Friedrich Merz zieht er eine klare Grenze zur AfD. Zur spannenden K-Frage gibt es eine bemerkenswerte Antwort.
CDU-Chef Merz im Gespräch„Die Zerstörung der CDU ist das Ziel der AfD“
Herr Merz, wir treffen Sie hier in Dresden, in der CDU ist die Nervosität wegen der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September groß. Bei welchem Ergebnis können Sie sagen: Ich bin zufrieden?
Friedrich Merz: Von Nervosität merke ich hier gar nichts, im Gegenteil: Die CDU ist konzentriert bei der Arbeit, um in Sachsen, Thüringen und in Brandenburg stärkste politische Kraft zu werden. Das können wir schaffen, ganz unaufgeregt.
Wie wahrscheinlich ist das? In Thüringen etwa steht die AfD laut Umfragen mit deutlichem Abstand vorn.
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Ich rechne nicht mit Wahrscheinlichkeiten, sondern mit der Mobilisierung unserer Wählerinnen und Wähler. Wir kämpfen um Platz eins. Unser Land steht vor großen Herausforderungen – und das in einer Zeit, in der viele Menschen sehr verunsichert sind. Es gibt vor allem großen Frust über die Ampel.
Die Ampelparteien spielen kaum noch eine Rolle in Sachsen und Thüringen. Ist die CDU das Bollwerk gegen die AfD?
Wir sagen den Menschen immer und immer wieder: Eine gesichert rechtsextreme Partei darf keinen Einfluss auf unser Land bekommen. Und auch wenn das vielleicht manche verwundern mag, da wir uns im Wahlkampf befinden: Ich habe keine Freude daran, dass in Deutschland etablierte politische Parteien, die sowohl unsere Konkurrenten als auch hier und da unsere Koalitionspartner sind, einen solchen Niedergang erleben. Das ist nicht schön.
Die CDU ist auch nicht klar vorne. Wie schmerzhaft ist das für die Volkspartei CDU?
Wir sind in Deutschland nun wirklich ganz klar vorn, stärker als alle drei Ampelparteien zusammen. Im Osten ist die AfD unser Hauptgegner, und das beschäftigt uns. Es hat Gründe, auch psychologische, warum die AfD so viel Zulauf bekommt. Die Lebensleistung der Menschen im Osten wird allzu oft nicht anerkannt. Zugleich haben die Menschen das Gefühl, nicht aufgeholt zu haben – bis hin zur Vermögensverteilung. Man muss tief in die Seelen, die Herzen und die Köpfe der Menschen hineinschauen, um zu verstehen, dass es Dinge gibt, mit denen die Menschen im Osten mehr hadern als im Westen. Die innere Einheit unseres Landes ist eben noch nicht wirklich vollendet.
Die CDU schließt ein Bündnis mit der Linken aus und würde mit dem BSW eine Koalition eingehen, das von der früheren Sprecherin der Kommunistischen Plattform in der Linken, Sahra Wagenknecht, gegründet wurde. Ist das nicht absurd?
Richtig, dass Sie im Konjunktiv sprechen. Was nach den Wahlen geschieht, ist offen und liegt zunächst in der Hand der Landesverbände. Frau Wagenknecht steht weder in Sachsen, noch in Thüringen, noch in Brandenburg zur Wahl. Ich will aber einmal deutlich sagen: Weder wird in Dresden über den Austritt aus der Nato entschieden noch in Erfurt über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen. Frau Wagenknecht tut so, als ob bei den Landtagswahlen über Krieg und Frieden entschieden wird. Das ist nicht nur grober Unfug, das ist schon fast der Versuch einer Wählertäuschung und eines Missbrauchs von Landtagswahlen, wenn das sogenannte BSW den Eindruck erweckt, als ob man auf der landespolitischen Ebene über solche Fragen abstimmen könnte.
Aber Sachsens Ministerpräsident, Ihr Parteikollege Michael Kretschmer, macht auch Wahlkampf mit einigermaßen schlichten Forderungen nach mehr Friedensbemühungen und weniger Waffenlieferungen für die von Russland überfallene Ukraine.
