Umfrage und DokuWie sich der WDR am Thema Rassismus im Fußball verhebt

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Nationalspieler Jonathan Tah sitzt vor einer Deutschlandflagge. Er trägt ein weißes T-Shirt und eine schwarze Jacke und blickt in die Kamera.

Nationalspieler Jonathan Tah äußert sich im Film „Einigkeit und Recht und Vielfalt“.

Der WDR hat im Vorfeld der Fußball-EM eine Doku produziert, die zu viel will - und der er mit einer umstrittenen Umfrage einen Bärendienst erweist.

Der Kölner Sportjournalist Philipp Awounou hat sich viel vorgenommen. Vielleicht zu viel. In der 45-minütigen Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ schaut er auf die Nationalmannschaft „zwischen Rassismus und Identifikation“ und geht der Frage nach, was der Fußball über das Einwanderungsland Deutschland aussagt.

Als Referenz nutzt der Film, wie viele andere Produktionen im Vorfeld der EM in Deutschland, die WM von 2006. Und Awounou wirft die richtigen Fragen auf. War das wirklich ein „Sommermärchen“, das alle einschloss, das ein Wir-Gefühl erzeugte? Oder war es nicht viel eher exklusiver statt inklusiver Patriotismus? So formuliert es der Soziologe Aladin El-Mafaalani, der davon berichtet, dass viele seiner Freunde, die Minderheiten angehören, sich in dieser Zeit von diesem Nationalbewusstsein bedroht fühlten.

„Kann es einen gesunden Patriotismus geben“, fragt auch die Journalistin und Autorin Alice Hasters in der Doku. Und wie weit ist der Weg von diesen Gefühlen hin zu dem Versuch, die Verbrechen der deutschen Geschichte zu relativieren? Eine Langzeitstudie habe gezeigt, dass Deutsche nach dieser WM eher nationalistischer eingestellt seien, referiert Awounou.

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Schnelle Schnitte und dramatisch wabernde Musik verhindern Reflexion

Die Doku, die am 5. Juni im Rahmen eines Themenabends im Vorfeld der EM im Ersten gezeigt wird, nimmt sich für die Beantwortung der richtigen und wichtigen Fragen, die sie selbst aufwirft, viel zu wenig Zeit. Sogenannte Presenterformate sind zurzeit sehr beliebt, weil über den präsenten Erzähler die Zuschauer an die Hand genommen werden sollen. Aber um diese Herangehensweise zu einem fruchtbaren Ergebnis zu führen, lässt Awounou seiner eigenen Pespektive als schwarzer Deutscher zu wenig Raum. Hinzu kommt, dass die schnellen Schnitte und die stets dramatisch wabernde Musik den Zuschauern die Chance rauben, sich mit dem Gesagten wirklich auseinanderzusetzen.

Es bleibt kein Raum für Reflexion, weil immer schon das nächste Thema dräut. Die sind alle für sich sehr wichtig, aber wie zielführend ist es, den Skandal um das Foto, das Mesut Özil 2018 mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan zeigte, nur anzureißen? „Eigentlich müssten wir sehr lange über dieses Foto und seine Auswirkungen sprechen“, sagt Awounou - aber dafür bleibt keine Zeit. 

Für ihn ist dieser Skandal, der damit endete, das Özil nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft spielen wollte, vor allem ein Zeichen dafür, dass der Fußball in unserer Gesellschaft zu sehr überhöht, zu sehr aufgeladen wird. Da ist sicher etwas dran, aber er tappt selbst in die Falle, die er erkannt hat, wenn er Sätze formuliert wie „Die Nationalmannschaft ist Kulturgut für alle“. Das stimmt schlicht nicht: Es gibt genügend Menschen in Deutschland, denen Fußball völlig egal ist. 

