Leverkusen – In der Regel engagieren Städte einen Museumsdirektor, damit der sagt, wo es lang geht mit der Kunst im Allgemeinen und dem eigenen Museum im Besonderen. Jörg van den Berg hält das für „großen Quatsch“. Der neue Direktor des Leverkusener Museum Morsbroich will stattdessen erst einmal zuhören, was die anderen zu sagen haben – und davon lernen. Die Zeit dafür sei reif, weil die Institution Museum nicht erst seit der Corona-Pandemie in einer Krise stecke. „Wir müssen aus dem alten System ausbrechen“, so van den Berg, „das immer nur die glücklichen Wenigen bespaßt.“ Sein Museum für Gegenwartskunst solle sich für die gesamte Stadtgesellschaft öffnen und ein gegenwärtiges Museum werden.
So redet derzeit nicht nur Jörg van den Berg. Aber dem Morsbroich-Direktor scheint es tatsächlich ernst mit seiner modischen Grundsatzkritik am Museumsbetrieb zu sein. Für seine Antrittsausstellung, die Jubiläumsschau zum 70-jährigen Bestehen des Hauses, hat er sämtliche Mitarbeiter, von der Aufsicht bis zur Verwaltungsangestellten, eingeladen, ihre Lieblingswerke aus der Sammlung auszuwählen und ohne großes Dreinreden der professionellen Kuratoren in einem eigenen Raum zu präsentieren.
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Außerdem sitzt er so oft es geht an einem Schreibtisch inmitten seiner persönlichen Auswahl, um mit Besuchern ins Gespräch zu kommen. Sollte ihn dann jemand fragen, wie es mit dem Museum, dessen Schließung vor einigen Jahren mit Mühe abgewendet werden konnte, weiter geht, wird ihm Jörg van den Berg möglicherweise antworten, was er dieser Zeitung sagte: „Ich habe keine Idee.“ Aber so wie es ist, könne es nicht bleiben.
Das ist wahrscheinlich keine schlechte Strategie in einer Stadt, deren Bürger oft beklagten, dass sich ihr Museum von ihnen abgekapselt habe. Ähnliches könnten zwar auch viele Kölner über das Museum Ludwig sagen. Aber während die Krise des Museums in den großen Kulturstädten eher ein geflügeltes Wort ist, zeigt sie sich in Leverkusen als kalter Überlebenskampf. Insofern ist es wohl auch hilfreich, dass die Ideen, die van den Berg dann doch bereits parat hat, nicht viel Geld kosten. Er rief eine Gesprächsreihe ins Leben, sperrte so gut wie alle Türen im Museum auf und verabschiedete sich vom Projekt eines mehrstöckigen Erweiterungsbaus. „Mit den großen Museumstankern in Köln und Düsseldorf können wir ohnehin nicht konkurrieren. Warum sollen wir nicht das kleine Museum sein.“
Auch das kleine Museum Morsbroich hat schließlich viel zu bieten, wie die Jubiläumsschau mit dem programmatischen Titel „Das Ensemble schreibt das Stück“ eindrucksvoll beweist. Zwar steht der Ankaufsetat seit Jahren auf null, doch zehrt das in einem ehemaligen Jagdschloss residierende Museum von seinen legendären frühen Jahren; durch Schenkungen und Leihgaben wurde die Sammlung zudem immer wieder klug ergänzt. Jetzt füllen gut 100 Werke das gesamte Haus, darunter Gerhard Richters vom Tigern schon ganz wuschiger „Tiger“, ein Pferdchen von Gabriele Münter (die erste Anschaffung des Museums) und Arbeiten etlicher Nachkriegsgrößen von Alexander Calder bis Andy Warhol.
Das Museum Morsbroich war Avantgarde
Die Auswahl der nicht als Kuratoren angestellten Mitarbeiter wirkt dabei manchmal etwas zusammengewürfelt, hat aber den Charme privater Vorlieben – und wer will sich in der modernen Kunst ernsthaft darüber beklagen, wenn jemand etwas dezentes mit etwas knalligem kombiniert? Anderes wiederum hätte auch ein Profi kaum besser hinbekommen: Der Studiensaal in Schwarz-Weiß-Malerei etwa oder ein Raum gebrochener Formen, der unter anderem eine geschlitzte Fontana-Leinwand, ein Calder-Mobile und ein von Imi Knoebel im „Mikadostil“, so van den Berg, gefertigtes Holzobjekt vereint.
In den kleinen Durchgängen und Kabinetten erinnern Texttafeln an die Zeiten, in denen Morsbroich zu den Avantgarde-Museen in Deutschland zählte. Während die damaligen Tanker noch die klassische Moderne spazieren fuhren, wurde hier bereits monochrome Malerei gezeigt, die Fluxus-Bewegung gefeiert oder die US-amerikanische Konzeptkunst nach Europa importiert. Im Grunde hat sich das Museum Morsbroich schon damals von Leverkusen abgekapselt und sich radikal zur jungen internationalen Kunst bekannt – nur wurde das erst jetzt zum Politikum erklärt.
Für Jörg van den Berg dürfte es eine nicht geringe Herausforderung werden, sich der Stadt zuzuwenden, ohne die Tradition seines Hauses zu verraten. Im Gespräch wirkt er entschlossen, Bürgernähe und kuratorischen Anspruch zu vereinen und das Museum als geschützten Ort eines kultivierten Gesprächs zwischen Menschen und Kunstwerken einerseits sowie den Menschen untereinander zu bewahren. Am 14. November schließt seine Einstandsschau. Danach sollte van den Berg eine Ahnung davon bekommen haben, wo es lang geht in Leverkusen.
„Das Ensemble schreibt das Stück“, Museum Morsbroich, Gustav-Heinemann-Str. 80. Leverkusen, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 14. November.