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Auto versus FahrradWie sieht die Zukunft der Mobilität aus – ein Streitgespräch

Lesezeit 16 Minuten
Stau Köln 310821 GRÖNERT

Stau auf dem Kölner Autobahnring

  1. In der Verkehrspolitik prallen viele unterschiedliche Meinungen aufeinander – vom Stellenwert des Autos bis hin zu sinnvollen Alternativen für Stadt- und Landbewohner.
  2. Wir haben VDA-Präsidentin Hildegard Müller und die stellvertretende ADFC-Bundesvorsitzende Rebecca Peters zum Streitgespräch eingeladen.

KölnFrau Müller, Frau Peters, in dieser Woche beginnt die „Internationale Automobilausstellung“ als Leistungsschau der deutschen Automobilindustrie. Was macht heute die Faszination – oder das Ärgernis – aus, das vom Auto ausgeht?

HILDEGARD MÜLLER: Die IAA wechselt mit dem Standortwechsel von Frankfurt nach München auch die Idee. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Mobilität der Zukunft – mit all ihren Herausforderungen: Wie sieht Mobilität in den Städten und in den ländlichen Räumen aus? Wie vernetzen wir die Verkehrsträger? Und natürlich: Wie kommen wir auf dem Weg zur Klimaneutralität voran? Wir zeigen mehr als 100 automobile Neuheiten und Fahrradhersteller belegen mit ihren Ausstellungsflächen anderthalb Messehallen. Wir diskutieren intensiv über die Mobilität von morgen und haben bewusst auch die eingeladen, die anderer Meinung sind als wir.

Ist das in Ihrem Sinn, Frau Peters?

REBECCA PETERS: Na ja, wir demonstrieren in München gegen die IAA. Nicht weil sie an sich ein Feindbild wäre, sondern weil sie vorführt, dass die Automobilindustrie in Deutschland immer noch viel zu stark an ihren alten Zöpfen hängt und eine echte Verkehrswende verweigert.

Zur Person

Hildegard Müller, geboren 1967, ist seit Februar 2020 Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie. Die Diplom-Kauffrau war von 1998 bis 2002 Bundesvorsitzende der Jungen Union. Angela Merkel holte sie 2005 als Staatsministerin ins Kanzleramt. Weitere Stationen waren der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (ab 2008) und der RWE-Konzern (ab 2016).

In der Selbstdarstellung der Konzerne ist doch alles auf E-Mobilität und Innovation getrimmt.

PETERS: Es reicht aber nicht, Autos mit neuen Antrieben auszustatten. Verkehrswende bedeutet, Flächen neu zu verteilen, Mobilität komplett anders zu organisieren. Nicht mit dem Auto im Zentrum, sondern mit der nachhaltigen Mobilität. Deshalb nehmen wir die IAA zum Anlass zum Protest und stehen lieber vor den Messehallen als drin.

MÜLLER: Wenn Sie neues Denken fordern, hätte ich schon die Erwartung, dass Sie nicht alte Bilder weitertransportieren, sondern offen sind für das Neue, das wir auf der IAA machen. Und damit sind wir immerhin so attraktiv, dass sich auf Anhieb 80 Firmen aus der Fahrradbranche angemeldet haben. Auch der ADFC ist herzlich eingeladen, weil wir uns genau mit dem befassen, was Sie fordern: die Mobilität transformieren. 150 Milliarden Euro gehen in den nächsten Jahren in neue Antriebe und Digitalisierung und damit in das Bemühen um Klimaneutralität.

PETERS: Ihr Dialogangebot – so verstehe ich es mal – kommt heute zum ersten Mal und damit jetzt auch sehr kurzfristig. Wir sind sehr für Dialog, aber am besten nicht auf einer Messe, sondern dort, wo die Menschen leben und sich fortbewegen, damit alle mitreden können.

