Vergewaltigen, verschleiern, verheimlichen: Eine neue Untersuchung belastet das Erzbistum Freiburg massiv. Auch in weiteren Gemeinden gibt es neue Vorwürfe.
Abgründe des Machtsystems KircheNeue Berichte über Kindesmissbrauch belasten hunderte katholische Priester
Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche kommen neue Fälle ans Licht, die gleich in mehreren Städten und Gemeinden auch neue Fragen aufwerfen. Der jüngste und größte Bericht über systematischen und flächendeckenden sexuellen Kindesmissbrauch belastet das Erzbistum Freiburg. Aber auch im Bistum Trier gibt es ein Priester-Urteil und neue Hinweise auf einen Missbrauchsring. Im bayerischen Traunstein hat zudem ein kirchlicher Seelsorger im Prozess die Vergewaltigung einer Minderjährigen gestanden. Eine Übersicht der belastenden Berichte für die katholische Kirche.
Erzbistum Freiburg: 250 Priester könnten Täter sein – Ex-Erzbischof Zollitsch könnte Fall für Rom werden
Freiburger Missbrauchs-Bericht enttarnt System der Verschleierung: Der Freiburger Bericht über sexuellen Missbrauch durch Geistliche hat Abgründe des Machtsystems Kirche offengelegt und gnadenlos mit der Ära des damaligen Erzbischofs Robert Zollitsch (84) abgerechnet. Dessen Amtszeit bis 2013 war durch „konkretes Vertuschungsverhalten“ geprägt, wie es in dem in Freiburg vorgelegten Report heißt. Die Autoren der unabhängigen Studie bewerteten am Dienstag auch das Verhalten von Zollitsch' verstorbenen Amtsvorgänger Oskar Saier äußerst kritisch.
Der Bericht über den Machtmissbrauch in der katholischen Kirche in Freiburg macht 250 Kleriker aus, die als potenzielle Täter in Betracht kommen, berichtet unter anderem „Deutschlandfunk“. Zuvor sei von 190 Beschuldigten die Rede gewesen. Laut der neuen Untersuchung in Freiburg seien 540 Personen von sexuellem Missbrauch durch Geistliche betroffen. Der Bericht macht deutlich, dass die Täter von Zollitschs Verschleierungs-System profitierten.
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In der Amtszeit des amtierenden Erzbischofs Stephan Burger seien hingegen keine Verfehlungen aufgefallen. „Das sticht heraus“, sagte der Freiburger Theologe und Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Magnus Striet, insbesondere mit Blick auf Vorwürfe gegen Zollitsch.
Der hohe Geistliche war von Februar 2008 bis März 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und damit Gesicht und Stimme der katholischen Kirche gewesen. Als Erzbischof habe Zollitsch alles unterlassen, was kirchenrechtlich vorgeschrieben gewesen wäre, sagte einer der Autoren der Studie, Eugen Endress. Auf eigentlich verpflichtende Meldungen von Missbrauchsfällen nach Rom habe Zollitsch komplett verzichtet. „Nichts ist passiert, alles lief so wie immer.“ Der pensionierte Richter sprach von einem eindeutigen Rechtsbruch.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller zeigt sich schockiert vom Verhalten des früheren Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch. Erschreckend sei „die völlige Ignoranz von Zollitsch, der als einer der dienstältesten Personalchefs schlimmste Missbrauchsfälle gedeckt und Täter geschützt hat“, sagte Schüller dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch) nach der Vorstellung des Missbrauchsberichts im Erzbistum Freiburg. Es sei beschämend zu sehen, wie Zollitsch Missbrauchstäter gedeckt habe, „aber das Kirchenrecht mit aller Härte bei einvernehmliche Beziehungen mit erwachsenen Frauen gegen die Priester angewendet hat“.
Solche „Herzenskälte“ habe ihn schockiert, so Schüller. Der Kirchenrechtler verwies auch auf die Biografie des emeritierten Erzbischofs. Zollitsch (84) musste gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Teil der deutschstämmigen Minderheit im ehemaligen Jugoslawien schwerste Gewalt miterleben. Es sei auch vor diesem Hintergrund erbärmlich, so Schüller, dass er später sexualisierte Gewalt derart heruntergespielt habe.
Bistum Trier: Priester wegen sexuellen Kindesmissbrauchs in kirchlichem Prozess verurteilt – und neue Hinweise auf Missbrauchsring
Urteil in Trier: Ein Priester im Ruhestand aus dem Bistum Trier ist in einem kirchlichen Strafprozess für schuldig befunden worden, eine minderjährige Person sexuell missbraucht zu haben. Wie das Bistum Trier am Mittwoch mitteilte, darf der Geistliche künftig nicht mehr als Priester erkennbar sein, also keine Priesterkleidung tragen, keine Sakramente spenden und keine Gottesdienste halten.
