AntisemitismusStudie: Große Wissenslücken bei der NRW-Polizei

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Polizeiposten vor der Synagoge in der Kölner Roonstraße.

Polizeiposten vor der Synagoge in der Kölner Roonstraße.

NRW-Innenminister Herbert Reul will über Verbesserungen in Aus- und Weiterbildung der Beamten nachdenken. 

Bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen gibt es große Wissens- und Kompetenzlücken im Umgang mit Antisemitismus. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Bielefeld und der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Die bundesweit erste Untersuchung in diesem Bereich stellt ein allenfalls „rudimentären Verständnis“ von Antisemitismus fest und empfiehlt der Landesregierung, mit verbindlichen Ausbildungsteilen gegenzusteuern.

„Ausbildungszeit ist ein rares Gut – aber hier besteht eine echte Notwendigkeit“, sagte Co-Autor Marc Grimm, derzeit Professor für die Didaktik der Sozialwissenschaften an der Uni Wuppertal, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Polizistinnen und Polizisten verbänden den Begriff Antisemitismus zuerst mit der Zeit des Nationalsozialismus, dann auch mit islamistischer Judenfeindlichkeit. „Damit werden andere, moderne Ausprägungen des Antisemitismus nicht gesehen oder erst gar nicht erkannt.“ Die meisten Beamtinnen und Beamten hätten seit ihrer Schulzeit keine verpflichtende Ausbildung mehr zu diesem Thema erhalten.

Erhebliches Problem für den Rechtsstaat und die Gesellschaft

In den Interviews mit 39 Polizeikräften aus allen Funktionsbereichen hätten die Studienteilnehmenden selbst mangelnde Kenntnisse beklagt und große Lernbereitschaft gezeigt, um Antisemitismus zu erkennen, Gefahrenlagen besser einschätzen und antisemitisch motivierten Taten schon bei einem Erstverdacht wirksam begegnen zu können, so Grimm. Wichtig sei auch Kontextwissen zu den Motiven des israelbezogenen Antisemitismus. Hier habe sich die Lage seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 „zweifellos noch einmal verschärft“.

Alles zum Thema Herbert Reul

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte die Ergebnisse der Studie spannend. Sie seien Anlass, „genau hinzuschauen und uns intern mit dem Thema zu befassen“, sagte Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wenn wir etwas noch besser machen können, wollen wir das auch tun“, so Reul weiter. Es sei immer klug, darüber nachzudenken, „wie wir das Thema Antisemitismus und wie man ihn erkennt, in Aus- und Fortbildung platzieren“. Auch die Sprache sei ein wichtiger Faktor. Übersetzungsapps könnten in Zukunft zum Beispiel helfen, Sprachbarrieren zu überwinden und antisemitische Schmierereien leichter zu enttarnen.  

NRW-Innenminister Reul: Polizistinnen und Polizisten haben das Herz am rechten Fleck

Antisemitismus von legitimer Staatskritik zu unterscheiden, sei selbst für Rechtsgelehrte nicht immer leicht, gab Reul zu bedenken. „Da geht es auch unseren Einsatzkräften nicht anders.“ Der Minister lobte aber auch deren Interesse für jüdisches Leben und jüdischen Schutz. „Die Studie zeigt: Sie würden oft gern noch mehr darüber erfahren.“ Und: „Polizistinnen und Polizisten haben ihr Herz am rechten Fleck.“

Wissenslücken und Kompetenzmängel bei der Polizei in Sachen Antisemitismus seien für den Rechtsstaat und die Gesellschaft ein erhebliches Problem, betont die Studie. Dass antisemitisch motivierte Straftaten vor Gericht gebracht werden können, sei „abhängig von Polizeiarbeit“. Die Polizei müsse nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen erkennen, einordnen und darauf reagieren, sondern auch das Vertrauen Betroffener genießen und deren Schutz gewährleisten.

Auch Grundkenntnisse über jüdisches Leben müssen sichergestellt sein

Zwar müsse nicht jeder Polizist, jede Polizistin Antisemitismus-Experte werden, räumte Grimm ein. „Aber alle brauchen ein Grundgerüst an Wissen über den Antisemitismus und müssen zum Beispiel Codes, Floskeln oder Parolen aus dem israel-feindlichen Milieu kennen, um darauf reagieren zu können.“ Auch Grundkenntnisse über jüdisches Leben müssten sichergestellt sein. „Wenn ein jüdischer Feiertag ist, sollte Polizistinnen und Polizisten klar sein: Heute wird die Synagoge voll sein, da ist besondere Vorsicht geboten.“

Auch Volker Beck, Geschäftsführer des Berliner Tikvah-Instituts, das als Teil des Forschungsverbunds „Empathia3“ zur Antisemitismus-Prävention und -Repression an der Erstellung der Studie beteiligt war, unterstrich die Bedeutung einer gezielten Ausbildung. „Bei Prävention und Repression von Antisemitismus kommt der Polizei eine zentrale Rolle zu“, sagte Beck dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Politik weise der Polizei regelmäßig die Aufgabe zu, rote Linien durchzusetzen. „Dafür müssen Aus- und Weiterbildung die Polizistinnen und Polizisten aber auch befähigen. Die Themen Antisemitismus, jüdisches Leben und Israels Geschichte und Gegenwart müssen fester Bestandteil der Curricula werden.“

Wie Grimm zum Design der Studie ausführte, war die Frage nach Antisemitismus im Polizeiapparat selbst nicht Gegenstand der Untersuchungen. „Es gab allerdings in unseren Interviews gelegentlich Äußerungen, die auf vorhandene antisemitische Einstellungen oder Stereotype schließen lassen.“ Es handele sich um eine qualitative Studie, für die mit Zustimmung des NRW-Innenministeriums 39 Freiwillige aus unterschiedlichen Funktionsbereichen der Polizei interviewt wurden, um ein möglichst breites Bild vom Kenntnisstand innerhalb der Polizei zu bekommen. Er gehe davon aus, dass die Ergebnisse übertragbar sind auf den Polizeiapparat insgesamt: Die Probleme werden gesehen und sollten angegangen werden“, so Grimm.

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