MÜLLER: Also, wir halten fest: Der Dialog der Verbände ist wichtig. Womöglich ging das jetzt auch corona-bedingt etwas schleppend. Und auch sonst gebe ich Ihnen Recht: Die Diskussionen über Mobilität müssen auf die Straßen und Plätze – in den Städten wie in den ländlichen Regionen, mit den Bürgerinnen und Bürgern. Über vieles werden wir uns dann sicher schnell einig sein, etwa mit der Kritik am Rückbau von Bahnstrecken in den vergangenen 30 Jahren, den oft unzureichenden ÖPNV, oder mit der Klage über die nach wie vor völlig unzureichende Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge. Ich bin jedenfalls gern dabei, über Land zu ziehen und die jeweils passenden Mobilitätskonzepte zu diskutieren.

Das Stichwort „Land“ nennen Sie bereits zum zweiten Mal – vermutlich mit Bedacht. In einer Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben die Leser gerade aus dem ländlichen Raum sehr deutlich gemacht, dass sie für die Verkehrswende sind, aber ohne das Auto nicht auskommen.

PETERS: Tatsächlich stimme ich Ihnen, Frau Müller, mit Ihrer Kritik an der groben Vernachlässigung des ÖPNV zu. Das Angebot gehört zwingend ausgebaut – in den Städten wie auf dem Land. Leben im ländlichen Raum ohne ÖPNV funktioniert einfach nicht. Dort hat der Ausbau oberste Priorität. Schade nur, dass nichts passiert, trotz großer Einigkeit im Befund. Und, Frau Müller, man darf ja beim Hinweis auf den „ländlichen Raum“ nicht so tun, als wären die Wege dort immer gleich 30, 40 Kilometer lang, so dass man ohne das Auto verloren wäre. Viele kürzere Distanzen ließen sich auch ohne das Auto bewältigen, wenn es die Alternativen gäbe.

Welche Alternativen?

PETERS: Ich denke auch an Radpendler-Routen, Schnellverbindungen zwischen den verschiedenen Räumen, intelligente Vernetzungen der Verkehrsmittel, bei denen das Auto sicher auch eine Rolle spielt, aber halt nicht mehr als „das“ Allzwecktransportmittel.

Zur Person

Rebecca Peters, geboren 1996, ist Vize-Vorsitzende des ADFC. Seit 2018 gehört sie dem Bundesvorstand an mit Zuständigkeit für die Verkehrspolitik. Peters studiert Stadtentwicklung im Masterstudiengang an der Universität Bonn mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Mobilität. Der ADFC ist mit mehr als 200 000 Mitgliedern die nach eigenen Angaben größte Interessenvertretung der Radfahrenden in Deutschland.

Woran liegt es, dass das nicht im geforderten Maße vorangeht?

MÜLLER: Nichts gegen den Ausbau von Radschnellwegen, aber der Schlüssel ist der ÖPNV. Und da haben wir es mit einer komplexen Aufgabe zu tun. Seien wir doch mal ehrlich, Frau Peters: Die Integration der Systeme klappt ja schon in einer Region wie dem Ruhrgebiet nicht. Wer da mit dem ÖPNV von einer Stadt in die andere will, wird oft auf einen anstrengenden Umsteige-Trip geschickt. Das hält die Menschen ab, die doch die Komplexität ihres Lebens reduzieren wollen. Wir haben eine Allensbach-Umfrage gemacht, die genau das zeigt, was Sie gesagt haben, Herr Frank: Die Menschen sind offen für neue Mobilitätskonzepte, aber die Lebensrealität lässt sie leider oft nicht zu. Man sollte sich deshalb keine Illusionen machen, sondern die Mühen der Transformation ernst nehmen.

PETERS: Schlüsselfunktion des ÖPNV, komplexe Aufgabe – beides richtig. Schon wegen des Wetters, das zum Problem werden kann, wenn man ohne Auto unterwegs sein will. Bei strömendem Regen oder Frost macht Radfahren keinen sonderlichen Spaß. Das kann ich auch von mir persönlich sagen. Umso wichtiger sind die Verknüpfungen: Mit dem Pkw zur Bahn, dann hinein in die Stadt…

MÜLLER: Oder Kleinbusse, die auf Anforderung fahren, in absehbarer Zukunft vielleicht schon autonom.

Weniger Autos, mehr Busse und Bahnen – erinnert das aus Sicht der Autoindustrie nicht an die Variation eines bekannten Buchtitels: Das Auto schafft sich ab?