Ich respektiere seine Meinung, aber ich teile sie nicht. Die CDU ist die letzte verbliebene Volkspartei, wir halten ein breites Meinungsspektrum aus.
Hält die Partei es aus, dass ihr Sozialflügel warnt, eine Zusammenarbeit mit dem BSW wäre „toxisch“ für die CDU?
Ich rate uns allen aus der westdeutschen Komfortzone, sich mit öffentlichen Ratschlägen zurückzuhalten. Den Landesverbänden, die unter schwierigsten Bedingungen Wahlkampf führen, hilft das sicher nicht.
Laut einer Forsa-Umfrage ist fast die Hälfte der CDU-Mitglieder offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Sie sagten einmal, dass jeder, der die Hand hebe für die Zusammenarbeit mit der AfD, ein Ausschlussverfahren bekommen. Das konnte bislang nicht durchgesetzt werden …
… doch! Es gibt in den Landtagen, im Bundestag und im Europaparlament keine Zusammenarbeit mit der AfD.
Im Dresdner Stadtrat hat die CDU einem AfD-Antrag zur Einführung der Bezahlkarte zugestimmt. Die CDU-Politiker sind nicht aus der Partei ausgeschlossen worden.
Die Vorsitzende der Fraktion hat das im Stadtrat korrigiert, öffentlich bedauert und gesagt, dass sich das nicht wiederholen werde.
Ist es ein großes Problem, in das die CDU laufen könnte, wenn so viele Mitglieder eine Zusammenarbeit befürworten?
Es gibt einen kleinen Teil unserer Mitglieder, die der Meinung sind, wir sollten mit der AfD zusammenarbeiten, aber die klare Mehrheit ist dagegen. Wir werden also weiter erklären müssen, dass es bei uns Grenzen dessen gibt, was wir konservativ nennen. Diese Grenzen sind überschritten, wenn es rechtsextrem, rechtsradikal, antidemokratisch, antisemitisch und ausländerfeindlich wird. Unser Innenminister in Brandenburg, Michael Stübgen, hat einmal einen treffenden Satz gesagt, als es noch den rechtsextremen „Flügel“ in der AfD gab: „Der Flügel ist mittlerweile der ganze Vogel.“ Und mit diesem Vogel gibt es für die CDU keine Gemeinsamkeiten. Wir können mit dieser Partei nicht zusammenarbeiten. Das würde die CDU umbringen. Die Zerstörung der CDU ist ja auch das Ziel der AfD. Wir dürfen denen, die uns politisch beseitigen wollen, nicht noch die Hand reichen.
Warum gehen die von der Ampel enttäuschten Menschen nicht zur CDU?
Zunächst stehen wir heute rund 12 Prozentpunkte besser da als noch vor zweieinhalb Jahren. Aber es werden uns, insbesondere im Osten, immer noch Versäumnisse der Vergangenheit angelastet. Das Migrationsthema zum Beispiel gehört dazu. Mir sagen viele Leute: „Ihr wart das doch 2015 und danach!“ Und ich antworte: Ja, das stimmt. Aber wir haben unseren Kurs grundlegend korrigiert. Außerdem gibt es in einigen Ländern Koalitionen mit den Grünen, und die werden zunehmend zum Hassobjekt der politischen Diskussion in Deutschland. Und diese Stimmung überträgt sich zum Teil auch auf uns.
Zu Recht?
Die Grünen haben sich mit ihrer moralisierenden Attitüde und ihrem obrigkeitsstaatlichen Politikverständnis bei weiten Teilen der Bevölkerung in Misskredit gebracht. Ich kann verstehen, dass die Menschen aufgebracht sind und diese permanente Bevormundung in ihrem Alltag einfach nicht wollen. Ich teile dieses Gefühl. Aber mich erschreckt die Intensität dieser Antistimmung. Da kommt eine zunehmende, auch durch die sozialen Medien massiv beförderte Radikalisierung der politischen Sprache zum Ausdruck, die das Klima im Land vergiftet. Und das ist inakzeptabel.
