AboAbonnieren

Kommentar

Hamas-Massaker
Die Gewalt geht nicht von Israel aus

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
06.10.2024, Baden-Württemberg, Stuttgart: Ein Schild mit der Aufschrift «Stop bombing Gaza» (Stoppt die Bombardierung von Gaza) ist bei einer propalästinensischen Demonstration als Gegenveranstaltung zu einer proisraelischen Kundgebung in der Innenstadt zu sehen. Foto: Christoph Schmidt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Schild mit der Aufschrift ´Stop bombing Gaza» (Stoppt die Bombardierung von Gaza) ist bei einer propalästinensischen Demonstration als Gegenveranstaltung zu einer proisraelischen Kundgebung in der Innenstadt zu sehen.

Ein Jahr nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober steht nicht nur der Nahe Osten in Flammen. Auch im Westen wachsen anti-israelische Proteste.

Der Nahe Osten blickt auf ein Jahr der Eskalation zurück, die sich gerade mehr denn je beschleunigt, und während der mittelmäßig interessierte Beobachter zuvor den Eindruck gehabt haben mag, man könne den Ursprung des Dauerkonflikts zwischen Israel und seinen Nachbarn kaum benennen, ist das seit dem 7. Oktober 2023 grundlegend anders.

Wer ein Herz hatte und frei von Ideologie war, erlebte damals erschüttert, ohnmächtig und teilweise sogar im Livestream der Terroristen mit, wie in Israel unschuldige Menschen abgeschlachtet, vergewaltigt, gefoltert und entführt wurden. Nichts konnte diese Brutalität der Hamas rechtfertigen oder relativieren.

Mutter aller Probleme ist der Antisemitismus

Was seither in der Region und im Rest der Welt geschehen ist, ist dagegen komplizierter. An einem aber hat sich nichts geändert: Die Mutter aller Probleme ist der Antisemitismus. Ohne ihn wäre der jüdische Staat am Mittelmeer, wo seit 3000 Jahren Juden leben, nicht steter Anlass für seine Feinde, Krieg und Terror vom Zaun zu brechen.

Alles zum Thema Demonstration Köln

Es ist zum Verzweifeln, dass ausgerechnet das schlimmste Massaker, das jüdische Menschen seit dem Holocaust erleiden mussten, eine neue Welle des Antisemitismus ausgelöst hat und dass diese weite Teile des Westens erreicht hat, darunter Deutschland.

Wir müssen uns stärker als bisher damit auseinandersetzen, dass sich viele muslimische Einwanderer und ihre Kinder nicht als Teil jenes Deutschland empfinden, für das aus dem Holocaust besondere Verantwortung erwächst. Zwar ist das oft nachvollziehbar, weil die Gewalt im Nahen Osten längst Unschuldige auf beiden Seiten trifft. Aber eben auf beiden Seiten. Betroffenheit und Trauer für die Menschen in Palästina brauchen ihren Platz. Es gibt aber keinen Anspruch auf einseitige Empathie, während die eigenen Hassbotschaften als Folklore hingenommen werden. Das betrifft keinesfalls nur Einwandererkinder, sondern auch unzählige „Biodeutsche“ mit verzerrter Weltsicht.

Wenn in Berlin unter dem Motto protestiert wird, in Gaza gebe es „ein Jahr Genozid – und die Welt schaut zu“, müssen wir widersprechen. Weil es Hamas und Hisbollah sind, deren erklärtes Ziel die Auslöschung aller Juden ist. Weil Israel ohne Gegenwehr längst von der Landkarte gelöscht wäre, während der Judenstaat in seiner Geschichte immer wieder Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz gezeigt hat.

Tragisch ist, dass es gerade die Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten war, derentwegen der Iran seine Terrorbanden mobilisierte, um eine Aussöhnung in Nahost zu sabotieren. Noch tragischer, dass diese Rechnung aufgegangen ist.

Ein hohes moralisches Ross steht den meisten westlichen Kritikern Israels dennoch nicht zu.

Ja, seit dem 7. Oktober ist auch Israel eskaliert. Aber welcher demokratische Staat der Welt hätte es tatenlos hingenommen, so blutrünstig angegriffen und unter Dauerbeschuss aus dem Ausland genommen zu werden? In Deutschland reichten bereits einzelne Messerattacken von Syrern und Afghanen aus, damit der Oppositionsführer und aussichtsreiche Kanzlerkandidat einer Volkspartei eine Einreisestopp aus diesen Ländern forderte und die Bundesregierung Abschiebungen dahin forciert.

Ja, die Israelis haben eine Rechtsaußen-Regierung gewählt, die zu wenig Rücksicht auf Zivilisten nimmt, wenn sie gegen Terroristen vorgeht. Aber in halb Europa und Ostdeutschland reüssieren Rechtsaußen-Parteien wegen gefühlter Bedrohungen, die deutlich weniger existenziell sind.

Ängste vor Ausbreitung des Krieges sind berechtigt

Auch Verstöße gegen das Völkerrecht zu kritisieren, ist immer richtig – nicht jedoch, dass das immer dann am lautesten geschieht, wenn sie im Zuge der jüdischen Verteidigung und Gefahrenabwehr verübt werden. Zumal Hamas und Hisbollah es längst zu ihrer Strategie gemacht haben, Israel in diese Falle zu locken.

Ein Jahr nach dem 7. Oktober steht die Region in Flammen, und alle Ängste, dass sich der Krieg noch weiter ausbreitet, sind berechtigt. Doch bei der Problemlösung darf nicht vergessen werden, wer die Terroristen und ihre Geldgeber sind – und wer auf deren Dauergewalt immer neu reagieren muss.

Ja, Benjamin Netanjahu hat die Zweistaatenlösung stets bekämpft, die Europa und Deutschland als Ausweg sehen. Seit dem 7. Oktober muss man aber fragen, ob die Idee überhaupt noch als Friedensvision taugt – gerade für die Israelis, die erleben mussten, wie Tod und Vernichtungswillen aus dem Gazastreifen über sie hereinbrachen, der seit Jahren nicht mehr besetzt war und unter palästinensischer Selbstverwaltung stand. Welche Garantie haben sie, dass ein mutmaßlich autoritärer, islamistischer Palästinenserstaat sich plötzlich mit Israel arrangiert?

Nein, es sind die islamistischen Extremisten, allem voran im Iran, die die Region in Geiselhaft nehmen und am Ende die Zehntausenden Toten in Gaza und Libanon zu verantworten haben. Ein demokratisches Israel, das nicht angegriffen wird, wäre keine Bedrohung für irgendwen im Nahen Osten – außer für die, die Demokratie per se als Bedrohung sehen.