Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) bezieht sehr klar Position zu Verbotsfahren gegen die AfD als Gesamtpartei und gegen die Jugendorganisation „Junge Alternative“.
Berliner Justizsenatorin BadenbergEx-„AfD-Jägerin“ ist für ein Verbot der „Jungen Alternative“
Frau Badenberg, Sie sind seit knapp einem Jahr Justizsenatorin in Berlin. Was ist der entscheidende Unterschied zum Leben in Köln?
Ich bin nach wie vor am Wochenende in Köln und fühle mich durch und durch als Rheinländerin. Den Unterschied in der Mentalität spüre ich schon sehr deutlich. Andererseits empfinde ich das Leben in dieser großartigen Stadt als sehr bereichernd. So großartig Köln ist – in Berlin spielt einfach die Musik.
Sie selbst spielen politisch im Amt der Justizsenatorin auch ganz anders mit als in Köln, wo sie Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes waren. Wie kommen Sie mit diesem Wechsel klar?
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Von der Fachfrau im Hintergrund auf die politische Bühne – ich hätte nicht gedacht, was für ein Unterschied das ist. Als Angehörige einer Sicherheitsbehörde durfte ich über viele Dinge nicht sprechen. Das war Sache des Präsidenten. Im politischen Amt ist das jetzt andersherum. Das war anfangs schon eine Herausforderung, zumal ich im Senat ja „die Neue“ war. Alle anderen kannten sich seit zehn, 15, 20 Jahren. Ich bin aber, das muss ich sagen, mit offenen Armen aufgenommen worden.
Wie war das mit Ihrer Anwerbung? Hat da das Telefon geklingelt: „Hallo, hier ist Kai Wegner, künftiger Regierender Bürgermeister. Wollen Sie meine Justizsenatorin werden?“
Es war ungefähr so. Ich dachte immer, so läuft das nur im Film. Aber ich war ja durch meine Kölner Position keine Unbekannte.
Ging es schnell mir Ihrer Entscheidung für Berlin?
Ich habe länger darüber nachgedacht. Schließlich war ich nicht auf der Flucht. Im Gegenteil: Ich habe meinen Job geliebt. Andererseits hat mich der Posten der Justizsenatorin gereizt, weil ich es immer ärgerlich fand, beim Verfassungsschutz zwar Informationen zu drohenden Straftaten gesammelt zu haben, die Akten dann aber an die Strafverfolgungsbehörden abgeben zu müssen, und die bekamen dann mit den Erfolgen die ganze öffentliche Aufmerksamkeit.
Sie wollten auch mal den Lorbeer ernten?
Wenn Sie so wollen. Jedenfalls fand ich es dann konsequent, von der Innenpolitik auf die andere Seite zur Justiz zu wechseln.
Sie sagten, Sie hätten Ihren Job geliebt. Was ist so liebenswert an einem Geheimdienst? Schon das Wort hat für viele eher etwas Anrüchiges.
Der Verfassungsschutz ist essenziell für die Verteidigung unserer Demokratie. Er sorgt dafür, Gefahren nicht erst dann zu erkennen, wenn es zu spät ist. Wie erwähnt, dürfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes über vieles nicht sprechen. Aber ich sage nur: „Gruppe Reuß“.
Die mutmaßlich rechtsterroristische Zelle um Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Deren Aushebung durch die Bundesanwaltschaft im Dezember 2022 basierte auf der Vorarbeit des Verfassungsschutzes.
Worin sehen Sie die zurzeit größte Gefährdung der Demokratie?
Die größte Bedrohung geht vom Rechtsextremismus aus. Das zeigen alle Daten etwa des Bundeskriminalamts. Das zeigt aber auch der Rechtsruck mit dem Erfolg einer neurechten Partei, der AfD, die immer weiter in die demokratische Mitte einzudringen und sie für sich zu vereinnahmen sucht. Sie macht das – ich muss es leider sagen – erfolgreich, indem sie so tut, als hätte sie Lösungen für die Sorgen und Antworten auf die offenen Fragen der Menschen. Ihren Zulauf verdankt die AfD nicht nur den Nichtwählern. Vielmehr haben die demokratischen Parteien – und zwar alle miteinander – eine erhebliche Zahl von Wählerinnen und Wählern an die AfD verloren. Diese Menschen geben jetzt einer Partei ihre Stimme, von der sie wissen müssten, dass sie in Teilen vom Verfassungsschutz als extremistisch einzustufen ist.
Daran sollte spätestens seit dem Bekanntwerden des Treffens von Potsdam kein Zweifel mehr sein.
Das stimmt, wobei es mich sehr wundert, dass alle jetzt so überrascht sind. Solche Veranstaltungen rechtsextremer Ideologen gibt es seit Jahren! Damit will ich nicht die Arbeit des Recherche-Netzwerks „Correctiv“ schmälern, überhaupt nicht. Ich sage nur: Das Treffen in Potsdam mit dieser Melange aus Alt- und Neurechten samt Kräften aus dem „bürgerlichen Spektrum“ war alles andere als eine Premiere. Erklärtes Ziel war und ist die „Entgrenzung“, das Verschwimmen der ideologischen Trennlinien. Das einende Band dabei ist die Demokratiefeindlichkeit, die Ablehnung unseres Staates. Und genau das macht die Gefährlichkeit aus.