MÜLLER: Nein, wir glauben, dass das Auto auch in Zukunft eine wichtige Rolle für die Menschen spielen wird.

Ist das womöglich eine Generationen-Frage? Der Führerschein ist für junge Menschen heute – anders als früher – nicht mehr „das“ Dokument des Erwachsenseins. Und das eigene Auto vor der Tür nicht mehr der Beweis für Selbstständigkeit.

MÜLLER: Das ist ein Mythos, mit dem ich gern aufräumen möchte. Die Wahrheit ist, dass der Stadt-Land-Unterschied auch eklatanten Einfluss darauf hat, ob man mit 17 oder 18 den Führerschein macht. In den Großstädten ist der Anteil in der Tat deutlich niedriger. Aber auch das ändert sich oft mit der Familiengründung, wenn Mütter und Väter feststellen, dass die Fortbewegung mit dem Kinderwagen, aber ohne ein Auto doch sehr mühsam ist. Man kann da beim Führerschein-Erwerb eine Zeitverschiebung feststellen. Junge Leute wollen eben unterschiedlich unterwegs sein. „Die Jugend“ gib es nicht.

PETERS: Deswegen maße ich mir auch nicht an, für „die junge Generation“ zu sprechen. Ich kenne so viele Gleichaltrige, die ganz anders unterwegs sind als ich. Aber Trends gibt es trotzdem. Die Klimabewegung zum Beispiel ist schon eine Angelegenheit eher der Jüngeren.

Radfahrer Friesenplatz BAUSE

Radfahrer, Autos und Fußgänger an der Kreuzung Friesenplatz

Sehen Sie denn noch eine junge Faszination fürs Auto?

MÜLLER: Und ob! Es gibt nach wie für junge Menschen, die total Spaß am Fahren haben – unabhängig ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnen. Auch Frauen, um gleich noch ein anderes Klischee abzuräumen, entscheiden beim Autokauf keineswegs nur nach praktischen Erwägungen, sondern aus Freude am Fahren. Das ist doch das Tolle, dass die Gesellschaft bunt und vielfältig ist. Viele brauchen das Auto, andere wollen nicht darauf verzichten – und wir treiben Innovationen voran, dass das dann so klimaschonend wie möglich geschieht. Pilotprojekte für autonomes Fahren oder Shuttle-Systeme kommen aus der Autoindustrie. Unsere Hersteller engagieren sich bei Car-Sharing-Angeboten, die mindestens in den Großstädten mit Sicherheit Zukunft haben, auch wenn Corona zeitweilig für drastische Einbrüche gesorgt hat.

Stadtplaner modellieren Städte der Zukunft, in denen die Straßen nicht mehr verstopft, die Wohngebiete nicht mehr mit Autos zugeparkt sind. Ist das die komplette Utopie?

PETERS: Schön wär’s auf jeden Fall. Sie müssen ja sehen, dass das große Problem in den Städten tatsächlich weniger die fahrenden Autos sind, sondern die stehenden. Der Verkehrskollaps ist ein Parkkollaps. Wir würden unglaublich viel Raum zurückgewinnen, wenn weniger Autos 23 Stunden am Tag herumstünden: mehr begrünte Flächen, breitere Geh- und Radwege, mehr Stellplätze für Räder. Dazu können Sharing-Angebote natürlich massiv beitragen, wenn nicht viele Anbieter unkoordiniert noch einmal zusätzliche Autoflotten an die Straßenränder stellen, wo sie dann wieder ungenutzt herumstehen.

Also weniger Konkurrenz der Systeme?

MÜLLER: Ein Stück Markt fände ich dann schon auch noch ganz schön. Das Problem der Sharing-Idee sind die Ballungszyklen. Es gibt Stoßzeiten: morgens zur Arbeit, abends zurück - und in der Zwischenzeit kommen Sie dann eben auf Ihre 23 Stunden Standzeit… Oder es gibt Schlechtwetterlagen, die alle treffen und wo dann doch viele trocken im Auto sitzen wollen. Damit müssen wir umgehen lernen. Ich bin ja bei Ihnen, Frau Peters, wenn Sie sagen, in den Städten muss sich der Verkehr dramatisch verändern. Aber ich bin erstens dafür, die verschiedenen Lebensentwürfe der Menschen zu respektieren. Und zweitens wird sich erst etwas ändern, wenn sie passende Angebote haben. Ein Land, das sich die engagiertesten Klimaschutzziele steckt, sollte dann auch die besten Standortbedingungen bieten. Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren gehören da sicher ganz oben auf die To-do-Liste.