Gerald Asamoah berichtet eindrücklich von seinen Erfahrungen

Philipp Awounou hat für seinen Film sehr viele interessante Gesprächspartner vor die Kamera geholt. Aladin El-Mafaalani und Alice Hasters schauen mit dem eher nüchternen, klugen Blick von außen auf den Fußball. Aber der Film liefert auch die Innensicht. Den früheren Nationalspieler Gerald Asamoah, der sichtlich aufgewühlt berichtet, wie alltäglich rassistische Beschimpfungen der übelsten Art für ihn in den Stadien waren, auch der aktuelle Nationalspieler Jonathan Tah spricht offen über seine Erlebnisse. Die ehemalige Profi-Fußballerin Tuğba Tekkal erzählt eindrücklich, dass sie erst auf dem Platz ein Gefühl von Freiheit erlebte - und dann doch auch dort wieder mit Vorurteilen konfrontiert wurde.

Diese Gespräche sind die Stärke des Films, der sich aber ansonsten in seinen vielen roten Fäden verheddert. Er formuliert zu oft nicht präzise genug, wenn er etwa das rechte Narrativ der Remigration verwendet, ohne es einzuordnen. Und er lässt zwei Politiker zu Wort kommen: den SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und den sportpolitischen Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Jörn König. Der darf unwidersprochen behaupten, Rassismus sei nun wirklich nicht das wichtigste Thema in Deutschland - und das als Vertreter einer Partei, die Rassismus zu ihrem Markenkern gemacht hat.

Die Öffentlich-Rechtlichen stecken kurz vor der EM in einer Zwickmühle. Sie haben viel Geld für die Übertragungsrechte ausgegeben und ein große Begeisterung für den Fußball und das Turnier bedeutet eben auch gute Quoten. Gleichzeitig haben sie wohl Angst davor, unreflektierten Party-Patriotismus zu verbreiten. Es wirkt aber fast so, als müsse ein Film wie „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ möglichst viele kontroverse Themenkomplexe abarbeiten - was in 45 Minuten schlicht nicht gelingen kann.

Eine Umfrage des WDR zu dem Thema sorgt für Kritik

Der WDR hat zudem der Doku mit der flankierenden repräsentativen Umfrage, die nun für viel Wirbel sorgt, einen echten Bärendienst erwiesen.  Ein Ergebnis lautet: 66 Prozent der Befragten finden es gut, dass in der deutschen Mannschaft mittlerweile viele Fußballer spielen, die einen Migrationshintergrund haben. In derselben Umfrage geben jedoch auch 21 Prozent der Befragten an, dass sie es besser fänden, wenn wieder mehr Spieler mit weißer Hautfarbe in der deutschen Nationalmannschaft spielen würden.

Wie verbreitete der WDR die Ergebnisse? In einer Meldung, die überschrieben war mit den Worten: „Jeder fünfte Deutsche wünscht sich mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe – 65 Prozent stimmen dem eher nicht oder überhaupt nicht zu“ Hängengeblieben ist in der öffentlichen Debatte die erste Aussage. In vielen Medien wurde sie zitiert.  Joshua Kimmich äußerte sich sehr kritisch. Es sei „absurd, so eine Frage zu stellen“, dies sei „kontraproduktiv“. Bundestrainer Julian Nagelsmann sprach gar von einer „scheiß Umfrage“.  

Nun kann man nicht den WDR dafür verantwortlich machen, dass 20 Prozent der Befragten so denken. Aber die Fragestellung und die Skandalisierung muss man ihm zum Vorwurf machen. Sie gibt den rechten Narrativen viel zu viel Raum. An dieser Stelle ist die Umfrage in dieselbe Falle getappt wie der Film. Und das spielt leider den Falschen in die Karten.


Einigkeit und Recht und Vielfalt ist in der ARD-Mediathek zu sehen und läuft am Mittwochabend im Ersten um 21.30 Uhr, direkt nach der Doku „Deutschland. Fußball. Sommermärchen 2024?“ (20.15 Uhr)

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