Sollte man dieser Gefahr mit Verboten begegnen?
Ein Verbotsverfahren gegen die AfD als Ganzes hielte ich für den absolut falschen Weg. Rechtlich, da bin ich mir sicher, liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht hat zurecht hohe Hürden für ein Parteiverbot aufgestellt. Schauen Sie sich das Parteiprogramm oder den Bundesvorstand der AfD insgesamt an: Da werden sie rein formal keine aktiv-kämpferischen, planvollen Bestrebungen finden, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. In der Beobachtung der AfD stehen wir zurzeit bei Stufe zwei, dem „Verdachtsfall“ – nicht bei Stufe drei, dem „gesicherten Extremismusfall“, und auch noch nicht bei der letzten Stufe, der „gesicherten Verfassungsfeindlichkeit“, die Karlsruhe für ein Parteiverbot fordert.
Juristisch reicht es also nicht?
Ich glaube nicht. Und politisch wäre ein Verbotsverfahren aus meiner Sicht ein Offenbarungseid. Als ob den demokratischen Kräften nichts Besseres als ein Verbot einfällt. Das Verbot einer Partei wird doch die Einstellung der Menschen, ihre Stimme dieser Partei zu geben, nicht ändern. Im Gegenteil: Ein Verbot würde einen Teil der AfD-Klientel in ihrer Politikverdrossenheit bestätigen und möglicherweise weiter radikalisieren.
Was ist dann der bessere Weg?
Da gibt es sicher keine Musterlösung. Unser Ziel muss es sein, die zehn bis 15 Prozent zurückzugewinnen, die wir in den vergangenen Jahren an die AfD verloren haben.
Die AfD halbieren - was Friedrich Merz 2018 vorhatte, als die AfD auf 13 und 18 Prozent kam. Was dann folgte, ist bekannt.
Das Ziel bleibt richtig und sollte alle demokratischen Parteien verbinden. Dafür braucht es den Dialog, auch wenn es noch so anstrengend ist. Ich selbst gerate ständig in Situationen, in denen mir eine unglaubliche Aggressivität entgegenschlägt. Politikerinnen und Politiker müssen viel mehr kommunizieren, viel besser erklären, was sie tun. Wir müssen aber auch deutlich machen, was passieren würde, wenn die AfD an die Macht käme. Wenn ein Björn Höcke Kinder mit Behinderung absondern will, dann weiß man doch, dass die Stunde geschlagen hat.
Wenn Sie nichts von einem AfD-Verbot insgesamt halten, was ist dann mit Vorfeld-Organisationen wie dem AfD-Jugendverband „Junge Alternative“ (JA)?
Die JA ist keine Parteiformation, sondern nur ein Verein. Das erleichtert ein Verbot, und ich würde es für die JA in Betracht ziehen. Sollte in Kürze das Oberverwaltungsgericht NRW die Einstufung der JA als „gesichert rechtsextremistisch“ bestätigen, dann wäre damit aus meiner Sicht die Grundlage für ein Verbot gegeben. Mit Aussagen der JA etwa zur „Remigration“ sowieso.
Fühlen Sie sich als iranischstämmige Deutsche von solch einem Begriff, der ja auch beim Treffen von Potsdam traktiert wurde, persönlich getroffen?
Ja, natürlich. Schon als ich beim Verfassungsschutz am Verfahren zur Einstufung der AfD mitgewirkt habe, kamen mir Äußerungen von Partei-Funktionären unter, die Satz für Satz wie auf Menschen mit Migrationsgeschichte wie mich gemünzt wirkten. Ich habe manches Mal gedacht, eigentlich hätte ich Anspruch auf Schmerzensgeld, weil es so ekelhaft ist, was wir da auf 1000 Seiten zusammengetragen haben an Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und anderen Widerwärtigkeiten. Und natürlich wurde mir bereits damals von Rechtsextremisten und Neonazis bedeutet, ich gehörte nicht nach Deutschland.
Kein Wunder – als „oberste AfD-Jägerin“, wie man Sie bisweilen nannte. Ihr damaliger Chef, Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, ist heute als Vorsitzender der neu gegründeten Partei „Werteunion“ politisch ein Gegenüber. Wie geht es Ihnen damit?
Zu Herrn Maaßen habe ich mich bisher nicht geäußert und werde das auch jetzt nicht tun.
Äußern Sie sich denn zu seiner Partei? Wenn deren Vorsitzender – wie es heißt – von seiner früheren Behörde des Extremismus verdächtigt wird, strahlt das doch auf die Partei ab.
Zu einem so frühen Zeitpunkt nach Gründung der Werteunion als Partei kann man keine belastbaren Aussagen über ihren Charakter machen. Wenn Herr Maaßen von den Verfassungsschutzbehörden als Extremist eingestuft sein sollte, dann wird sich der Verfassungsschutz sicher auch mit seiner Partei beschäftigen.