Haben Sie es als Bewerbung von Grünen-Chef Omid Nouripour empfunden, als er sagte, die Ampel sei eine Übergangskoalition? Ist Schwarz-Grün eine Option?
Dass Omid Nouripour ein Jahr vor der Bundestagswahl die eigene Regierung faktisch für beendet erklärt, das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass die Ampel halten wird, weil keine der drei Parteien außerhalb der Koalition eine bessere Option hat. Was nach der nächsten Bundestagswahl geschieht, das ist heute noch völlig offen.
Sie haben das Potenzial der Union bei 35 Prozent und mehr beziffert. Wie kommt die Partei dahin – und was soll im geplanten Zehn-Punkte-Programm für den Wahlkampf 2025 stehen?
Aus heutiger Sicht sind die Themen Wirtschaftspolitik und Migration die wichtigsten Themen für uns. Die Umfrageinstitute sagen uns, dass wir bei den Erststimmen gegenwärtig bei rund 38 bis 39 Prozent liegen, bei den Zweitstimmen gut fünf Punkte dahinter. Ich gehe davon aus, dass die Union noch einen Schub bekommt, sobald wir über die Kanzlerkandidatur entschieden haben.
Nach der Brandenburg-Wahl am 21. September wollen Sie mit CSU-Chef Markus Söder einen Vorschlag für die Kanzlerkandidatur der Union machen. Aus Bayern heißt es von führenden Politikern: „Markus Söder kann Kanzler.“ Beginnen die Sticheleien aus dem Süden?
Im Gegenteil. Wir können doch froh sein, dass wir mindestens zwei potenzielle Kanzlerkandidaten haben.
Neben Ihnen gibt es noch einen dritten: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Laut einer Forsa-Umfrage messen mehr CDU-Mitglieder Wüst als Ihnen die besten Chancen zu.
Schaut man auf die Beliebtheitsrankings, dann sind fast alle dort genannten Politiker in Regierungsämtern. Wir haben traditionell in Deutschland eine gewisse Fokussierung auf die Exekutive. In Amerika spielen einzelne Abgeordnete auch in den Umfragen eine viel größere Rolle.
Apropos USA: Haben Sie mal darüber nachgedacht, Wüst den Vortritt zu lassen und dann als Parteichef, quasi als Regisseur, den Wahlkampf gemeinsam mit ihm vorzubereiten? So wie Joe Biden nun Kamala Harris ins Rennen geschickt hat?
Ich habe in den vergangenen Monaten viele Szenarien gedanklich durchgespielt. Aber wir sind nicht in Amerika. Bei uns wird nicht der Bundeskanzler direkt gewählt, sondern Parteien werden gewählt. Und in der Union gibt es nicht eine Partei, sondern zwei – und die sind immer dann erfolgreich, wenn sie sich einig sind, auch und gerade in dieser wichtigen Personalfrage.
Dann müssen Sie oder Wüst es machen. Markus Söder gilt seit seinem Störfeuer gegen den Kanzlerkandidaten der Union, den damaligen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, als nicht mehrheitsfähig bei den Christdemokraten.
Und wenn mich jemand von einem bayerischen Medium dazu fragen würde, würde er vermutlich sagen, Hendrik Wüst sei in Bayern nicht mehrheitsfähig. Gehen Sie davon aus, dass wir eine kluge gemeinsame Entscheidung treffen.
Was wird Ihre Devise für den Bundestagswahlkampf sein?
Wir brauchen einfach wieder mehr Wertschätzung, für unser Land, für die Arbeit der Menschen, für unsere Demokratie. Unser Leben hier ist nicht so schlecht, wie viele behaupten. An einige grundlegende Herausforderungen müssen wir herangehen. Aber wir wollen vor allem eine neue Zuversicht auslösen, dass es sich lohnt, für unseren Staat und unser wirklich schönes Land zu arbeiten.