Herr Wüst, am Freitag bringen Sie im Landtag den Entwurf für ein NRW-Fahrradgesetz ein. Es erfüllt nahezu alle Forderungen der „Volksinitiative Aufbruch Fahrrad“, die mit knapp 207.000 Stimmen für den Ausbau der Rad-Mobilität Ende Juni 2018 ja auch mächtig Druck gemacht hat. Hätte es das Gesetz ohne diese Initiative jemals gegeben?Wüst: Unsere Fahrradpolitik war immer ambitioniert. Dass man ihre Ziele aber in ein eigenständiges Gesetz packt und sie damit zu einer Pflichtaufgabe macht, ist das Verdienst der Volksinitiative, die ich sehr schätze.
Plötzlich setzen sich, von der AfD mal abgesehen, alle NRW-Politiker für die Gleichberechtigung des Fahrrads ein. War der Druck der Volksinitiative so groß?
Die Initiatoren haben das einfach klug gemacht. Es ist eine Initiative für das Fahrrad, nicht gegen andere Verkehrsmittel. Deswegen habe ich in der CDU-Fraktion und der Koalition dafür geworben, dass wir die Volksinitiative als Chance sehen. Es wird bundesweit das erste Fahrradgesetz sein, sieht man einmal von Berlin ab. Aber einen Stadtstaat kann man nicht mit einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen vergleichen. Vieles, was die Berliner in ihrem Gesetz geregelt haben, liegt bei uns in der Hand der Kommunen.
Rad- und Fußverkehr sollen besser und sicherer werden. Zudem wird im Gesetz festgeschrieben, dass der Rad- und Fußverkehr jedes Jahr verlässlich und dauerhaft vom Land mit Geld gefördert werden muss. Der Landtag als Haushaltsgesetzgeber entscheidet zwar jährlich über den Etat, doch mit der gesetzlichen Pflicht wird die Radverkehrsförderung zur Priorität. Ganz wichtig: Radverkehr soll nicht an den Grenzen von Gemeinden, Städten und Kreisen enden. Mit dem Gesetz ist der Anspruch verankert, Radverkehrsinfrastruktur konsequent im Netz und als Netz zu denken und umzusetzen.
Die Volksinitiative hat gefordert, den Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr für das Jahr 2025 im Gesetz mit 25 Prozent festzuschreiben. Derzeit liegt er bei acht Prozent. Warum konnte sie sich damit nicht durchsetzen?
Mir ist es lieber, die Kommunen zu unterstützen, denn der Radwegebau liegt ja zum größten Teil in der Hoheit der Städte und Gemeinden. Wir fördern lieber, als einfach nur Fristen zu setzen, die die Kommunen dann einhalten müssen. Wir haben doch alle das gleiche Problem: Die Planungen sind kompliziert, und die Planer wachsen nicht auf den Bäumen. Ich will Städte und Gemeinden als Partner haben, denn ich will neue und bessere Radwege.
Sind 25 Prozent Fahrradanteil in knapp fünf Jahren überhaupt realistisch?
Ja. Gerne auch schneller, als die Volksinitiative es will. Übrigens: Selbst die Grünen fordern derzeit nicht, 25 Prozent Radverkehrsanteil am Modal Split der Wege im Jahr 2025 zu erreichen. Im Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg mit einem grünen Ministerpräsidenten redet man von 20 Prozent bis 2030. Bei mir im Münsterland kommen wir in Bocholt schon jetzt auf 38, in Coesfeld auf 32 und in Borken auf 30 Prozent. Das liegt natürlich daran, weil die Infrastruktur über Jahre gewachsen und die Topographie für Radfahrer sehr einladend ist. Aber durch E-Bikes und Pedelecs sind 25 Prozent überall im Land erreichbar.
Aber wie?
Moderne Verkehrspolitik ist bester Klimaschutz. Die Politik hat die Herausforderung angenommen, die Weichen der Verkehrspolitik neu zu stellen. Deswegen haben wir durch die Klimapakete des Bundes und unsere Prioritätensetzung im Land so viel Geld wie nie zuvor zur Verfügung: allein in diesem Jahr 103 Millionen Euro für besseren Rad- und Fußverkehr mit Förderquoten von bis zu 95 Prozent. Wo nur noch fünf Prozent fehlen, können auch Kommunen Radwege bauen, die knapp bei Kasse sind. Hinzu kommen noch einmal 100 Millionen Euro bis 2024 zur Verbesserung der Mobilitätsangebote in den Städten, sodass wir Verkehrsräume neu denken können und gleichzeitig die Menschen aus dem Umland nicht aussperren.