PETERS: Nur wissen wir aus unseren Umfragen, dass Pläne und Konzepte überwiegend an denen orientiert und mit denen besprochen werden, die mit dem Auto unterwegs sind. Wenn sich die Ansprüche an Mobilität aber immer stärker individualisieren und diversifizieren, müssen alle mitbedacht und angehört werden. Dann wird am Ende kein Weg daran vorbeiführen, Flächen neu zu verteilen.

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Dabei ist kaum ein Thema so konfliktbehaftet wie dieses. Flächen anders verteilen, heißt ja zum Beispiel, auf mehrspurigen Straßen eine Spur für den ÖPNV oder für Räder zu reservieren.

PETERS: Viele dieser Konflikte sind die Folge vergangener Fehlentwicklungen. Als Radfahrerin bin ich in einer Stadt wie Köln einfach permanent im Nachteil. Die Wege sind viel zu eng, oft schlecht asphaltiert, die Autos kommen dem Radverkehr viel zu nah. Das macht Radfahren riskant und anstrengend. Und das sage ich als routinierte Radfahrerin. Was sollen erst die sagen, die vielleicht gern umsteigen würden, aber genau diese Probleme sehen? Das beharrliche Festhalten am Auto und die Verteidigung der Claims haben die gleiche Ursache: Man kennt es so, man ist es so gewöhnt, die Alternativen sind unattraktiv. Daran etwas zu ändern, bringt natürlich Konflikte mit sich. Aber die stecken im System.

Wie kann Veränderung gelingen?

PETERS: Ausprobieren! Testphasen einführen, um zu zeigen, wie es funktioniert. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass sich in den Köpfen dann etwas bewegt, wenn Menschen sehen und selbst erleben, wie es anders geht und dass es anders geht. Dann merken auch Autofahrer: Nicht sie „verlieren“ eine Autospur, sondern alle gemeinsam gewinnen Platz: für Grünflächen, zum Radfahren, für Fußgänger. Alle gewinnen Sicherheit, Lebensqualität, Entspannung, Stressfreiheit.

MÜLLER: Wenn Bürgerinnen und Bürger in solche Experimentierphasen nicht einbezogen sind, dann scheitert das.

Für Frau Peters‘ These sprechen die leuchtenden Augen aller, die mal in Kopenhagen waren und von der Verkehrswende dort erzählen. Waren Sie auch schon da, Frau Müller?

MÜLLER: In Kopenhagen nicht, aber in anderen Städten, die die Zukunft der Mobilität diskutieren. Kopenhagen ist allerdings auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Dinge Zeit brauchen. Seit den 1970er sprach man dort von der Verkehrswende. Das dümpelte dann lange vor sich hin. Richtig Drive reingekommen ist erst in den vergangenen Jahren, und zwar durch Bürgerbeteiligung und durch Angebote.

PETERS: Nur haben wir gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise nicht mehr so sehr viel Zeit.

Müssen Verbote oder strengere Vorschriften das Tempo beschleunigen?

MÜLLER: Umso intensiver ist es nötig, alte Feindbilder abzubauen. Transformationen scheitern, wenn man sie über Verbote erzwingen will. Menschen neigen nämlich dazu, Verbote zu umgehen. Wir müssen deshalb mit Angeboten und Überzeugung arbeiten. Und ich verstehe die Menschen, die fragen: Was habt ihr mir denn an Mobilitätskonzepten zu bieten? Die Einpendler zum Beispiel, die aufs Land ziehen, weil sie mit ihren Familien die Miete in den Städten nicht bezahlen können.

