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Synode der evangelischen Kirche in NRW„Wir werden zu einer Minderheitenkirche“

Lesezeit 4 Minuten
Manfred Rekowski

Der scheidende Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR): Manfred Rekowski

Köln/Düsseldorf – Die evangelische Kirche im Rheinland stellt sich auf tiefgreifende Veränderungen ein. „Wir werden zu einer Minderheitenkirche“, sagte der scheidende Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Manfred Rekowski, zum Auftakt der Landessynode in Düsseldorf. Die Kirche habe in ihrer langen Geschichte sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen. „Wir müssen lernen, diasporafähig zu werden.“ Dies schmälere nicht den Auftrag der Kirche. Bei dem Prozess könne auch über die Struktur der Landeskirche nachgedacht werden.

Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust

Wie bei der katholischen Kirche flackern die Krisenherde auch bei der evangelischen Kirche schon seit Jahren an allen möglichen Stellen: Mitgliederschwund, Bedeutungsverlust und mittelfristig der erhebliche Wegfall von Steuereinnahmen machen der Kirche zu schaffen.

Kandidaten für die Wahl zum neuen Präses

Almut van Niekerk

Almut van Niekerk

Almut van Niekerk

Almut van Niekerk, 53, ist Gemeindepfarrerin in Sankt Augustin und Superintendentin des Kirchenkreises An Sieg und Rhein. Sollte sie die Wahl gewinnen, wäre sie die erste Frau als Präses in der Geschichte der Rheinischen Kirche. Sie wünscht ihrer Kirche eine „ausgesprochen starke evangelische Identität“ bei kluger Vernetzung mit Kommunen und Ländern, Kultur und Zivilgesellschaft, in Ökumene und im interreligiösen Gespräch. Sie begreift Individualisierung, Digitalisierung, die Lage von Geflüchteten, Kinderarmut und Klimawandel als „Megatrends“. Van Niekerk ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Reiner Knieling

Reiner Knieling

Reiner Knieling

Reiner Knieling, 57, ist Professor für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Seit 2011 leitet er das Gemeindekolleg der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) in Neudietendorf bei Erfurt, das Gemeinde- und Kirchenentwicklungsprozesse deutschlandweit erforscht. Seine Vorstellung der Zukunft: Die Kirche müsse sich mutig profilieren und als „Kraftort“ in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Geistliche Leitung heißt für ihn „öffentlich gewinnend und überzeugend für das Vertrauen in den Gott des Lebens einzutreten“. Knieling ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Thorsten Latzel

Thorsten Latzel

Thorsten Latzel

Thorsten Latzel, 50, ist Direktor der Evangelischen Akademie Frankfurt. Von 2005 bis 2012 hatte Latzel als Oberkirchenrat das Referat „Studien- und Planungsfragen“ im EKD-Kirchenamt inne und leitete das Projektbüro Reformprozess. Viel beachtet ist sein Blog „Theologische Impulse“. Aufsehen erregte er zudem, als er im Zusammenhang mit der Corona-Krise den seelsorgerischen Einsatz von „Trauertablets“ anregte. Er fordert eine „Kirche in Kontakt“. Angesichts des Klimawandels, sozialer Spaltungen und eines gefährdeten Friedens gelte es davon zu reden, „was uns als Christen trotzdem Hoffnung gibt“. Thorsten Latzel ist verheiratet und hat drei Kinder.

Doch wie gegensteuern? Die Erkenntnis und die Folgen seien „aber nun wirklich nicht neu“, schreibt der Vorstand in seiner Bilanz. Schon 2006 hatte die Kirche Arbeitsgruppen zu dem Thema gebildet. Doch stoppen konnte man den Trend offenbar nicht. Im Gegenteil: Bis 2060, so eine Studie der Uni Freiburg aus dem Jahr 2019, wird sich die Zahl der Mitglieder der evangelischen Kirche auf dann 10,5 Millionen halbiert haben. Nur noch ein Drittel aller Menschen in Deutschland werden überhaupt noch Christen sein.

„Lobbyistin der Gottoffenheit“

Während der Synode soll der theologische Ausschuss die Perspektiven debattieren. Impulsgeber wird ein Papier mit dem bemerkenswerten Titel „Lobbyistin der Gottoffenheit“ sein. Darin fordert die Autorin, man müsse das Unabwendbare akzeptieren: Die Ära als Volkskirche geht zu Ende, man müsse sich in einer neuen Rolle finden.

Evangelische Kirche im Rheinland

Die Evangelische Kirche im Rheinland erstreckt sich über Teile der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen. Sie gliedert sich in 37 Kirchenkreise mit 655 Kirchengemeinden und 2,4 Millionen Mitgliedern.

Drängende gesellschaftliche Themen sollen die Agenda bestimmen. Man will digitaler kommunizieren, „Teamplayerin“ sein und sich in einer Zeit der Umwälzungen als „Change Agent“ positionieren: Etwa dem Wachtsumsethos eine „Ethik des Genug“ entgegensetzen und die Bewegung „Fridays for Future“ im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Es sollen Gemeindegrenzen überwunden und das Steuerprivileg hinterfragt werden. Nicht nur ökumenisch, interreligiös soll es werden: Künftig soll die Kirche öffentlich nicht nur für Glockengeläut, sondern auch für den „hörbaren Ruf des Muezzin“ eintreten. Rekowski spricht von „Dominanzverzicht und Kooperation mit anderen Institutionen“.

Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in Kirchenstrukturen

Eine besondere Herausforderung wird die Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs. Präses Rekowski fordert mehr Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt. Das Ziel, Minderjährige vor Missbrauch zu bewahren, sei „gesellschaftlich lange nicht erreicht“, sagte er. „Der Kirche kommt auch in Zukunft die wichtige Aufgabe zu, vor allem Schutzraum für die ihr anvertrauten Menschen zu werden.“

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Die evangelische Kirche sei sich bewusst, dass sie in der Vergangenheit an ihnen anvertrauten Menschen schuldig geworden sei, sagte Rekowski. Zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt habe die Kirche eine Studie in Auftrag gegeben und einen Betroffenenbeirat berufen.

Den Vorwurf, die Kirche sei während der Corona-Pandemie seelsorgerisch nicht ausreichend präsent gewesen, wies Rekowski entschieden zurück. Nur weil Seelsorge diskret stattfinde, heiße das nicht, die Kirche sei abgetaucht. Die Pandemie treffe Menschen in unterschiedlicher Weise. Besonders die Schwächsten weltweit seien in ihrer Existenzgrundlage bedroht, vor allem auch Flüchtlinge. „Verhältnisse, wie wir sie in den Flüchtlingslagern am Rande der EU erleben, dürfen wir nicht dulden.“