Greg Gonzalez macht mit Cigarettes After Sex traurige Musik für Beziehungsgeschädigte. Aber die Fans in der Lanxess-Arena sind Teenager-Mädchen.
Konzert in KölnWie Cigarettes After Sex der Sprung von der Kulturkirche in die Arena gelungen ist
Ich kann jeden leeren Raum nehmen, hat der Theater-Erneuerer Peter Brook geschrieben, und ihn eine Bühne nennen. Auf so einer Bühne könne alles passieren, zugleich gelte jedoch: Irgendetwas muss passieren. Diese Regel fordert Cigarettes After Sex heraus. Im Grunde besteht die amerikanische Band einzig aus dem Songschreiber, Sänger und Gitarristen Greg Gonzalez, der Rest der Besetzung wechselt. Zuletzt hat sie Gonzalez auf den Bassisten Randall Miller und den Schlagzeuger Jacob Tomsky reduziert. Tomsky bedient das bescheidenste Drumset seit Meg White, was nicht absolut nötig ist, schafft nur Unordnung.
Zu Anfang des Konzertes, als die Bühne noch leer, die Kölner Arena aber bis zur letzten Oberrangreihe gefüllt ist, erklingt nur Georges Delerues melancholisches, aber erhabenes „Theme de Camille“ aus Jean-Luc Godards „Die Verachtung“. Dann bahnt sich zuerst der Bassist den Weg durch die Schwärze und ein elektrisch verstärktes Schnalzen unterbricht das Lamento der Streicher: Miller hat eine Bierdose geöffnet. Als endlich Gonzalez gemessenen Schrittes seinen Platz in der Mitte einnimmt, wird er von einem kollektiven Aufschrei begrüßt.
Greg Gonzalez kleidet sich wie ein Rockstar aus längst vergangenen Zeiten
Der Romantiker aus dem texanischen El Paso ist das unwahrscheinlichste Teenie-Idol der Welt. Er kleidet sich wie ein Rockstar aus längst vergangenen Zeiten – schwarze Lederjacke, schwarze Sonnenbrille, schwarze E-Gitarre –, verweigert aber entsprechende Posen. An entscheidenden Stellen wandert er in aller Ruhe zur kleinen Vorbühne, geht dann am Ende eines Stückes in die Hocke und bittet einen Mann von der Security, einem auserwählten Fan aus den vorderen Reihen das gerade verwendete Plektrum zu überreichen.
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Diese Fans sind überwiegend weiblich und noch längst keine 20, Gonzalez ist 42 und trägt Vollbart. Ein Missverhältnis, das man auf dem Schulhof „sus“ nennen würde. Doch hier ist nichts suspekt, Cigarettes After Sex haben sich ihr Publikum nicht ausgesucht, das ist einfach so passiert. Als sie 2017 zum ersten Mal in Köln auftraten, lieferte die Kulturkirche den passenden Rahmen, feierlich, aber intim, und die Menschen, die hier andächtig zuhörten, hatten die ersten Liebesenttäuschungen längst hinter sich und wussten, wer Godard ist.
„Your lips, my lips/Apocalypse“, hauchte Gonzalez damals und sein Publikum wiegte dazu bedächtig die Köpfe. Dass jede Liebesgeschichte auf eine Katastrophe zusteuert, hatte man schon verstanden. Wenn die postkoitalen Zigaretten den Song als vorletzte Nummer in der Lanxess-Arena spielen, sonnen sich die Fans im Flickerlicht zweier Discokugeln, in sehnsüchtiger Erwartung der versprochenen Lippen-Apokalypse. Kurz nach der Pandemie wurde der Song zum TikTok-Hit und das Alter der Zuhörerschaft halbierte sich. Gonzalez‘ Zeitlupenmusik erzählte vom Verlangen nach Nähe und von ihrer Abwesenheit, sie schloss einen leeren Traumraum auf und gab der Traurigkeit einer eingesperrten Generation eine Heimat. Deren Großeltern mögen sich zu Leonard Cohen auf dem Flokati gewälzt und ganz ähnlich gefühlt haben.
Würde man einen ahnungslosen Beobachter unvermittelt in die Mehrzweckhalle beamen, käme der aus dem Rätseln kaum heraus: Was geschieht hier bloß? Denn Peter Brooks' Diktum scheint aufgehoben. Es passiert nichts, jedenfalls so gut wie. Drei Männer in schwarz mäandern von Song zu Song, jedes Mal scheint das Tempo noch ein wenig langsamer, ja narkotischer auszufallen. Bodennebel strömt auf die Bühne, verzieht sich wieder. Drei Leinwände zeigen das regungslose Trio in Nahaufnahme, manchmal auch einen umwölkten Mond oder verglühende Streichhölzer. Das Licht ist gedimmt und ausschließlich weiß, nur aus 16.000 Handylampen glüht ein gelbes Lagerfeuer. Pressefotografen müssen sich an die Auflage halten, ausschließlich Schwarz-weiß-Bilder der Show zu veröffentlichen.
Der Sound aber ist für Arenaverhältnisse kristallklar und wahrscheinlich würde unser Spontanbesucher darauf schließen, eine Art Klangskulptur erlebt zu haben. Eventuell wird er sich schlicht langweilen. Das immergleiche Tempo, der übervorsichtige, seltsam geschlechtslose Gesang von Greg Gonzalez, die konsequente Verweigerung jeglichen Entertainments. Oder die Tatsache, dass man das Gesamtwerk der Band auf einen Song zurückführen kann: Chris Isaaks „Wicked Game“. Andererseits beschreibt das exakt die Qualitäten der Band. Ihr Minimalismus schärft das Ohr für die feinen Unterschiede. Den Tejano-Einfluss von jenseits der mexikanischen Grenze (vor Konzertbeginn zeigen die Leinwände ein altes Video des früh verstorbenen Latino-Superstars Selena, selbstredend in Schwarz-weiß), das „Shine on You Crazy Diamond“-Zitat im Intro der fantastischen Single „K.“, das übersteuerte Gitarrensolo im darauffolgenden „Dreaming of You“ im Stil von Tame Impala.
In knapp 90 Minuten, länger dürfte es auch nicht sein, entwickelt Cigarettes After Sex die maximale Wirkung: ein leerer Raum, eine volle Arena, ein älterer Mann mit gebrochenem, viele junge Menschen mit wild pochenden Herzen.