PETERS: Verbote ohne Anreize funktionieren nicht. Das sehe ich wie Sie, Frau Müller. Aber es braucht den politischen Push. In Paris hat es Bürgermeisterin Anne Hidalgo in wenigen Jahren geschafft, den Verkehr in der Stadt grundlegend zu verändern. Mit einem autofreien Seine-Ufer, Hunderten Kilometern neuer Radwege, vielen wegfallenden Parkplätzen und jetzt sogar Tempo 30 fast überall in der Stadt. An vielen Stellen müssten schon bestehende Verbote einfach konsequenter durchgesetzt, Verstöße sanktioniert werden. Bestes Beispiel: Park- und Halteverbote, die einfach nicht beachtet werden, was Fußgänger und Radfahrer behindert und gefährdet. „Ja, aber die Parkplatznot“, heißt es dann oft.

Experten sagen, dass die Klimaziele im Verkehrsbereich nicht allein durch E-Mobilität erreicht werden können, sondern nur durch drastische Reduzierung der Kfz-Flotten.

MÜLLER: Klimaneutralität bis 2050 – das ist die Vorgabe der EU. Dazu bekennen wir uns. Ich bin überzeugt, dass uns die Dekarbonisierung im Automobil-Sektor gelingt. Damit fällt aber die Rechtfertigung von Verboten weg. Klimaneutrale Motoren sind im Übrigen nur ein Glied in der Kette der CO2-Einsparungen. Lieferwege, Rohstoffgewinnung, Recycling und vieles mehr gehört auch dazu – wir arbeiten daran. Nicht zu vergessen die Stromproduktion für die Elektro-Autos.

Deren Absatz boomt seit einem Jahr. Da hat auch der Staat nachgeholfen.

MÜLLER: Die massive Förderpolitik zeigt jetzt Wirkung, das ist richtig. Bürger müssen motiviert werden, und finanzielle Anreize sind ein wichtiger Hebel. Inzwischen sind eine Million E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs. Da entstehen dann auch Sog-Effekte. Ich habe selbst einen Hybriden. Wann immer ich den lade, sprechen mich Leute an: „Ach, wie sind denn Ihre Erfahrungen?“ Und apropos laden: Entscheidend für den Erfolg der E-Autos ist auch die Förderung beim Ausbau der Ladestationen. Manchmal treffe ich Bürgermeister, die kennen die staatlichen Programme gar nicht.

PETERS: Nur ist es eben nicht die Lösung, dass auf deutschen Straßen perspektivisch dieselbe Zahl an Autos unterwegs ist, halt nur elektrobetrieben. Fürs Klima ist das besser, aber das Flächenproblem bleibt, und da ist jedes Auto – egal mit welchem Motor – eben wahnsinnig ineffizient.

MÜLLER: So ein Lastenrad hat auch keinen ganz geringen Platzbedarf, wenn ich das mal sagen darf. Wir brauchen intelligente Lösungen in den Städten für die Verteilung der Räume.

PETERS: Es braucht mehr Raum als ein normales Fahrrad, ja. Aber mit einem SUV, wie sie jetzt auf der IAA wieder ausgestellt werden, wollen Sie das sicher nicht vergleichen.

Hat die jüngste Debatte über den Grünen-Vorschlag einer staatlichen Förderung für Lastenräder überrascht?

MÜLLER: Da war viel künstliche Aufregung im Spiel, Wahlkampfgetöse und die typische Überhitzung in Social-Media-Debatten.

PETERS: Den Aufschrei habe ich jedenfalls nicht verstanden. Denn eigentlich ist die Idee super. Das Lastenrad ist eine sinnvolle Transport-Alternative, nicht nur für den vielzitierten Handwerker in der Stadt, sondern auch für Familien. Und auch hier sind Sharing-Modelle eine clevere Idee: Wenn ich mal so ein Rad brauche, dann kann ich mir eines mieten.

Dass SUVs Ihnen missfallen, ist deutlich. Aber deren Anteil bei den Neuzulassungen wächst und liegt bei fast einem Viertel. Es gibt also die Nachfrage, und die Hersteller befriedigen Sie. Wollen Sie ihnen das verdenken?

