Köln – Es ist ein Moment, der selbst den nicht eingefleischten Fans auf den hinteren Rängen der Tribüne Gänsehaut verleiht, wenn 40.000 Menschen im ausverkauftem Rheinenergie Stadion aus voller Inbrunst singen: „Hey hier kommt Alex, Vorhang auf, für seine Horrorshow“ – die Hände in der Luft, die Füße stehen nicht still. Die Band auf der Bühne hämmert A-Moll und F-Dur Chords auf den Gitarren, der Schlagzeuger gibt den rockigen Takt vor.
Und der Sänger? Er versucht lauter als die Masse zu singen, brüllt mit seiner tiefen, einzigartigen Stimme ins Mikro. Es ist keine geringere Band als die Toten Hosen. Ob Frontmann Campino 1988 beim Schreiben des Liedtextes, der von dem Protagonist in Anthony Burgess' düsterem Zukunftsroman „A Clockwork Orange“ handelt, nur ansatzweise geahnt hätte, welche Emotionen er Jahrzehnte später in den Menschen auslösen kann, wohl eher nicht.
Und doch war es am Freitagabend der Höhepunkt des Toten Hosen-Konzerts in Köln. Es war der Auftakt der Jubiläums-Stadion-Tournee „Alles aus Liebe – 40 Jahre Toten Hosen“, den die Punkrock Band aus Düsseldorf ausgerechnet auf dem Platz der Fußballrivalen feierte. Doch für Rivalität und Diss gab es an diesem Abend keinen Platz – und das war auch genau richtig.
Vielleicht fiel dadurch die Begrüßung von Campino mit „Wir wünschen einen guten Abend Köln“ ein bisschen kurz aus. Vielleicht war es aber auch der Tatsache geschuldet, dass die Toten Hosen eine Setlist von knapp 40 Songs in ihre rund zweistündige Show gepackt haben. So viele Geschichten aus vier Jahrzehnten Bandbestehen wollten Sänger Campino, Bassist Andi, Gitarrist Breit, Linkshänder-Gittarist-Kuddel und Schlagzeuger Vom, dem seit 22 Jahren neuestem Mitglied, ihren Fans noch einmal erzählen.
Toten Hosen und Fans schwelgen in Erinnerungen
Geschafft haben sie das schon mit den ersten Songs. Den Beginn machte „Alle sagen das“, frisch released im Mai und ein klares Statement an alle Kritiker, „ein Hoch auf die Gerüchteküche“ und den Hosen, denen ist das „scheißegal“. Kann es ihnen auch irgendwie, denn wer nach 40 Jahren immer noch die gleichen Fans hat, und viele Menschen im Publikum sind sichtlich gemeinsam mit den Punkrockern gealtert, kann auch mal ein klares Statement setzen.
Die wirklich treuen Fans, die bleiben nämlich. „Ihr wisst nicht, wie froh wir sind, überhaupt noch hier sein zu dürfen“, sagt Campino ins Mikrofon, und das war nicht das einzige Mal, dass er sich bei den Anhängern im Fan-Shirt der Toten Hosen bedankt, wahrscheinlich mit dem Wissen, dass die Menschen es sind, die sie zum Bleiben bringen. Gemeinsam schwelgte Campino, der eben Ende Juni auch schon seinen 60. Geburtstag feiern wird, in Erinnerungen. Und schon der dritte Song mit dem melancholischen Text „Und immer wieder sind es dieselben Lieder, die sich anfühlen als würde die Zeit stillstehen“, sprach aus, was das Motto des Abends ist: Eine Liebeserklärung an die alten Zeiten.
Verändert hat sich bei den Toten Hosen nicht viel. Die harten Gitarrenriffe und die tiefen Bässe, die die Boxen schon zu Beginn des Konzertes an ihre Grenzen bringen, sind die gleichen geblieben. So auch die eher unspektakuläre Bühnenshow. Und auch die Düsseldorfer selbst haben sich kaum verändert, auch wenn sie früher ein wenig schneller über die Bühne flitzten und die bunten Schlaghosen aus den 1980er Jahren haben sie gegen blaue Hemden und normale Jeans ausgetauscht.
Für ungeübt Ohren hören sich die lauten Rock- und Punk-Sounds bei einigen Liedern vielleicht sehr ähnlich an, die textsicheren Fans, und das waren sie bei allen Songs, kannten aber die Unterschiede. Trotzdem waren es eben die kommerzielleren Lieder, die auf und ab im Radio spielten, die wirklich jeder im Stadion mitsingen ließ: Mit „Alles aus Liebe“ von 1993, dem EM-Hit „An Tagen wie diesen“ aus 2012, aber auch vor allem der mittlerweile als Partysong bekannte Hit „Eisgekühlter Bommerlunder“ von 1987 kann sich eben jeder identifizieren.
In Mitten dieser euphorischen Ereignisse fand Campino dann trotzdem noch die richtigen Worte zum aktuellen Geschehen in der Welt. „Mit dem Krieg in der Ukraine spüre ich die Zeit ganz anders. Jetzt merken wir, wie kostbar unsere Freiheit ist“, sagte Campino. Und sogar der Klimawandel findet Platz in Campinos eher kleinere Reden an diesem Abend. Kleine Aussagen, doch mit großer Wirkung im Publikum und definitiv nicht fehlplatziert.
Die Toten Hosen sind eben älter geworden, die Scheißegal-Einstellung vom neuen Song ist wahrscheinlich dann doch nur dahin gesagt, denn wer die Düsseldorfer kennt weiß, dass ihnen schon lange nicht alles egal ist, setzen sie sich doch schon lange gegen Rassismus ein.So spektakulär die Show für die Fans war, egal ob mit einem Bier am Rand oder mitten beim Pogen im Moschpitt war, so unspektakulär war dann doch das Ende. Nach zwei geplanten Zugaben spielten sie als letztes Lied, wie so oft, die Hymne des FC Liverpool „You’ll never walk alone“. Ihr 45. Konzert in Köln und vor allem ihre Jubiläums-Tour hätten die Düsseldorfer ruhig mit einem eigenen Hit beenden können, genügend haben sie ja.