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Überschwemmungen in SpanienAuf der Suche nach den Schuldigen

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Spanien, Valencia: Dutzende von Fahrzeugen stauten sich nach dem verheerendenUnwetter im Stadtviertel Torre.

Dutzende von Fahrzeugen stauten sich nach dem verheerenden Unwetter im Stadtviertel Torre in Valencia.

In Spanien ist ein Streit entbrannt, ob zu spät oder zu wenig vor den Sturzfluten gewarnt wurde. Die Opferzahlen steigen.

Die Bewohner des Altenheims von Paiporta saßen zum Abendessen im Speisesaal im Erdgeschoss, als das Wasser einbrach. Es war eine biblische Flut. Nach wenigen Minuten saßen die Alten in ihren Rollstühlen bis zur Brust im Wasser. Die Pflegekräfte, die Leute aus der Küche und aus der Verwaltung eilten herbei und trugen diejenigen, die sich nicht selbst bewegen konnten, hinauf zu den Zimmern im ersten Stock. „Dann wurde nachgezählt“, berichtet ein Zeuge der Zeitung „El Confidencial“. „Es fehlten zehn.“

Paiporta ist ein Vorort von Valencia. Gut 25.000 Menschen sind hier gemeldet. Von ihnen starben am Abend, als die Flut kam, mindestens 40, so viele wie in keinem anderen Ort bei dieser Überschwemmungskatastrophe im Osten und im Süden Spaniens. In Paiporta hatte es kaum geregnet, als am frühen Dienstagabend einer dem anderen riet, sein Auto aus der tief gelegenen Garage zu holen, weil von Westen her eine Flut heranrollte. Für manche war der gut gemeinte Rat ein Todesurteil.

In Chiva, 30 Kilometer westlich von Paiporta in den Bergen gelegen, hatte es geregnet, wie es nie regnet. Der Himmel öffnete seine Schleusen, und nun stürzte das Wasser von Chiva die Rambla del Poyo hinab, ein meistens trockenes Bachbett, um sich über Paiporta zu wälzen. Eine Mutter rettete sich mit ihrem drei Monate alten Säugling auf das Dach ihres Autos. Sie rief eine Freundin an: Kümmere dich um meine anderen Kinder, wenn mir etwas zustößt. Später fanden die Rettungskräfte die Leichen von Mutter und Säugling.

Regen wie sonst in einem Jahr

Mindestens 155 Tote forderten die Sturzfluten im Süden und Osten des Landes, und viele Menschen werden noch vermisst. Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte die Suche nach ihnen zur Priorität des Tages. Von „vielen“ Menschen wisse man gar nichts über deren Schicksal. In den Fokus rückt nun die Frage, ob die Behörden früh genug vor der Gefahr gewarnt haben. Robles aber lehnt es ab, sich an der in Spanien entbrannten Diskussion über Versäumnisse bei der Warnung vor diesen verheerenden Unwettern zu beteiligen. „Jeder weiß, was er gut und schlecht gemacht hat“, sagte sie mit Blick auch auf einen Streit zwischen Innenminister Fernando Grande-Marlaska und dem Regierungschef der Region Valencia, Carlos Mazón. Beide werfen sich gegenseitig vor, für das Warnsystem zuständig gewesen zu sein. „Heute ist nicht der Tag für Schuldzuweisungen“, sagte dagegen Borja Sanjuán, ein Valencianer Lokalpolitiker, „aber schließlich wird man die Gründe für die fehlende Voraussicht herausfinden müssen.“

An Voraussicht hat es in Wirklichkeit nicht gefehlt. Die spanische staatliche Agentur für Meteorologie (AEMET) gab am Sonntag um 13.50 Uhr, zwei Tage vor der Katastrophe, eine erste Warnung heraus: Für den Osten Spaniens erwarte man am Dienstag „sehr starke Schauer, ohne örtliche sintflutartige Regenfälle auszuschließen“. Am Dienstagmorgen um 9.41 Uhr rief die AEMET Warnstufe Rot für die gesamte Provinz Valencia aus. Das haben die Spanier schon oft gehört. Starkregen, Dana (das ist die spanische Abkürzung für diese Art extremer Wetterphänomene), Warnstufe Rot.

Um 20.11 Uhr, als die Tragödie schon im Gange war, gab der Valencianer Katastrophenschutz eine Warnbotschaft an alle Mobiltelefone in der Provinz heraus. Man solle jetzt möglichst nicht unterwegs sein. Kurz darauf eine zweite, deutlichere Botschaft: zu Hause bleiben! Bei manchen kam die Nachricht an, als ihnen das Wasser schon bis zum Halse stand. Mancherorts fiel innerhalb eines Tages so viel Regen wie sonst in einem Jahr – in einigen Orten der Region Valencia AEMET zufolge bis zu 400 Liter pro Quadratmeter. Menschen, Autos und Bäume, aber auch Infrastruktur wurden in den Fluten mitgerissen. Vielerorts gab es große Verwüstung.

Dreitägige Staatstrauer

Spanien erinnert sich jetzt an frühere Flutkatastrophen in dieser Gegend: 1987, 1982, 1957. Die von 1957 überschwemmte die halbe Stadt Valencia. Das damals regierende Franco-Regime ließ Staudämme und ein neues Bett für den Fluss Turia bauen, an der Stadt vorbei statt durch sie hindurch. Das hat diesmal größere Schäden in der Provinz- und Regionalhauptstadt verhindert. Die Katastrophe hat gerade eben vor Valencia, der drittgrößten Stadt Spaniens, haltgemacht. Betroffen ist sie trotzdem: Die Zuglinien hinaus in den Rest des Landes sind unterbrochen und werden es wohl noch zwei Wochen bleiben. Auch die Autobahnen sind blockiert: Am Donnerstagnachmittag standen sie noch voller Autos, die zwei Tage zuvor von den Wassermassen überrascht worden waren. Selbst die Hilfsmannschaften hatten Schwierigkeiten, zu den gestrandeten Autos und ihren Passagieren vorzudringen.

Und jetzt? Am Donnerstagvormittag gab die AEMET eine neue Warnung heraus. „Wiege dich nicht in Sicherheit. Ein Bachbett verwandelt sich schnell in eine reißende Flut.“ Am Mittwoch war ein Teil der Regenfront Richtung Westen, nach Andalusien und Extremadura, weitergewandert, abgeschwächt, aber immer noch stark und gefährlich. Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. (rnd)