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„Das hätte nicht geschehen dürfen“Merz schickt klares Signal an Kanzler Scholz und Wagenknecht

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Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, bei einem Interview in Berlin.

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, bei einem Interview in Berlin.

Merz gegen Moskau: Der CDU-Chef fordert grünes Licht für Kiew von Olaf Scholz. Damit schickt er nicht nur dem Kanzler eine Botschaft.

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich nach einem der verheerendsten russischen Angriffe auf die Ukraine seit Kriegsbeginn mit deutlichen Worten geäußert und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu mehr Unterstützung des angegriffenen Landes aufgefordert. Zuvor waren in der ukrainischen Stadt Poltawa mehr als 50 Menschen bei einem russischen Raketenangriff getötet worden. Auch mit Blick auf die russischen Angriffe in der letzten Zeit erklärte Merz: „Das sind ja keine normalen Kriegshandlungen. Das sind schwerste Kriegsverbrechen an der zivilen Bevölkerung der Ukraine.“

„Vielleicht wird jetzt auch dem einen oder anderen Kritiker klar, um was es sich hier handelt“, erklärte der CDU-Chef. Es handele sich nicht um einen Krieg „zwischen der Ukraine und Russland“, sondern um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen ein Volk, von dem „keinerlei Bedrohung“ ausgehe, betonte Merz. „Wir haben zu viel gezögert, wir haben zu spät geholfen“, fügte der Christdemokrat an.

Friedrich Merz kritisiert Ukraine-Kurs: „Zu viel gezögert, zu spät geholfen“

Jetzt sei man „in einer Situation, wo wir der Ukraine eigentlich noch mehr helfen müssten. Aber die Bereitschaft dazu, dies zu tun, scheint mir nicht ausgeprägt genug zu sein.“ Vom Kanzler erwarte er nun, dass er ein klares Wort auch an jene richte, die immer noch glaubten, dass man „mit Anbiederung und mit Diplomatie dieses Problem lösen kann“, führte Merz aus. „Dieses Problem wird erst dann gelöst, wenn Putin die Aussichtslosigkeit eines weiteren militärischen Vorgehens erkennen muss. Davon ist er weit entfernt.“

Schließlich äußerte sich Merz auch zu dem aktuellen Reizthema in den Reihen der internationalen Ukraine-Unterstützer. Während mittlerweile eine ganze Reihe von Nato-Staaten die Freigabe für den Einsatz weitreichender westlicher Waffen auch auf russischem Gebiet fordert, gibt es dafür trotz eindringlicher Bitten der Ukrainer aus Washington, London und auch aus Berlin bisher kein grünes Licht. Die andauernden russischen Raketenangriffe sind so für die Ukrainer nur schwer zu unterbinden.

„Russische Jets werden von uns besser geschützt als die Ukrainer“

„Russische Kampfjets werden von uns besser geschützt als die Menschen in der Ukraine“, hatte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis kürzlich scharfe Kritik an der Zurückhaltung mancher Partner Kiews geäußert. Nach jedem weiteren verheerenden russischen Angriff wird der Unmut lauter. Auch CDU-Chef Merz befeuert ihn nun.

„Wir haben der Ukraine, wie ich finde, unnötig Fesseln angelegt in den Möglichkeiten ihrer Verteidigung. Das hätte von Anfang an nicht geschehen dürfen“, erklärte Merz am Dienstagabend. Die Ukraine müsse sich „umfassend verteidigen können und sie muss auch in die Lage versetzt werden, die Nachschubwege der russischen Armee auf russischem Staatsgebiet anzugreifen“, stellte der CDU-Chef eine klare Forderung in den Raum. „Wenn sie das nicht tut, geht sie mit gebundenen Händen in diese Auseinandersetzung.“

Friedrich Merz fordert Freigabe für Angriffe auf Ziele in Russland

Es ist ein bemerkenswerter Vorstoß des Oppositionsführers. Nicht nur mit Blick auf die laufenden internationalen Debatten, sondern auch hinsichtlich der innenpolitischen Lage der CDU. Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen befasst sich die Partei gerade mit der Frage, ob eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Christdemokraten infrage kommt.

CDU-Chef Friedrich Merz (l.) und BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht (r.) zusammen im TV-Studio vor der Elefantenrunde nach der Europawahl.

CDU-Chef Friedrich Merz (l.) und BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht (r.) zusammen im TV-Studio vor der Elefantenrunde nach der Europawahl.

Gleichzeitig hat die Wagenknecht-Partei nach starken Wahlergebnissen selbstsicher verkündet, auch auf Landesebene Außenpolitik betreiben zu wollen. So beharrte Wagenknecht darauf, dass eine Regierung mit der Beteiligung ihrer Partei sich gegen die Stationierung von US-Raketen in Deutschland und weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen müsse. Merz’ jetzige Aussagen stehen dem gegenüber.

Merz’ Forderung widerspricht Wagenknechts Bedingungen

Dass der CDU-Chef die Freigabe für Schläge gegen Ziele auf russischem Gebiet fordert, dürfte beim BSW nicht gut aufgenommen werden. Die Lieferung derartiger Waffen hatte die von Politikwissenschaftlern und Historikern oftmals als russlandnah kritisierte Partei bisher stets als „Eskalation“ bezeichnet. Im Laufe der immer wieder aufflammenden Debatte um deutsche Taurus-Marschflugkörper hatte Wagenknecht gewarnt, eine Lieferung des Waffensystems sei „eine neue Eskalationsstufe“.

Ob eine Zusammenarbeit mit dem BSW auf Landesebene zustande kommen kann, scheint derzeit jedoch nicht nur wegen Merz’ jüngstem Vorstoß völlig offen zu sein. Zuletzt wächst der Widerstand innerhalb der CDU gegen eine Koalition mit dem BSW kontinuierlich. „Sahra Wagenknecht widerspricht allem, wofür die Unionsparteien seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland stehen: klare Westbindung, ein vereintes Europa und Mitgliedschaft in der Nato als dem größten Friedensprojekt der Geschichte“, sagte der nordrhein-westfälische Christdemokrat Frank Sarfeld dem „Tagesspiegel“.

„Wie die AfD wendet sich auch das BSW autoritären Systemen zu. Mit solchen Gruppierungen darf es keine Zusammenarbeit geben.“ Sarfeld spricht der Zeitung zufolge für eine Gruppe von rund 40 CDU-Mitgliedern, die vom nächsten Bundesparteitag einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW fordern. „Die CDU steuert auf einen Abgrund zu, wenn wir uns vor den Karren von Sahra Wagenknecht spannen lassen“, bekräftigte der Europapolitiker Dennis Radtke. (mit dpa)