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Analyse nach WahlWie FDP und Grüne bei den Jungwählern so punkten konnten

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Lindner Baerbock Habeck

Grünes Duo und FDP-Chef: Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner

Köln – Wenn es nach den Erstwählern ginge, könnten Grüne und FDP sich das weitere Verhandeln mit Olaf Scholz und der SPD gleich schenken. Für beide allein würde es mit je 23 Prozent der Stimmen zu einer Mehrheit reichen – ein Zitrusbündnis als neue große Koalition. Die (ehemaligen) Volksparteien SPD und CDU/CSU kamen bei den Wählern zwischen 18 und 21 auf 15 beziehungsweise zehn Prozent, gefolgt von Linkspartei (acht) und AfD (6).

neu-Heatmap-FDP-Gruene

Der Meinungsforscher Manfred Güllner (Forsa-Institut) bezweifelt zwar, dass diese von infratest dimap gelieferten Zahlen das tatsächliche Wahlverhalten der jüngsten Gruppe von Stimmberechtigten abbilden. Er will die finale Auswertung abwarten.

In diese gehen dann auch die Briefwähler ein, deren Anteil bei den Grünen-Anhängern besonders hoch ist. Dementsprechend erwartet Güllner, dass die Grünen am Ende bei den Jung-Wählern doch auf Platz 1 liegen werden – dort, wo viele sie „gefühlt“ ohnehin vermutet hätten.

Christian Lindner hat es geahnt

FDP-Chef Christian Lindner gehört zu der Minderheit, die das starke Abschneiden seiner Partei nicht überrascht hat. Schon vor der Wahl verwies er auf gute Werte in der Europawahl 2019 oder in den zurückliegenden Landtagswahlen sowie die große Zustimmung junger Menschen zu dem von Lindners Partei propagierten zentralen Wert der Freiheit.

Hinzu kommt, dass beide von den Jungwählern bevorzugte Parteien aus der Opposition kommen. Sie können mit dem Appeal der Alternative bei denen punkten, die nicht zur selbst ernannten Alternativpartei nach Rechtsaußen oder nach ganz Links abdriften wollen.

Junge Liberale als Verhandler

Hätte nun nicht Lindner und die FDP-Führung, sondern die Jungen Liberalen die weiteren Gespräche zu einer Regierungsbildung zu führen, kämen die nach Ansicht des Münsteraner Politologen Norbert Kersting mit den Grünen womöglich sogar leichter überein als die Parteigranden, die für die gesamte Anhängerschaft sprechen und das Parteiprogramm in Reinform vertreten müssen.

Mit dem von Kerstings Institut für Politikwissenschaften entwickelten „Wahl-Kompass“ (hier geht es zu dem Tool), einer Alternative zum bekannten „Wahl-O-Maten“ (den Vergleich finden Sie hier), konnten Kersting und sein Team die Haltung zu bestimmten politischen Themen altersspezifisch erfassen und so ein differenziertes Stimmungsbild für die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen ermitteln.

Partei extremer als ihre jungen Wähler

„Junge FDP-Wähler sind im Vergleich zur Partei und ihrer Programmatik weniger extrem“, sagt Kersting im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Bei ihnen gebe es eher eine „Tendenz zur Mitte“ mit Überschneidungen zu „moderaten grünen Positionen“.

Gemeinsam ist beiden Gruppen insbesondere der Wunsch nach gesellschaftlicher Modernisierung. Das zur Zeit wieder einmal heftig diskutierte „Reizthema“ Cannabis mache das exemplarisch deutlich, erläutert Kersting: Für eine Legalisierung der weichen Droge sprechen sich 84 Prozent der jungen Grünen-Wähler und 77 Prozent der jungen FDP-Wähler aus. Dagegen sind nur sieben beziehungsweise zehn Prozent.

Gemeinsam für mehr BAföG

Und dass der Staat Studierende finanziell stärker fördern sollte, sehen beide Wählergruppen – wenig überraschend – ebenfalls sehr ähnlich.

Es gebe aber auch, so Kersting, „toxische Themen“, bei denen die jungen Wähler von Grünen und FDP schier unvereinbar weit auseinander liegen. Trägt man ihre Grundüberzeugungen auf einer sogenannten Heatmap ein, dann tummeln sich junge Grünen-Wähler in einem „progressiv-ökologischen“ Feld und setzen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik auf die lenkende Hand des Staates. Junge FDP-Wähler dagegen sind bevorzugt in einem „konservativ-traditionellen Feld“ angesiedelt und propagieren Eigenverantwortung und individuelle Freiheit als höchstes Gut.

Symbolfrage Tempolimit

An einer Symbolfrage wie dem generellen Tempolimit auf Autobahnen wird das besonders offensichtlich. 76 Prozent der jungen Grünen-Wähler befürworten einen solchen Eingriff des Staates, 81 Prozent der jungen FDP-Klientel sind dagegen. Der strahlende Begriff der Freiheit fokussiert auf die „freie Fahrt für freie Bürger“.

In dieser Frage, erklärt Kersting, sei der Pegelausschlag bei den jungen FDP-Wählern besonders heftig. Ältere Anhänger der Liberalen stünden einem Tempolimit aufgeschlossener gegenüber.

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Gefragt nach der Rolle des Staates, plädieren zwei Drittel der jungen FDP-Anhänger für eine größtmögliche Abstinenz im Bereich der Wirtschaft. Genau umgekehrt (69 Prozent) sehen es die jungen Grünen-Wähler. Nur 13 Prozent von ihnen sagen, der Staat solle sich so wenig wie möglich in die Wirtschaft einmischen. Für eine staatliche Umverteilung von den Reichen zu den Armen treten 74 Prozent der jungen Grünen-, aber nur 19 Prozent der jungen FDP-Wähler ein.

In der Sozial- und Wirtschaftspolitik sind mithin die ideologischen Gräben zwischen Gelb und Grün auch in der jungen Generation besonders tief. Vielleicht ist es dann doch ganz gut, wenn sich Olaf Scholz als Brückenbauer versucht.

Der „Wahl-Kompass“ wurde zur Bundestagswahl mehr als 450000-mal genutzt. Die „Sonntagsfrage“ zur Parteienpräferenz wurde von 55000 Nutzenden beantwortet.