Zudem werde sein Ruhestandsgehalt gekürzt, er dürfe sich nicht in seiner früheren Pfarrei aufhalten und auch den päpstlichen Ehrentitel Prälat nicht mehr führen. Gegen das Urteil kann der Mann laut Bistum bei der Glaubensbehörde im Vatikan Berufung einlegen. Vorwürfe gegen den Priester waren nach Angaben des Bistums 2019 gemeldet worden. Sie beziehen sich auf die 2000er Jahre. Nach einer kirchenrechtlichen Voruntersuchung von 2019 bis 2021 ordnete der Vatikan auf Empfehlung von Bischof Stephan Ackermann einen kirchlichen Strafprozess an.
Neue Hinweise auf Missbrauchsring in Trier: Rund um einen verstorbene Trierer Priester gibt es neue Erkenntnisse. Der auch von der Pressestelle des Trierer Bistums namentlich benannte Edmund Dillinger könnte Teil eines Missbrauchsrings gewesen sein. Das legen neue Hinweise nahe, die der Neffe Dillingers gefunden und öffentlich gemacht hat, berichtet unter anderem der „Südwestrundfunk“ (SWR).
Nach Angaben des Neffen soll der Priester über Jahrzehnte pornografisches Material angefertigt und in einer Art Tagebuch erfasst haben. Der SWR berichtet, dass Dillinger unter falschem Namen ein Doppelleben in Afrika geführt haben soll. Die Hinweise des Neffen deuteten zudem auf mehrere Personen rund um Dillinger hin, die ebenfalls Teil eines Missbrauchsrings gewesen sein könnten
Dillinger arbeitete zwischen 1970 und 1979 auch im Erzbistum Köln: Zunächst war Dillinger offenbar aus Studienzwecken am Rhein, dann als Strafmaßnahme. So sollen bei einer Kirchenfreizeit, Fotos eines Geistlichen mit einem Jugendlichen in Unterhose in einem Bett auf Dillingers Kameras gefunden worden sein. Dillinger wurde daraufhin zwangsversetzt.
Die neuen Vorwürfe wollte die Pressestelle des Bistums Trier auf Anfrage dieser Zeitung zunächst nicht kommentieren. Gegenüber dem SWR gab die Aufarbeitungskommission an, den Nachlass und die neuen Informationen des Neffen sichern und auswerten zu wollen. Ende Juni 2022 begann im Trier Bistum die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle.
Vergewaltigung in Traunstein: Gemeindereferent und Seelsorger gesteht am ersten Prozesstag
Kirchlicher Seelsorger gesteht Vergewaltigung: Ein katholischer Gemeindereferent hat am Landgericht Traunstein die Vergewaltigung einer jungen, psychisch kranken Frau gestanden. Er räumte am Mittwoch ein, die Frau 2018 in einem Münchner Hotel vergewaltigt zu haben. Kennengelernt hatte er sie als Jugendseelsorger einer katholischen Kirchengemeinde, als sie 16 Jahre alt war.
„Es tut mir wahnsinnig leid“, sagte der heute 37-Jährige, der sein Gesicht mit einer Schutzmaske und einer tief in die Stirn gezogenen Mütze vor den Fotografen verbarg. „Ich finde dafür einfach gar keine Worte.“ Der verheiratete Mann versprach, „bei allem, was mir heilig und lieb ist, dass sowas nicht noch mal vorkommt“. Laut Anklage fesselte er die junge Frau, die damals depressiv war und Antidepressiva nahm, in dem Hotel und vergewaltigte sie brutal. Er „erklärte ihr, dass er ihr wehtun werde, um sie zu bestrafen“, heißt es in der Anklage.
Durch das Geständnis dürfte der Prozess sich deutlich abkürzen. Denn die Prozessparteien hatten sich in einem Rechtsgespräch kurz nach Beginn der Verhandlung auf einen sogenannten Deal geeinigt, der dem Angeklagten eine Strafe von anderthalb bis höchstens zwei Jahren auf Bewährung in Aussicht stellt, wenn er seinem psychisch kranken Opfer durch sein Geständnis die Aussage vor Gericht erspart.
Teil des Deals ist außerdem die Zahlung von 10.000 Euro im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Angeklagt war der Mann nicht nur wegen Vergewaltigung, sondern auch wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener. Er soll schon Sex mit seinem Opfer gehabt haben, als die junge Frau noch keine 18 Jahre alt und er ihr Jugendseelsorger war.
Laut Anklage bot der Mann den Eltern damals an, sich um das Mädchen zu kümmern, das an Depressionen litt. Er soll sich regelmäßig mit der 16-Jährigen getroffen haben - im Musik-Proberaum der Kirche oder auch zu Spaziergängen. Bei diesen Treffen und unter anderem auch bei einer Ferienfreizeit soll er sie laut Anklage missbraucht haben. Als die Eltern davon erfuhren, sollen sie ihrer Tochter den Umgang mit dem Mann verboten haben. (mab mit dpa/kna)