dauern kann.

Heute sind die getrockneten Archivalien ein Fall für Raum sieben, einem lichten Zimmer mit großen Fenstern. Hier stehen elf hochmoderne Werkbänke mit speziellen Absaugvorrichtungen. Plexiglasscheiben schützen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Staub und Schimmelpilzen. Mit weichen Bürsten, Pinseln und Schwämmen, wie sie auch Schornsteinfeger benutzen, wird jede einzelne Seite vorsichtig von möglichen Verunreinigungen befreit.

Stücke müssen identifiziert und digitalisiert werden

Nach der Reinigung müssen die Stücke identifiziert und digitalisiert werden. „Was weg ist, werden wir erst wissen, wenn wir alles hundertprozentig identifiziert haben“, sagt Berger. Ein Teil der Bestände sei bereits vor dem Einsturz in einer Datenbank erfasst worden, was die Identifizierung erleichtere. Auskunft geben auch die alten Findbüchern, in denen ein weiterer Teil der Bestände analog aufgelistet war. Sie haben die Katastrophe fast unbeschadet überstanden.

Dennoch sei die Zuordnung vor allem von Akten nicht immer einfach, sagt Berger. „Wenn ein Umschlag drum ist, ist alles wunderbar. Sonst habe ich bereits ein Problem. Liegt womöglich nur noch die halbe Akte vor, habe ich ein noch größeres Problem.“ Ein solches Stück zu identifizieren, erfordere viel Know-how von den Archivaren. „Schließlich können wir das Archivgut erst dann wieder benutzbar machen, wenn wir wissen, was es ist und wer die Rechte daran hat.“

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Eine weitere Herausforderung. Die Fragmente – rund zwei Millionen zerknüllte Papierschnipsel, die zuzuordnen auf den ersten Blick unmöglich scheint. Hier könnte das Projekt „Digitale Rekonstruktion Kölner Fragmente“ weiterhelfen, das sich noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase befindet. Die eigentliche Arbeit soll in diesem Jahr beginnen. Dabei werden die einzelnen Fragmente zunächst „entfaltet“ und eingescannt. Eine „Puzzle-Software“, die bereits bei der Wiederherstellung der Stasiakten im Einsatz war, sucht anschließend nach weiteren Fragmenten und setzt sie – falls vorhanden – am Bildschirm wieder zu einem Ganzen zusammen.