Da haben wir den nächsten Konflikt. In Großstädten wie Köln und Düsseldorf mit einem begrenzten Verkehrsraum muss man dem Auto zwangsweise Platz wegnehmen, wenn man das Fahrrad fördern will.
Bevor man mit der Umverteilung beginnt, muss klar sein, dass wir die Mobilitätsbedürfnisse aller im Blick haben müssen. Nur pragmatische Verkehrspolitik ist erfolgreiche Verkehrspolitik. Deshalb stärken wir alle Verkehrsmittel mit ihren Stärken, weil wir sie alle brauchen. Unsere Städte müssen auch in Zukunft ihre Funktion als Oberzentren erfüllen können und für Menschen aus dem Umland erreichbar bleiben. Ich empfehle da immer einen Blick in die Niederlande. Dort schaut man sich nicht eine einzelne Straße an, um das Auto auszusperren, sondern nimmt den ganzen Verkehr einer Stadt in den Blick. In Arnheim wird man als Ortsfremder wie von Geisterhand in ein sehr modernes, zugegeben nicht ganz billiges Parkhaus geführt und kann von dort zu Fuß in die Innenstadt gehen. Ich habe nicht das Gefühl, dass man mich als ortsfremden Autofahrer dort aus der Innenstadt heraushaben will. Wir hingegen streiten zu häufig über eine Straße. Ich rate sehr dazu, in größeren räumlichen Zusammenhängen zu denken und sich am Pragmatismus der Niederländer zu orientieren. Es kann auch mal Konflikte geben. Aber man muss sie ja nicht zwingend suchen.
Auto ins Parkhaus, zu Fuß in die Stadt. Dazu braucht man kein Fahrradgesetz.
Dafür nicht. Es geht um Vernetzungsangebote. Die sind jetzt gesetzlich etabliert. Keiner mag beim Umsteigen ein teures Pedelec an einem Zaunpfahl abstellen. Da braucht es Fahrrad-Parkhäuser. Auch da haben wir uns für den niederländischen Weg entschieden. Die Mitnahme von Fahrrädern in ohnehin schon überfüllten Bahnen ist nicht die Lösung, sondern die Vernetzung. Dass selbst in einer Stadt wie Münster, in der es gefühlt mehr Fahrräder als Menschen gibt, ein Bikesharing-Angebot erfolgreich sein kann, hat sogar die Münsteraner überrascht. Wir machen das Fahrrad mit dem Gesetz zum Bestandteil vernetzter Wegeketten.
Der Bau von Radschnellwegen kommt nur sehr schleppend voran. Wie lässt sich das ändern?
Das Gesetz sieht eine Bedarfsplanung für Radschnellwege vor, wie wir sie für die Autobahnen mit dem Bundesverkehrswegeplan kennen. Die Radschnellwege sollen im Planungsrecht gestärkt werden. Eine Klage hätte dann keine aufschiebende Wirkung mehr und es gäbe auch nur eine Tatsacheninstanz vor Gericht. Wir haben ein weiteres Gesetz zur Infrastruktur-Beschleunigung in Arbeit, durch das die Radwegeplanung weiter privilegiert wird. Radwege bis sechs Kilometer, die nicht in Naturschutzgebieten liegen, könnten dann ohne Umweltverträglichkeitsprüfung gebaut werden. Die Wahrheit ist aber auch: Ein Radschnellweg ist ein Infrastrukturprojekt mit einer 6,50 Meter breiten versiegelten Fläche. Und da, wo Schnellwege den meisten Nutzen entfalten, nämlich in den Ballungsräumen, haben wir die meisten Nutzungskonflikte. Zum Beispiel mit unseren Partnern von der Bahn. Da kommt ein sauberes Verkehrsmittel mit dem anderen in Kollision.
Wer übernimmt die Planung?
Wir haben beim Landesbetrieb Straßen NRW im vergangenen Jahr die ersten zehn Planer eingestellt, die sich ausschließlich um Radwege kümmern. 2022 wird es weitere Stellen für diesen Bereich geben. Wir bauen jetzt die Personalkapazitäten auf, fahren die Planungen hoch und werden die Genehmigungen beschleunigen. Und auch die Kommunen haben dem Thema größere Bedeutung eingeräumt. Nur so geht es voran.