Martin Lehrer ist Stadtführer am „Tag des offenen Denkmals“. Mit uns sprach er über ein stilles, oft verrufenes Wahrzeichen Kölns: die Architektur der 1950er-Jahre.
Tag des offenen DenkmalsWarum auch die Architektur der 50er-Jahre verdientes Wahrzeichen Kölns ist
Herr Lehrer, Sie geben zum „Tag des offenen Denkmals“ am 7. und 8. September Führungen zur Architektur der 1950er Jahre. Die wird ja in Köln oft eher als Manko denn als Aushängeschild begriffen. Woran liegt das?
Martin Lehrer: Diese Architektur geht in der Stadt oft unter in dem Konzert anderer Stile und Epochen, die wuchtiger und monumentaler sind. Und zwar aus einem Grund, der sie auch auszeichnet: Sie ist zum Teil sehr zurückhaltend und unaufdringlich. Frühere und spätere Architektur-Epochen haben mehr auf Wirkung, Akzente und auch auf visuelle Paukenschläge gesetzt. Da tritt diese zum Teil sehr filigrane 50er-Jahre-Architektur etwas zurück.
Und sehen Sie diese Unaufdringlichkeit als Qualität?
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Ja, dahinter verbirgt sich auch sehr viel Verspieltheit und sogar Dekorationslust. Dekoration an Fassaden wurde ja in der Moderne eher kritisch gesehen, weil das an die Gründerzeit mit ihrem Stuck und Schwulst erinnerte. Danach kam dann die monumentale Architektur der 30er Jahre. In den 50ern wurde die Dekoration auf eine sehr subtile Weise wiederentdeckt und auch praktiziert. Zum Beispiel in Gestalt von Mosaiken und Sgraffiti, also Kratzputzbildern. Über die Motive kann man heute unterschiedlicher Meinung sein. Aber man wollte die Häuser nicht nur funktional, sondern auch wieder ein bisschen schön gestalten.
Musste denn in der Nachkriegszeit nicht pragmatisch, schnell und günstig gebaut werden?
Ja – und das ist in der Rückschau tatsächlich ein gewisser Widerspruch. Den Kosten- und Zeitdruck von damals können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Und trotzdem hatten die Architekten den Anspruch, diese Wohnhäuser nicht nur funktionell zu bauen. Ein Gestaltungselement sind zum Beispiel asymmetrische Balkone, die auf einer Führung in Lindenthal zu sehen sind. Aber es gibt auch noch andere, ganz witzige Dinge, die man in der Regel übersieht. Das erfordert ein fast detektivisches Sehen.
Am Beispiel von Oper und Schauspielhaus sieht man, wie aufwendig so eine Sanierung bisweilen sein kann. Lohnt sie sich trotzdem?
Viele Gebäude in der Innenstadt stehen ja erfreulicherweise unter Denkmalschutz – da stellt sich diese Frage also gar nicht. Aber natürlich wird auch vieles abgerissen. Und deswegen machen wir ja diese Innenstadt-Führung am „Tag des offenen Denkmals“ – um das Bewusstsein zu stärken und bei den „Wackelkandidaten“ vielleicht noch zu erwirken, dass sie erhalten bleiben. Was Oper oder Schauspielhaus angeht – ja, die Sanierung lohnt sich, weil deren architektonische Qualität außer Frage steht. Etwas anderes ist, ob sie danach in der früheren Funktion genutzt werden sollten.
Bei einer Sanierung treten oft schier unlösbare Probleme auf ...
Die technischen Anforderungen sind heute einfach ganz andere als vor 70 Jahren. Dasselbe erleben wir ja auch bei Bädern oder Kirchen. Und wenn sich herausstellt, dass die ursprüngliche Nutzung in diesem Gebäude nicht mehr realisierbar oder gewünscht ist – dann würde ich für den Erhalt unter Denkmalgesichtspunkten plädieren und sehen, dass man es anders nutzt.
Gilt das auch für Wohnbebauung?
In nicht denkmalgeschützten Wohnhäusern stellt sich die Frage nicht so drastisch, weil da viele Anpassungen im Inneren schon vorgenommen worden sind – zum Beispiel Zusammenlegen von Wohnungen. Dadurch bekommt man dann auch moderne Standards eingebaut, zum Beispiel in der Haustechnik. Das ist nicht so ein Entweder-oder wie bei dem Erhalt und der Nutzung von denkmalgeschützter Substanz.
Abreißen oder Sanieren – ist die Antwort für Sie immer eindeutig?
Das ist eine Gewissensfrage. Dafür haben wir das Instrument des Denkmalschutzes, der die hervorragenden Zeugnisse einer Epoche unter Schutz stellt. Ich persönlich interessiere mich aber auch für Architektur in der Breite und finde die der 50er Jahre auch jenseits einzelner denkmalgeschützter Gebäude sehr ansprechend – auch wegen der menschlichen Dimensionen. Andererseits sehe ich die Notwendigkeit, dass jede Generation dem Stadtbild ihren Stempel aufdrücken kann. Abriss ist ja inzwischen in Verruf gekommen wegen der CO₂-Bilanz. Aber eine Umnutzung oder Umgestaltung für moderne Wohnbedürfnisse – das finde ich durchaus legitim.
Martin Lehrer ist studierter Historiker und Journalist. In der Denkmalpflege ist er ehrenamtlich tätig und organisiert für den Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz Führungen zur Architektur der 1950er-Jahre.
