Leverkusen – Im Garten kreischen die Kinder vor Vergnügen in den Wasserspielen, und im Haus fließen das Licht und die Gedanken ohne Hemmungen durch die Räume. So ähnlich stellt sich Jörg van den Berg das Museum Morsbroich vermutlich an allen Tagen vor, als demokratisches Lustschloss, umgeben von einem belebten Garten, und als städtisches Labor für die grundsätzlichen Fragen: Wie wollen wir zusammen leben, wie wollen wir gemeinsam in die Zukunft gehen?
Jörg van den Berg sieht eine Wende im Verhältnis zur Stadt
Als der Direktor des Leverkusener Kunstmuseums seine erste „Spielzeit“ vorstellt, spielt schon mal das Wetter mit und auch die Schulkinder vergnügen sich wie gerufen in Jeppe Heins künstlichen Wasserfontänen. Ohnehin ist van den Berg bestens gelaunt, er spricht von einer „Wende“ im Verhältnis zwischen der Stadt und dem städtischen Museum, von einem enormen Vertrauensvorschuss, der sich nicht zuletzt an einem Millionenetat für seine Ideenwerkstatt ablesen lasse. Tatsächlich machen die Stadtverordneten, die vor wenigen Jahren noch die Museumsschließung debattierten, nun jährlich 400.000 Euro für einige ausgewählte Künstler locker, die ins Blaue hinein grübeln, wie es mit dem Museum weiter gehen soll.
Gefühlt ist das Museum Morsbroich unter Jörg van den Berg aus der grünen Randlage ins Zentrum der Stadt gerückt. Das Jagdschloss, das vielen Bürgern offenbar eher als Trutzburg unverständlicher Gegenwartskunst erschien, wirkt nun so nahbar wie sein umtriebiger Direktor. An diesem Freitag beginnt das dreitägige Eröffnungsfest der „Spielzeit“, die zweiten „Morsbroicher Kunsttage“, mit geführten Spaziergängen, Konzerten, Lesungen, Gesprächen und einem „Picknick mit Botschaft aus den Bäumen“. „Spielzeit“ heißt die Morsbroicher Ausstellungssaison übrigens, weil bis Sommer 2023 lediglich eine einzige, sich dafür stetig verändernde Ausstellung zu sehen sein wird.
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Das ist der Preis für die lokale Nahbarkeit: Ambitionierte Einzel- und Themenausstellungen wird es in Leverkusen vorerst nicht mehr geben. Stattdessen beschäftigt sich das Museum mit sich selbst und seiner möglichen Rolle für die Stadt. Van den Berg bringt es auf eine einfache, aber vertrackte Losung: „Wie wird aus einem Museum für Gegenwartskunst ein gegenwärtiges Museum?“ An dieser Frage knabbern gerade viele in ihrem Selbstverständnis erschütterte Museen, denen die traditionelle Aufgabenbeschreibung nicht mehr genügt. Man könnte die Leverkusener „Spielzeit“ daher auch so umschreiben: Früher zeigte man Avantgardekunst, jetzt will man tendenziell selbst ein prozessuales Kunstwerk sein.
Auf den ersten Metern nimmt sich dieses Langzeitprojekt wohltuend bescheiden aus. Van den Berg und seine beiden Mitkuratoren Thekla Zell und Fritz Emslander zeigen schöne Raritäten aus der sonst verschlossenen, erstaunlich reich bestückten Museumssammlung, und sie bereiten ihren „Werkstattkünstlern“ jeweils eine Bühne. Deren erste Aufgabe besteht darin, gestalterische Ideen für das Museumsumfeld zu entwickeln, für den Garten, den Park und sogar für die Bundesstraße, die eher am Museum vorbeirauscht als zu ihm zu führen. Mitmachen ist dabei ausdrücklich erwünscht, die unter Leverkusener Bürgern gesammelten Spenden für ein von Mark Dion ersonnenes Hexenhäuschen sind in der Ausstellung bereits zu sehen.
Gabriela Oberkofler zeichnet das geheime Leben der Pflanzen
Gabriela Oberkofler arbeitet derweil an mobilen Holzwagengärten, in denen sie besonders gut miteinander könnende Gewächse aussät. In der Ausstellung steht ein ähnlich konzipierter Tischgarten mit einem lehrreichen Allerlei aus Pilzen, an der Wand hängt eine großformatige, imposante Zeichnung, auf der Oberkofler das geheime, auf ein gedeihliches Zusammenwirken angelegte Leben der Pflanzen zum Vorbild für die Menschheit erhebt. Ohne Kooperation geht es nicht – wer würde da widersprechen wollen?
Sicher nicht Margit Czenki und Christoph Schäfer, die das alte Gartenzimmer des Schlosses in eine verspielte Konversations- und Denkstube verwandeln. In der Mitte des Raumes soll eine Schaukel die schöpferischen Energien der Besucher in Wallung bringen, eine „Inspirationscouch“ steht ebenfalls bereit, daneben eine „Diskurslampe“ am Kung-Fu-Stab und schließlich ein Arbeitstisch mit Schreib- und Skizzenblöcken. Als Kunstinstallation geht das trotz handgemachter Graureihertapete streng genommen nicht mehr durch; aber dieser Empfangsraum sollte erfolgreich die letzten Ängste vor den Zumutungen von Gegenwartskunst zerstreuen.
Das Publikum kann sich Bilder aus der Sammlung wünschen
Ohne diese Zumutungen will Jörg van den Berg die Leverkusener freilich auch nicht davonkommen lassen – und sie dazu verführen, darin Anregungen und Einladungen zu sehen. Im ersten Stock hat Schirin Kretschmann einen Holzboden nicht etwa weiß getüncht, sondern aufwendig mit Gips bestäubt, Tilo Schulz zieht eine Sichtblende aus gestaffelten und einfarbig bemalten MDF-Platten durch mehrere Räume und Andrea Wolfensberger formt die Klangbilder einer Violine, eines Uhus oder von Kinderlachen in Wellkarton und Hartgips nach.
Eine hübsche, aus der Raumnot geborene Idee ist der Schauraum, in dem 30 Werke aus der Museumssammlung in einem Lagerregal stehen. Jeder Besucher darf sich eines der 30 Werke (ja, Gerhard Richters „Tiger“ ist auch darunter) zur Ansicht wünschen, zwei Mal die Woche wird ein Wunsch erfüllt und das jeweilige Bild vor einer roten Sitzbank an die Wand gehängt. So lässt sich in dieser ersten „Spielzeit“ erleben, dass ein Museum vom Gedankenspiel bis zur Begegnungsstätte viele Formen annehmen kann. Im Kern bleibt es aber wohl ein Ort, an dem man mit „seinem“ Kunstwerk allein sein möchte.
„Spielzeit #1“, Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Str. 80, Leverkusen, Di.-So. 11-17 Uhr, ab Freitag, 13. Mai 2022 bis Sommer 2023.