PETERS: Die Industrie müsste eben andere Angebote machen als sehr viel Lifestyle-Blech mit sehr wenig Nutzen, für die es immer mehr Parkfläche braucht. Studien zeigen, dass die Autos insgesamt größer und größer werden, auch schon innerhalb einer Modellreihe. Vergleichen Sie mal den ersten Mini von 1959 mit den „MINI“-Modellen von BMW 2021. Im Grunde ist da schon der Name ein Witz.

MÜLLER: Mir fallen aber auch andere Effizienz-Sünden ein. Intelligentes Parkraum-Management oder Quartiersgaragen etwa würden die Situation in so manchem Stadtteil erleichtern, wo die Bewohner unter Parkplatznot leiden. Die Anschaffung eines SUV hat viel mit Komfort und Sicherheit zu tun. Das sind Bedürfnisse, die man ernst nehmen muss. Aber ich kann Sie beruhigen: Auch der Trend zu Kleinautos ist ungebrochen. Unter den 150 Elektro-Modellen, die gerade neu auf den Markt kommen, sind viele kleine Stadt-Autos. Damit kann jeder Kunde, jede Kundin das Angebot wählen, das am besten zu den jeweiligen Bedürfnissen passt. Und ich finde, das muss man in einer Marktwirtschaft auch akzeptieren.

PETERS: Das Lob der staatlichen Anreize für den Kauf von E-Autos kam doch vorhin von Ihnen. Was mich im vorigen Jahr aber noch sehr viel mehr begeistert hat als der E-Auto-Boom, war der Boom im Radverkehr. Bis heute sind die Läden leergekauft. Mir wurde 2020 mein Rad geklaut, und ich hatte große Mühe, ein neues zu bekommen. Nicht weil ich sonderlich wählerisch gewesen wäre. Es gab einfach keines. Die Menschen haben in der Pandemie das Fahrrad neu oder wieder entdeckt. Das wäre die Chance gewesen, den Trend mit kräftigen Investitionen in die Rad-Infrastruktur zu verstärken. Weltweit haben Städte es hingekriegt. Nur in Deutschland haben wir das Momentum verpasst. Da gab’s nur wieder den nächsten Fördergipfel für die Autoindustrie.

MÜLLER: Das ist jetzt doch sehr verkürzt. Die Bundesregierung hat ja in vielen Bereichen Corona-Hilfen gezahlt.

Auch hier sind wir wieder in einer Diskussion „Auto versus Fahrrad“. Wie erklären Sie sich diese Erzfeindschaft, die Aggressionen freisetzt wie sonst kaum ein Thema?

PETERS: Unbestreitbar steht die Gefahr, die von einem Auto und seinem Fahrer durch Masse und Geschwindigkeit ausgeht, in keinem Verhältnis zu einem Menschen, der ungeschützt auf seinem Rad sitzt. Das ist ein strukturelles Ungleichgewicht, das wir nur auflösen können, indem wir flächendeckend vom Autoverkehr getrennte Radwege einführen, auf denen die Menschen sicher und ohne Angst radeln können.

MÜLLER: Um mal eines festzuhalten: Gewalt geht nicht vom Auto aus. Auf Fahrrädern sind auch nicht nur Heilige unterwegs. Wir haben doch alle Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung gelernt: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“

PETERS: Den Schwarzen Peter können wir jetzt stundenlang hin und her schieben.

MÜLLER: Ich empfehle den gedanklichen Rollentausch und keine einseitigen Schuldzuweisungen. Rheinländer, die wir beide sind, sind doch eigentlich für so was prädestiniert. Sie sind ja in dieses Gespräch mit der These gegangen, mit dem VDA sei eine Verkehrswende nicht zu machen. Ich bin da ganz andere Meinung. Wir sollten uns nach der IAA zusammensetzen. Und vielleicht – sorry, Herr Frank – einfach auch mal ohne Öffentlichkeit und es steht das Angebot den Dialog zur Mobilität gemeinsam mit den Menschen zu diskutieren.

PETERS: Gute Idee! Es bringt ja nichts, nur mit denen zu reden, die sowieso derselben Meinung sind. Wir müssen raus aus den Blasen. Aber lassen Sie es uns dann ruhig auch öffentlich tun, damit die Diskurse publik werden und man auch sehen kann, dass wir im Austausch sind und gemeinsam nach Wegen suchen.