Wie bewerten Sie politisch die Entstehung einer neuen Partei, die sich selbst zwischen Union und AfD ansiedelt?
Sollte die Werteunion fest auf dem Boden der Verfassungsordnung stehen und sollte es ihr dann gelingen, Anhänger von der AfD auf ihre Seite zu ziehen, dann wäre das eine gute Entwicklung. Aber auch nur dann. Eine weitere extremistische Partei in Deutschland brauchen wir sicher nicht.
Werfen wir noch einen Blick auf Iran, das Land, aus dem sie 1987 mit Ihren Eltern nach Deutschland kamen: Sehen Sie nach der 2022 aufgeflammten Revolte gegen die Mullahs noch die Chance auf einen Regimewechsel?
Ich war anfangs ganz euphorisch und hatte tatsächlich die Hoffnung, diesmal könnte es gelingen, dieses Unrechtsregime zu beseitigen. Aber die Mullahs gehen so brutal und so blutig gegen Demonstranten vor und ersticken damit den Protest im Keim. Insofern habe ich diese Hoffnung inzwischen fast aufgegeben. 500 bestätigte Hinrichtungen in einem Jahr, von der Dunkelziffer nicht zu reden! Ein Staatsapparat, der seine Bürger terrorisiert, jeden Funken neuen Widerstands sofort erstickt! Und – auch das muss ich leider sagen – keine effektive Hilfe aus dem Westen. Aus all den Lippenbekenntnissen, auch der Bundesregierung, ist an konkreter Unterstützung für die Menschen doch nichts gefolgt.
Überdies spielt Teheran auch in der Region eine fatale Rolle.
Schauen Sie: Mit wem steht das Mullah-Regime denn in freundschaftlicher Verbindung? Mit Putins Russland, mit Erdogans Türkei, mit Assads Syrien – und mit den Terroristen der Hisbollah im Libanon. Angesichts dessen müsste der Westen ein elementares Interesse haben, den Einfluss Teherans in der Region weitestmöglich einzudämmen und zurückzudrängen.
Wie weit reicht der Arm des Regimes in Deutschland?
Seien Sie sicher: Jeder Bürger, jede Bürgerin mit iranischen Wurzeln, der oder die sich in Deutschland wahrnehmbar negativ über die Lage in Iran äußert, gerät ins Visier des iranischen Geheimdiensts. Und das ist wirklich ein „Geheimdienst“ im wahrsten Sinn des Wortes. Oppositionelle, Dissidenten – alle sind im Fokus.
Was bedeutet das konkret?
Was das bedeutet? Dass man Informationen über sie sammelt; dass sie auf schwarzen Listen landen; dass man sie persönlich oder ihre Familien bedroht, wenn es ihnen nützlich ist.
Ist Ihnen das auch selbst passiert?
Ich hatte so einige – sagen wir – seltsame Begegnungen: Ich komme dienstlich in die iranische Botschaft, unter einem Tarnnamen wohlgemerkt, und werde wie selbstverständlich mit Frau Badenberg angeredet. Auf der Straße spricht mich ein wildfremder Mann auf Persisch an und drückt mir seine Visitenkarte in die Hand: „Wie schön, Sie zu sehen, wir sollten uns treffen, melden Sie sich doch mal!“
Wie haben Sie reagiert?
Ich war so erschrocken, dass ich die Karte sofort in den nächstbesten Mülleimer geworfen habe. Sie werden vielleicht fragen: War das jetzt so schlimm? Ich sage: Es reicht, um jemanden zu verunsichern. Man denkt ja immer sofort auch an seine Familie, die Kinder, die Freunde. Und was mich betrifft, ich würde gegenwärtig keinesfalls nach Iran reisen aus Sorge, unter irgendeinem Vorwand festgehalten zu werden und in einem der berüchtigten Gefängnisse zu verschwinden. Wir sind mit unserer iranischen Abstammung alle Doppelstaatler, können die iranische Staatsangehörigkeit nicht ablegen. Das heißt, sobald wir iranischen Boden betreten, gelten wir als Inländer. Das hat unter anderem zur Folge, dass konsularische Hilfe durch die deutsche Botschaft nahezu unmöglich ist.
Müsste der deutsche Staat seine iranischstämmigen Bürgerinnen und Bürger dann nicht besser schützen?
Personen mit einer konkreten Gefährdung erhalten ja Polizeischutz. Aber seien wir ehrlich: Das kann der Staat nicht für jeden leisten, der sich kritisch über das Regime äußert beziehungsweise in den Fokus fremder Geheimdienste gerät.
Zur Person
Felor Badenberg, geb. 1975 in Teheran, ist seit 2023 Justizsenatorin in Berlin. Die parteilose Politikerin war zuvor 17 Jahre beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln tätig, zuletzt als Vizepräsidentin. Badenberg kam 1987 mit ihrer Familie nach Köln. Dort hat sie Abitur gemacht und Jura studiert. Seit 2023 hat sie einen Lehrauftrag am Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Jniversität zu Köln. Zudem gehört sie seit Ende 2023 dem Vorstand der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung an. (jf)