Rundgänge mit Martin Lehrer: „Balkone und Fassaden im Wohnungsbau der 1950er Jahre“, Sa. 7.9., 15:00 Uhr, Dauer 90 Minuten, Treffpunkt Ecke Dürener Straße 126/Schallstraße vor Bäckerei Heinemann, „Die 1950er Jahre als Innenstadt-prägende Architekturepoche“, So. 8.9., 11:00 Uhr, Dauer 90 Minuten, Treffpunkt vor dem Erzbischöflichen Generalvikariat, Marzellenstraße 32
3 Highlights am „Tag des offenen Denkmals“
1. Das Gedächtnis Kölns: Der Melatenfriedhof in Lindenthal
Der Stammvater der Kölner Museen, Ferdinand Franz Wallraf, der in diesem Jahr zu seinem 200. Todestag gefeiert wird, trat in Köln nicht nur als Kunstsammler hervor. Als Stadtkonservator war er auch für die Pläne des Melatenfriedhofs verantwortlich. Nachdem Bestattungen innerhalb von Städten und Dörfern untersagt wurden, wurde der Friedhof ab 1804 auf das Gelände des ehemaligen Leprosenasyls außerhalb der Stadt verlegt. Ferdinand Franz Wallraf entwarf nicht nur den ersten Teil der heutigen Gesamtanlage als öffentliche Grünanlage, sondern auch zahlreiche Grabmäler. 1824 wurde er selbst hier beigesetzt. Heute ist der Melatenfriedhof nicht nur eine Ruhestätte, sondern auch ein lebendiges Denkmal der Geschichte Kölns.
Zahlreiche Führungen rund um den Melatenfriedhof, zum Beispiel: „Ferdinand Franz Wallraf und der Melatenfriedhof,“ Sa. 7.9., 7:00 bis 20:00 Uhr, So. 8.9., 7:00 bis 20:00 Uhr Sa. 7.9., 18:00 Uhr, mit Barbara Schock-Werner, Dauer 90 Minuten, Anmeldung erforderlich bis Fr. 30.8. unter wallraf200@ub.uni-koeln.de, Teilnahme nur mit Teilnahmebestätigung, Eingang Piusstraße.
2. Kölns jüngstes Denkmal: Das Deutschlandradio-Funkhaus
Das jüngste Kölner Denkmal wurde erst im Sommer dieses Jahres eingetragen: das Hochhaus des Deutschlandradios in Köln-Raderthal. Hier entstehen rund um die Uhr verschiedene Hörfunk-Formate. 1980 wurde der Gebäudekomplex mit seinem Hochhaus nach Plänen des Architekten Gerhard Weber eingeweiht. Seitdem prägt er die Kölner Stadtsilhouette. „Das Wahrzeichen des Senders besticht durch seine äußere Form und Gestaltung, die durch das im Hochhausbau selten verwendete statische System weithin sichtbar geprägt wird“, so Stadtkonservator Dr. Thomas Werner. Das Funkhaus ist ein sogenanntes „Hängehochhaus“: Es wird von oben nach unten gebaut. Die einzelnen Etagen werden am Dach und Stahlseilen aufgehängt.
Funkhausführungen, So. 8.9., 10:00 bis 16:00 Uhr, Dauer jeweils 90 Minuten, Raderberggürtel 40, Anmeldung erforderlich auf deutschlandradio.de/veranstaltungen, Teilnahme nur nach Vorlage der Bestätigung, Gruppengröße begrenzt, Treffpunkt am Haupteingang
3. Erholung im Grünen: 100 Jahre Fritz-Encke-Volkspark
Innerer und Äußerer Grüngürtel prägen seit der Umwidmung der alten Festungsringe nach Ende des Ersten Weltkrieges als „grüne Lungen“ die Stadtstruktur. Zwischen der Brühler und der Bonner Straße entstand auf dem Gelände des ehemaligen Friedenspulvermagazins der Fritz-Encke-Volkspark. Der namensgebende Gartenbaudirektor Fritz Encke hatte ihn vor 100 Jahren, 1924, fertiggestellt. Mit seinen Spielplätzen und einem Brunnentempel sollte er der Bevölkerung Erholung im Alltag bieten. Nachdem die Anlage lange Zeit fast in Vergessenheit geraten war, wurde sie 2001 mithilfe von Spenden und einer Bürgerinitiative wiederhergestellt.
Großes Jubiläumsfest mit verschiedenen Programmpunkten auch für Familien, So. 8.9., 11:00 bis 16:00 Uhr, Führungen zu unterschiedlichen Aspekten der Parkanlage, Dauer jeweils 90 Minuten, Brunnentempel im Fritz-Encke-Volkspark, Zugang über Sinziger Straße.
Zum „Tag des offenen Denkmals“
Am 7. und 8. September öffnen zum „Tag des offenen Denkmals“ Kölner Denkmäler wieder ihre Türen – darunter auch viele, die normalerweise nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Dieses Jahr steht die Aktion unter dem Motto „Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte.“ Dass längst nicht nur Offensichtliches wie der Kölner Dom identitätsstiftend ist, beweist spätestens die lange Liste von über 160 Gebäuden aus dem diesjährigen Programm. Der „Tag des offenen Denkmals“ wird seit 1993 bundesweit durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz koordiniert, in Köln durch die Stadt und das Kölnische Stadtmuseum. Jedes Jahr öffnen rund 7.500 Denkmale in über 2.700 Kommunen ihre Pforten. Ziel ist es, die Bedeutung des baukulturellen Erbes erlebbar zu machen.
Das vollständige Programm ist unter www.offenes-denkmal.koeln abrufbar. Programmhefte liegen in den Kölner Museen und Bürgerämtern sowie bei Köln-Tourismus aus. Veranstaltungen für Familien, für Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung und für Rollstuhlfahrende, sind entsprechend gekennzeichnet. Für einige Veranstaltungen gibt es eine Anmeldepflicht.